Film

Science-Fiction-Fantasy „LOLA“ von Andrew Legge: Zwei Schwestern gegen Hitler

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AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland

Zwei schöne kluge Schwestern bauen eine Art Zeitmaschine und verändern damit den Verlauf des Zweiten Weltkriegs. So lautet der originelle Plot des ersten Spielfilms von Andrew Legge. Der Ire hat einen Film von seltener Originalität und fesselnder Atmosphäre geschaffen, der Nostalgie mit politischer Klugheit verbindet.

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Marsch-Geräusche statt Rockmusik

Dieser Film entfaltet ein überaus faszinierendes Gedankenexperiment. Stellen wir uns nur einmal vor, statt der Beatles, der Stones und David Bowie hätte die Geschichte der Popkultur einen komplett anderen Verlauf genommen. Und die Musik der 70er-Jahre klänge militarisch und hart.

Dies, so das Gedankenexperiment dieses Films, war einmal unsere Geschichte. Glücklicherweise konnte sie verändert werden.

Eine Zeitreise in die Dreißiger Jahre

Und das ging folgendermaßen: Alles beginnt mit zwei Schwestern, Martha und Thomasina. Sie sind Waisen, und recht wohlhabend, sehen gut aus und leben in einem wunderbaren großen Haus auf dem südenglischen Land. 

Lola von Andrew Legge
Die beiden Schwestern Thomasina (Emma Appleton) und Martha Hanbury (Stefanie Martini) nutzen ihre Maschine zunächst für ihren eigenen Spaß.

Es dauert nur Sekunden da beamt uns der irische Regisseur Andrew Legge in seiner filmischen Zeitreise zurück in die späten Dreißiger Jahre. Der Goldene Herbst des British Empire. 

Martha und Thomasina haben viel Zeit, um herumzutüfteln, sie sind ziemlich klug und experimentierfreudig und so erfinden sie eine merkwürdige Maschine namens "L.O.L.A.". Warum sie so heißt, und wofür diese vier Buchstaben stehen, das erfahren wir bis zum Schluss nicht. 

 Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst

Jedenfalls handelt es sich um eine Art Zeit-Sicht-Gerät, eine Maschine, mit der sie wie mit einem Fernseher in die Zukunft blicken können. Die jungen Frauen benutzen das Gerät zunächst, um ihre eigene Zukunft zu erforschen und entdecken dabei zum Beispiel im Jahr 1973 David Bowie. 

Doch sehr bald verliert das Vergnügen seine Unschuld: Die Schwestern erfahren auch vom bevorstehenden Zweiten Weltkrieg und warnen während der Luftschlacht von England die Bevölkerung anonym, damit diese sich  vor den deutschen Bombenangriffen schützen kann. Eines Tages entdecken Militärs ihr Versteck, und so arbeiten sie mit dem britischen Geheimdienst zusammen – zunächst sehr erfolgreich. 

Lola von Andrew Legge
Die Schwestern erkennen bald, dass die Maschine der Schlüssel zum Sieg über die Nazis sein könnte. LOLA erweist sich als äußerst effektiv, um den Verlauf des Krieges zu verändern.

Manipulation der Zukunft

Aber irgendwann entdecken sie, dass David Bowie aus der Zukunft verschwunden ist. Offensichtlich haben ihre Eingriffe ins Rad der Geschichte deren Verlauf und damit die Zukunft verändert: Erst bricht eine diplomatische Krise zwischen dem Vereinigten Königreich und seinem engsten Verbündeten USA aus, dann landen die Nazis an der englischen Küste und erobern London. Das Schlimmste ist eingetreten. Die Nazis haben den Krieg gewonnen. 

Statt von David Bowie, von Glam, Pop und Punk wird die Popkultur von einem Stechschritt-Rabauken beherrscht. Aber vielleicht kann man die Fehler noch korrigieren? Vielleicht kann man die Vergangenheit vor der Nazi-Zukunft warnen?

 

Lola von Andrew Legge
Doch bald beginnt Thomasina, sich von der Macht, die die Maschine über die Zukunft hat, mitreißen zu lassen.

Meisterwerk und technisches Wagnis

In seinem allerersten Spielfilm ist Andrew Legge ein Meisterwerk gelungen: ein Science-Fiction-Film, der in Form eines Home-Videos der damaligen Zeit gedreht wurde. Der Film ist somit auch ein technisches Wagnis. Ausgestattet mit 16mm-Kameras und ohne Zusatzbeleuchtung, um den Realismus zu erhöhen, filmte er Martha, Thomasina und ihre Abenteuer. 

Dies kombinierte er mit historischem Bildmaterial und mischte beides so elegant, dass es ununterscheidbar wird: Plötzlich paradiert die Wehrmacht in London, ist der Faschist Oswald Mosley britischer Premier und Adolf Hitler persönlich besucht das Haus der Schwestern.

Der Trailer zu „LOLA“:

 Ein aktueller Film

Wie kann man in der Gegenwart dafür sorgen, dass die Zukunft nicht aufs falsche Gleis gerät? Insofern und wegen seiner konkreten Bezüge zur Gefahr durch die Nazis ist „Lola“ auch ein sehr aktueller Film. 

Er zeigt, wie nahe uns die Gefahr durch den Faschismus noch immer ist – dass es sich hier keineswegs um ferne Vergangenheiten handelt. 

 „LOLA“ ist so originell wie aktuell, formal aufregend und zugleich unterhaltsam – ein Neujahrsfilm für Erwachsene, den man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. 

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