„Trans-Atlantik“, 1953 erstmals in Polen erschienen, ist nach „Ferdydurke“ Witold Gombrowiczs zweites Meisterwerk: eine Satire auf patriotisches Denken, ein avanciertes Spiel mit dem Grotesken und ein urkomisches Selbstporträt des in Argentinien gestrandeten Autors.
Im August 1939 begibt sich der Autor Witold Gombrowicz auf einem Transatlantikliner auf die Reise nach Buenos Aires. Die Rückfahrkarte, ausgestellt auf den 1. September, lässt er allerdings verfallen. An diesem Tag begann bekanntlich der Zweite Weltkrieg mit dem Angriff Nazideutschlands auf Polen. Gombrowicz bleibt für die nächsten 24 Jahre in Argentinien.
Mit dieser autobiographischen Episode beginnt sein dritter Roman „Trans-Atlantik“, 1953 im Original und 1963 auch auf Deutsch erschienen. Der Roman „Ferdydurke“ aus dem Jahr 1938 hatte Gombrowicz bekannt gemacht, ein „Geniestreich“, wie der Übersetzer und Herausgeber Rolf Fieguth schreibt, aber eben kein einmaliger. Denn mit „Trans-Atlantik“, hochliterarisch wie der Vorgänger, habe er seinen Ruhm in der polnischen Literatur endgültig gefestigt.
Rolf Fieguth:
„Schlüsselroman, skandalisierende Satire, moral-humoristischer Traktat, doch zugleich und vor allem ist es das unbedingtere und auch geschlossenere Sprachkunstwerk, in welchem die artistische Fantasie, der Rausch, der Traum und die Schönheitssehnsucht inmitten aller Ekelhaftigkeit triumphieren.“
Balancieren auf verschiedenen Bedeutungsebenen
Aber wie es mit solch epochemachenden, dem Realismus nicht zugeneigten Werken zuweilen ist: Sie müssen ihren Weg auch zu nachgeborenen Lesern finden. Mit der Wiederveröffentlichung der 37 Jahre alten Hanser-Ausgabe im Kampa Verlag ist ein erster Schritt getan. Allerdings sollte man nicht erwarten, dass es einem der Text selbst ganz einfach macht, denn was Fieguth als hochliterarisch bezeichnet, deutet schon hin auf den Anspielungsreichtum, die sprachspielerische Lust, das Balancieren auf verschiedenen Bedeutungsebenen.
Die angesprochene moralisch-humoristische Dimension aber lässt sich leicht erkennen. Als der Titelheld, der den Namen des Autors trägt, in seinem Exil in Geldnöte gerät und seine polnischen Landsleute inklusive Minister anpumpt, ist das nicht ohne bitterernsten Witz.
Schelmische Naivität
Das Spiel mit Paradoxien, Übertreibungen, Wiederholungen, Absurditäten und den umgangssprachlichen Plauderton, der diesen Roman prägt, kann man hier schon bemerken. Damit sollen einerseits der Gestus des mündlichen Erzählens, andererseits die primitivistischen Sprachdeformationen der historischen Avantgarden nachvollzogen werden.
Auch der Rückgriff auf vormoderne Erzählungen wie den „Simplicissimus“ liegt Gombrowicz nicht fern. Das hat freilich einen höheren Zweck: Mit einer schelmischen, demaskierenden Naivität schlägt sich sein Held nicht nur mit seinen polnischen Landsleuten, sondern auch dem polnischen Nationalstolz herum, der hier satirisch verunstaltet wird.
Wie Gombrowicz in einem der zahlreichen Vorworte zu seinem Buch schreibt, stellt er dem gängigen idyllischen Menschenbild sein eigenes gegenüber: Die Welt sei geprägt von Fiktion und Lüge. Von Wahrhaftigkeit keine Spur. Stattdessen sind wir konfrontiert mit der Leere des Menschen – das Wort „leer“ fällt häufig in diesem Roman. Sie steht der Tiefe entgegen, die man dem menschlichen Wesen gerne zubilligen würde. Tragisch und albern ist er stattdessen.
Zum bösen Scherz oder heiteren Ernst des Buches gehört dementsprechend sein Schluss: „Da wummt das Lachen!“, heißt es auf der letzten Seite. Mit befreiendem, wummerndem Lachen endet dieser Roman einer Katastrophe, der den Autor Witold Gombrowicz auf die weltliterarische Landkarte gesetzt hat.
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