Buchkritik

Yukio Mishima – Der Held der See

Stand
Autor/in
Ulrich Rüdenauer

Jugendliche Verzweiflung, Hass auf die Väter, romantischer Nationalismus – das sind Zutaten, die den 13-jährigen Noburu in Yukio Mishimas „Der Held der See“ zu einer verstörenden Tat treiben. Mishimas Klassiker aus dem Jahr 1963 liegt nun in neuer Übersetzung vor.

Noburo denkt groß. Er hat gewaltige Pläne. Will ein Held werden. Mit seinen 13 Jahren geht er ganz in existentialistischem Pathos auf. Mit gleichgesinnten Freunden träumt der kleine Romantiker von einer anderen Welt, in der alles Verweichlichte ausgemerzt ist.

Nietzsche hat hier im japanischen Yokohama einen glühenden Verehrer gefunden. Diese Jungs wollen eine Gesellschaft mit eigener Moral, in der das Recht des Stärkeren und des Unbedingten gilt. Nur Verachtung haben sie übrig für die schwächliche Vätergeneration. Fremde Werte und Ästhetik lehnen sie ab.  

Zwischen Tradition und Moderne 

Noburus Mutter Fusako, die sich nach dem Tod ihres Mannes alleine um ihren Sohn kümmert, scheint all das von den Jugendlichen Abgelehnte zu repräsentieren: Sie führt ein Geschäft, in dem westliche Mode angeboten wird. Das Japan der Nachkriegszeit, in dem Yukio Mishimas Roman „Der Held der See“ spielt, scheint hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne. 

Da taucht Ryuchi auf, ein Seemann, der zum Geliebten der Mutter wird. Noburu ist zunächst fasziniert von diesem Mann. Ryuchi scheint all das zu verkörpern, wonach er selbst strebt: Freiheit, Abenteuerlust und Todesverachtung. Und all diese Sehnsüchte bündeln sich im Meer. Als der Junge seine Mutter und ihren Verehrer durch ein kleines Guckloch beim Liebesakt beobachtet und im Hintergrund das Horn eines Schiffes ertönt, hat er ein fast epiphanisches Erlebnis: 

Der Mond, die Meeresbrise, der Schweiß, das Parfüm, das nackte Fleisch des reifen Mannes und der reifen Frau, die Spuren der Fahrten auf See, die Reste der Erinnerung an die Häfen der Welt. Erst durch das Horn waren sie eine kosmische Verbindung eingegangen und hatten Einblick in den unentrinnbaren Kreislauf des Daseins gewährt. 

Rache am Verräter 

Schriftsteller Yukio Mishima mit nacktem Oberkörper und einem japanischen Samurai-Schwert
Der Schriftsteller Yukio Mishima hatte eine bewegte Biografie. 1925 geboren in Tokio, beschäftigte er sich in seinen literarischen Arbeiten mit Männlichkeit, Todessehnsucht, Körperkult und Gewaltfantasien. Mishima lebte seine Homosexualität nicht offen aus, thematisiert sie immer wieder in seinen Werken. Im durch die USA besetzten Japan der Nachkriegszeit positionierte er sich als Nationalist. 1970 schied er nach einem gescheiterten Putschversuch durch rituellen Selbstmord aus dem Leben.

Mit Ryuchi, der selbst von einem ruhmreichen Leben träumt, sich aber gegen das Meer und für die Ehe mit Fusako entscheidet, erlebt der Junge eine abgrundtiefe Enttäuschung: Fast wie eine Schmähung und Beleidigung nimmt er dessen Verrat an Männlichkeit und Wagemut wahr. Er erzählt seinen Freunden davon, und sie beschließen, diesen Verrat zu rächen. 

Wir brauchen Blut! Menschliches Blut! Sonst wird unsere leere Welt verwelken und verdorren. Wir müssen das lebendige Blut aus diesem Mann herauspressen und es wie eine lebensspendende Transfusion dem sterbenden Universum, dem sterbenden Himmel, den sterbenden Wäldern und der sterbenden Erde zuführen. 

Yukio Mishima war eine der schillerndsten und zwiespältigsten Figuren der Literaturgeschichte: Mit seinen avancierten Romanen – gerade auch mit „Der Held der See“ – hat er Klassikerstatus erlangt. Zugleich war er ein glühender Nationalist und wird bis heute von Rechtsradikalen verehrt.

Sein „Held der See“, übrigens in angemessener poetischer Kühle übersetzt von Ursula Gräfe, ist ein mit scharfen Kontrasten spielendes Werk: Meer und Land, Idealismus und Realismus, Glaube und Entfremdung, Dekadenz und Einfachheit, Oben und Unten. 

Bedrohlich und gegenwärtig 

Die adoleszente Suche nach etwas Wahrhaftigem und Absolutem, so sehr sie auch in der japanischen Nachkriegszeit verortet ist, bekommt hier universellen Charakter. Die Verzweiflung, die durch eine verstörende Tat aufgehoben werden soll, war, als das Buch erschien, anschlussfähig: Eine amerikanische Verfilmung des Stoffes spricht ebenso dafür wie die auf dem Buch basierende Oper „Das verratene Meer“ von Hans Werner Henze.

Liest man den Roman heute, fasziniert durchaus die konsequent mit Bedeutung aufgeladene, aber doch sehr nüchterne Sprache; die Schilderung von Gleichgültigkeit und Pathos und der zunehmenden Verrohung der Jugendlichen, die sich auf eine höhere Moral berufen. Zugleich aber ist der essentialistische Unterstrom dieses Buches, auch wenn man um die Ansichten Mishimas weiß, bedrohlich und trostlos – und nicht zuletzt kompatibel mit den Backlashs unserer Gegenwart. 

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