Sachbuch

Aus-Knopf für die Vernunft: Eine philosophische Kritik der Digitalisierung

Stand
Autor/in
Wilm Hüffer
Wilm Hüffer, Moderator von SWR Kultur am Abend

Wenige Tech-Milliardäre regieren die digitale Welt. Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Sundar Pichai und Elon Musk greifen auf die Daten von hunderten Millionen Menschen zu. Die US-Regierung plant den unregulierten Ausbau Künstlicher Intelligenz. In seinem Buch „Kritik der Digitalisierung“ analysiert der Stuttgarter Philosoph Daniel Martin Feige die Gefahren dieser Entwicklung. Wo nur noch instrumentell gedacht und berechnet wird, droht die Kultur der Vernunft auf der Strecke zu bleiben.

Warnungen gibt es, vor der Macht der Tech-Konzerne, vor dem Ausbau Künstlicher Intelligenz, vor Tech-Milliardären wie Elon Musk und ihrem Machbarkeitswahn. Doch was hier schiefläuft, kann man nur verstehen, wenn man ein Bild hat von der eigenen Vernunft. Davon, wie unser Denken funktioniert.

Warum digitale Systeme das Denken nur nachbauen können

Hier kann Philosophie Klarheit schaffen. Und das gelingt Daniel Martin Feige in seiner „Kritik der Digitalisierung“.

Dieses Buch zeigt sehr anschaulich, warum digitale Systeme nur etwas Nachgebautes sind. Warum sie das, was menschliche Vernunft leisten kann, eben nicht leisten, auch nicht die sogenannte Künstliche Intelligenz. Und dass es deshalb fatal ist, wenn wir uns der Logik des Digitalen unterwerfen.

Der Stuttgarter Philosoph Daniel Martin Feige
Der Philosoph Daniel Martin Feige ist Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart.

Kein Weg führt in die analoge Welt zurück

Aber der Reihe nach. Denn auch das spricht für dieses Buch: Es ist sehr gut aufgebaut. Zunächst zeigt es, dass es wenig hilft, sich in eine analoge Welt zurückzuwünschen. Daniel Martin Feige sagt es sehr deutlich: Was hier vor sich geht, ist ein qualitativer Wandel. Eine dauerhafte Veränderung unserer Welt.

Der entscheidende Mangel: Digitale Systeme können nur instrumentell denken - sofern der Begriff Denken hier überhaupt angebracht ist. Das bedeutet, digitale Systeme können zwar darauf getrimmt werden, definierte Ziele zu erreichen.

KI kann nicht über sich selbst nachdenken

Doch auch eine anspruchsvolle KI kann nicht das leisten, was für uns ganz selbstverständlich ist: nämlich zu beurteilen, ob das, worauf die Systeme trainiert werden, akzeptabel ist, wünschenswert, gut. Die ganze Welt des vernünftigen Arguments bleibt der KI verschlossen. Das, was sich altmodisch als geistiges Leben bezeichnen ließe.

Eine KI kann nicht reflektieren, ob das, was sie ausführt, einem öffentlichen Interesse dient. Ob es gefördert werden sollte - oder politisch reguliert - oder verboten.
Sie kann Probleme nicht moralisch diskutieren, unter Verweis auf Geschichte, Religion, Ethik oder Philosophie.

Die KI - nur ein „stochastischer Papagei“

KI bleibt, wie Daniel Martin Feige die Linguistin Emily Bender zitiert, ein „stochastischer Papagei“. Sie lässt sich mit Texten über Diskurse füttern, kann sie wiederholen oder frei zusammenstellen. Aber sie selbst kann nicht urteilen.

Das Problem daran ist: Wir selbst bemerken diesen Mangel nicht. Als Nutzerinnen und Nutzern bleibt er uns auf der praktischen Ebene weitgehend verborgen. Das heißt nur leider nicht, dass die Probleme nicht da sind. Im Gegenteil, hinter unserem Rücken läuft eine digitale Kolonisierung ab.

Faschismus als politische Spielart des instrumentellen Denkens

Während wir noch Diskussionen führen, ist es digitale Technik, die uns in politische Lager sortiert, in gesellschaftliche Klassen einteilt, die Gesellschaft polarisiert, unsere Daten nach Verwertungsinteressen klassifiziert. Und das Verrückte ist: Wir selbst beginnen uns dem Siegeszug der instrumentellen Datenverarbeitung zu beugen.

Der Machbarkeitswahn der Tech-Milliardäre macht Schule: Wer Einwände erhebt, wer bockig ist, der fliegt raus. Faschismus ist die politische Version dieses Denkens. Wer nicht nützt, muss gehen.

Selbst die Kunst soll auf einmal „nützlich“ werden

Daniel Martin Feige zeigt, dass dieses gefährliche Ideal inzwischen sogar im politisch linken Spektrum angekommen ist. Zum Beispiel in Diskussionen über die Kunst. Die soll nicht länger elitär und schöngeistig herumspinnen, sondern gefälligst Lösungen für Probleme anbieten. Kunst für Aktivisten. So aggressiv und dumm ist mittlerweile die Diskussion über Kernbereiche unserer Kultur.

Das ist die Pointe dieses spannenden Buchs von Daniel Martin Feige, seine „Kritik der Digitalisierung“: Nicht dass der Mensch digitale Technik nutzt, ist das Problem. Sondern dass er zugleich beginnt, die eigene Vernunft auszuschalten.

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