SWR1: Ich selbst habe schon als Kind über die Sketche gelacht. Heute lachen meine Kinder, in einigen Jahren wahrscheinlich meine Enkel. Was ist das Geheimnis dieser Zeitlosigkeit?
Stefan Lukschy: Das Geheimnis der Zeitlosigkeit hat meiner Ansicht nach damit zu tun, dass es schon damals eine Art "Retro-Look" hatte. Es passierten immer Dinge, die im kollektiven Unterbewusstsein schon abgelegt waren. Also klassische Rollenverteilung, klassische Geschlechterverteilung. Es ist alles schon immer ein bisschen altmodisch gewesen. Damals schon, wenn man sich anguckt, wie sich die Leute angezogen haben beim Bettenkauf oder beim Herrenmodengeschäft. Dadurch hatte es nie so eine Tagesaktualität und ist vielleicht auch deswegen gut gealtert.
SWR1: Es wird ja oft gesagt, Loriot sei ein absoluter Perfektionist gewesen. Was für Wesenszüge haben ihn sonst noch ausgezeichnet?
Lukschy: Er war hochintelligent, sehr gebildet, von wem auch immer – dem lieben Gott oder einem gütigen Schicksal – mit unendlich vielen Talenten ausgezeichnet. Er konnte zeichnen, er konnte schreiben, er konnte spielen, inszenieren – er hat im Grunde genommen sogar sein Haus in Ammerland am Starnberger See selber entworfen.
SWR1: Gibt es eine Situation, die Ihnen sofort einfällt, wenn Sie an die Zusammenarbeit mit Loriot denken?
Lukschy: Mir fällt immer eine Sache ein, wo ich wirklich baff war. Das war die Geschichte, als Evelyn Hamann starb. Er war am Freitagabend vorher in Hamburg bei Beckmann im Studio, als einziger Gast mit seinem Mops, und ich hatte ihn dorthin begleitet. Samstagfrüh bekam ich einen Anruf: "Evelyn Hamann ist gestorben". Jetzt sagte natürlich die Beckmann-Sendung: "Wir müssen etwas machen, wir können nicht erst am Montag senden, wenn Evelyn Hamann gerade vor zwei Tagen gestorben ist, das muss ja irgendwie erwähnt werden." Ich fuhr zu Loriot und wir haben über ein mögliches Statement, das er zum Tod von Evelyn Hamann abgeben könnte, nachgedacht. Und ich dachte an eine Szene, die ich gedreht hatte mit Inge Meysel, wo sie vor dem Bild ihres verstorbenen Mannes steht, und sagt "Das ist unfair. Du hast die richtige Reihenfolge nicht eingehalten", und das fand er irgendwie eine ganz gute Idee.
So entstand folgender Satz "Liebe Evelyn, dein Timing war immer perfekt. Nur diesmal hast du die richtige Reihenfolge nicht eingehalten." Ein tolles kurzes Statement. (...) Doch Loriot war mit dieser Formulierung noch nicht richtig glücklich, dachte nach und kam zu der genialen kleinen Ergänzung "Liebe Evelyn, dein Timing war immer perfekt. Nur diesmal hast du die richtige Reihenfolge nicht eingehalten. Na warte!". Dieses "Na, warte!" ist von einer gewissen berlinischen Komik, diese Drohung, komm zu mir nach Hause, oder ich komme nach oben zu dir auf die Wolke. Und es war die Reflexion, dass er auch irgendwann dran ist, diese Welt zu verlassen. Das fand ich einfach eine so geniale Kleinigkeit, dass ich innerlich wirklich ganz tief den Hut gezogen habe.
SWR1: Ein wirklich unglaublicher Mensch, Vicco von Bülow. Hatte er als Loriot eigentlich selber einen Lieblingssketch?
Lukschy: Ich glaube, was er wirklich sehr mochte, ist eher aus seiner Frühzeit in Stuttgart, als er Cartoons gemacht hat beim Süddeutschen Rundfunk, wie es ja damals noch hieß.
Das war diese Benimmschule, die ist wirklich wahnsinnig komisch. Da ist ein Mann, der in einer Benimmschule feines Essen lernt bei einem Benimmlehrer. Und da sitzen dann noch zwei Damen dabei, mit denen er Smalltalk machen muss. Während dieser Benimmschule muss er die Sachen immer wiederholen und wird immer betrunkener, weil er echten Wein trinkt während dieses Essens. Und das ist wirklich zum Schreien komisch. Es ist, glaube ich, auch sein längster Sketch, er ist etwa 12 Minuten lang. Aber das ist wirklich ein Meisterwerk.
SWR1: Bei welchen anderen Komikern konnte Loriot lachen?
Lukschy: Er liebte Buster Keaton, den zog er Charlie Chaplin vor, weil er dachte, Chaplin sei ihm immer ein bisschen zu moralisch. Er hat natürlich Chaplin auch als großen Komiker anerkannt, aber Buster Keaton in seinem wahnsinnigen Ernst und in dieser unglaublichen, ja fast minimalistischen Komik, das fand er besonders toll. Er hatte aber auch ein sehr genaues Gespür für die nachkommende Generation. (...)
Wir gingen mit ihm in Berlin in den Admiralspalast zu Helge Schneider, um zu sehen, wie er dessen Humor findet. Er war total glücklich, fand das wahnsinnig komisch und hat natürlich Helge Schneider auch als Musiker sehr bewundert.
SWR1: Wir reden auch über das Taschenbuch, das jetzt neu aufgelegt wurde, mit dem Titel "Der Glückliche schlägt keine Hunde". Es gibt in dem Buch Beiträge von Bully Herbig über Hape Kerkeling bis hin zu Helmut Schmidt. Haben Sie jemals einen Menschen getroffen, der Loriot nicht großartig fand?
Lukschy: Nee, ehrlich gesagt nicht (lacht). Ich glaube, der einzige Mensch, der ihn jedenfalls zu Beginn nicht großartig fand, war der Mann, dem die Baufirma gehörte, die sein Haus baute. Dieses Haus sieht ja eher aus wie ein kleines, bescheidenes Gutshaus in einem märkischen Straßendorf. Und dieser bayerische Unternehmer wollte da natürlich etwas Bayerisches hinstellen. So ein klassizistischer Bau sieht eben im Rohbau sehr karg aus. Daraufhin hat dieser Mann seine Bauschilder, auf welchen seine Firma stolz angepriesen wird, abmontiert, um nicht mit diesem — seiner Ansicht nach — scheußlichen Bau konfrontiert zu werden. Als dann alles fertig war und die Stuckleisten und die dunkelgrünen Fensterläden dran waren, sah das Haus natürlich hinreißend aus. Dann hat dieser Bauunternehmer, der nicht der Architekt war, überall stolz erzählt, dass er das Haus von Loriot gebaut hat.
SWR1: Das Buch ist ja bereits 2013 erschienen, zu seinem 90. Geburtstag und wurde jetzt zu seinem 100. Geburtstag nochmals neu aufgelegt. Haben Sie denn noch etwas Neues hinzugefügt?
Lukschy: Ich habe ihm einen Geburtstagsbrief zu seinem 100. Geburtstag geschrieben und habe ihn ganz persönlich an ihn adressiert.
Und dann habe ich auch ein bisschen spekuliert, wie er wohl die heutigen Zeitströmungen behandeln würde, wie er sie auf den Arm nehmen würde, wie er sich zum Beispiel zur Geschichte mit dem Gendern verhalten würde... Und habe dann frech herumspekuliert, ob er sich Worte wie "AußenarchitektInnen" hätte einfallen lassen oder "AußenmitarbeiterInnen". Er hat ja solche Sachen nie boshaft gemacht, wenn er sich über etwas lustig gemacht hat, sondern hat versucht, über eine ironische Leichtigkeit seine Kritik an bestimmten Dingen sichtbar werden zu lassen.
SWR1: Und ich bin mir ganz sicher, ihm wäre etwas Tolles dazu eingefallen.
Lukschy: Da bin ich mir auch ganz sicher!
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Frank Jenschar.