Spielfilmdebüt der deutschen Regisseurin Mareike Engelhardt

„Rabia“ im Kino – beklemmendes Kammerspiel über zwei junge Frauen beim IS

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland

In Erwartung eines besseren Lebens verlassen zwei junge Französinnen ihre Heimat, um sich in Syrien dem Islamischen Staat anzuschließen. Doch in Raqqa werden die Frauen in eine „Madafa“ geführt, ein Haus für zukünftige Ehefrauen von IS-Kämpfern. Der deutschen Regisseurin Mareike Engelhardt ist mit ihrem ersten Spielfilm eine facettenreiche Reflexion über die Macht des Wortes und die Mechanismen von Manipulation und Indoktrination gelungen.

Hoffnung auf ein besseres Leben

Eines Tages brechen die 19-jährige Jessica und ihre Freundin Laïla auf. Unzufrieden mit ihrem Alltag in Frankreich und angezogen von dem Versprechen eines besseren Lebens, vertrauen sie auf die zwei Ehemänner, die sie im Internet kennengelernt haben. Und sie träumen von einer glänzenden Zukunft an deren Seite. Sie glauben auch an die angeblichen „islamischen Werte"und machen sich auf nach Syrien.

Filmstill
Von dem Versprechen eines besseren Lebens gelockt, verlassen die 19-jährige Französin Jessica (Megan Northam) und ihre beste Freundin Laïla (Natacha Krief) ihre Heimat, um sich in Syrien dem Islamischen Staat anzuschließen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
In Raqqa angekommen, werden Pässe, Handys, Schmuck und Kleidung konfisziert und die Frauen in eine „Madafa“ geführt, ein Haus, das für zukünftige Ehefrauen von IS-Kämpfern bestimmt ist. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Gemeinsam mit Frauen aus verschiedenen Ländern unterwerfen sie sich strengen Regeln, beten, und huldigen den Kämpfern sowie deren vermeintliche Siege. Bild in Detailansicht öffnen
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Die charismatische Madame (Lubna Azabal), die das Haus mit eiserner Hand leitet, hat Jessica, die inzwischen den Namen Rabia trägt, ins Visier als ihre mögliche Nachfolgerin genommen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Rabia muss sich entscheiden, welches Leben sie führen will. Für Regisseurin Mareike Engelhardt steht das Leben in einer „Madafa“ im Zentrum ihres Films. In diesen Häusern, einer seltsamen Mischung aus Gefängnis, Bordell und Jugendherberge, sind unverheiratete Frauen oder Witwen eingesperrt, um sie schnellstmöglich zu verheiraten. Diese Orte wurden zumeist von Frauen geleitet. Bild in Detailansicht öffnen

Im Inneren einer „Madafa“, der „Ehefrauenunterkunft“

Ihr Traum zerbricht schon als sie in der „Ehefrauenunterkunft“ ankommen, die von einer faszinierenden „Madame" mit eiserner Hand geführt wird. Tatsächlich sind die beiden unbedarften Mädchen in den Fängen der ISIS gelandet, der Terrorgruppe des „Islamischen Staats“. Obwohl das Thema auf den ersten Blick nicht mehr besonders originell ist, besticht der Film durch seine Perspektive: Die Kamera gewährt einen direkten Einblick in die von der Terrormiliz ISIS kontrollierten Frauenhäuser.

Filmstill
In Raqqa angekommen, werden Pässe, Handys, Schmuck und Kleidung konfisziert und die Frauen in eine „Madafa“ geführt, ein Haus, das für zukünftige Ehefrauen von IS-Kämpfern bestimmt ist.

Strenge Regeln und Dessous

Die Realität vor Ort unterscheidet sich auch von unseren westlichen Vorurteilen. So etwa müssen sich die zukünftigen Ehefrauen zwar an strenge Regeln halten, sie probieren aber gleichzeitig verführerische Dessous aus, um ihren Männern zu gefallen. Ihr anfänglich sorgloses und naives Verhalten steht in krassem Gegensatz zu der düsteren Umgebung, in der sie gefangen sind.

Kammerspiel aus Sehnsucht und Psychoterror

Die Regisseurin filmt diese Realität mit einer schlichten und intimen Herangehensweise. Die Kamera fängt die Körper der Frauen ein und verweilt bei alltäglichen Szenen wie den täglichen Pflichten oder der Körperpflege. Die Kameraarbeit ist präzise und die Bildgestaltung äußerst sorgfältig, um die Figuren so nah wie möglich zu begleiten und deren Umgebung realistisch darzustellen. So ist das Ergebnis ein hartes und beklemmendes Kammerspiel aus Sehnsucht und Psychoterror.

Filmstill
Gemeinsam mit Frauen aus verschiedenen Ländern unterwerfen sie sich strengen Regeln, beten, und huldigen den Kämpfern sowie deren vermeintliche Siege.

Verwandlung der Frauen in fromme Ehefrauen

Nach und nach verlieren die Frauen alles, was sie einst zu freien Menschen machte: Zuerst ihre persönlichen Besitztümer – insbesondere ihre Bücher und Telefone, die sie mit Wissen und der Außenwelt verbanden – dann ihre westliche Kleidung, die durch lange, den Körper fast vollständig verhüllende Gewänder ersetzt wird, und schließlich ihren eigenen Willen.

Über allem herrscht die Madame

Die „Madame“ überwacht sie mit eiserner Autorität, durch die sie zu fügsamen Ehefrauen oder zukünftigen Predigerinnen geformt werden sollen. Die Regisseurin spiegelt in ihrer Inszenierung dieses zunehmende Gefühl von Gefangenschaft: Enge, dunkle und heruntergekommene Räume, sparsam eingesetzte Musik oder bedrückende Soundkulisse verstärken das Gefühl eines erdrückenden Alltags.

Lubna Azabal als „Madame“: Erschreckend überzeugend

Megan Northam spielt mit viel Können die junge, blauäugige Westlerin, die im Zentrum steht und durch das rigide System des Frauenhauses langsam geformt und entmenschlicht wird. Die franco-belgische Lubna Azabal ist in ihrer Rolle als strenge, gleichzeitig sanfte und immer charismatische Leiterin des Hauses erschreckend überzeugend. Die Beziehung zwischen den beiden Frauen ist faszinierend in ihrer Ambivalenz und latenten Perversion.

Der Regisseurin ist eine facettenreiche Reflexion über die Macht des Wortes und über Mechanismen von Manipulation und Indoktrination geglückt.

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