Kakerlaken, Känguruhoden und Kulturkritik

Warum das Dschungelcamp mehr ist als seichte Unterhaltung

Stand
Autor/in
Samira Straub

Seit über 20 Jahren polarisiert das Dschungelcamp wie kaum ein anderes Fernsehformat: Geliebt von Fans aus allen gesellschaftlichen Schichten, verachtet von seinen Kritikern als Symbol einer verrohenden Gesellschaft. Wie lässt sich die Faszination erklären?

Es geht wieder los: Zwischen Kakerlaken und Kadavern kämpfen Stars, Sternchen und solche, die es noch werden wollen, im australischen Dschungel erbittert um Sterne und Kamerazeit. Mit dabei: ein Millionenpublikum auf RTL, Jahr für Jahr.

Während sich die einen angewidert abwenden, tauchen die anderen mit sichtbarer Begeisterung in das absonderliche Spektakel ein.

Das „Dschungelcamp“: Ein Kopf badet in Kakerlaken während einer Dschungelprüfung
Trash-TV wie das Dschungelcamp spricht grundlegende menschliche Bedürfnisse an: Unterhaltung, Eskapismus und sozialen Vergleich.

Oft abgestempelt als anspruchsloses Trash-TV („Müll-Fernsehen“) finden sich jedoch auch Akademiker und Kulturaffine unter der begeisterten Zuschauerschaft von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“.

Das ist kein Zufall: Hinter der oberflächlichen Häme über Würgegeräusche und Ungeziefer verbirgt sich ein soziokulturelles Phänomen, das mehr über uns erzählt, als wir vielleicht zugeben möchten.

Das „Dschungelcamp“: Geteerte und gefederte Kandidaten
Geteert und gefedert werden die Stars im Dschungelcamp nicht nur metaphorisch.

Ekel in Dschungelprüfungen als Alltagsbewältigung

Trash-TV bietet Eskapismus in einer zunehmend komplexen Welt: Leicht konsumierbar und ohne emotionale Belastung bedeutet der Dschungel für viele Zuschauer Entspannung pur. Doch dahinter steckt mehr, als es scheint.

Die grotesken Prüfungen wirken fast kathartisch: Sie relativieren die eigene Lebensrealität und schaffen Distanz zum Alltag – eine paradoxe Mischung aus niedrigschwelliger Inszenierung und spannender Dynamik. Zwischen Känguruhoden und Kakerlaken machen die oft kritisierten Ekel-Prüfungen Grenzen erlebbar, ohne selbst betroffen zu sein.

Das „Dschungelcamp“: Eine der gefürchteten "Essprüfungen"
Medienpsychologisch betrachtet spielt der Ekel, genau wie bei den Kritikern, im Dschungelcamp eine Schlüsselrolle.

Trash-TV als Spiegel der Gesellschaft

Das Dschungelcamp wird zum Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse: Die Inszenierung der Kandidaten als „gescheiterte Prominente“ betont die Instabilität von Ruhm und erinnert daran, dass sozialer Status ein flüchtiges Konstrukt ist.

Gleichzeitig entzaubert Trash-TV den Starkult, wenn vermeintlich unfehlbare Stars in Alltagssituationen oder peinlichen Momenten gezeigt werden. Die Inszenierung des Scheiterns und die Gier nach Aufmerksamkeit werden zur kathartischen Läuterung, für Kandidaten wie Zuschauer.

Das „Dschungelcamp“: Sarah Knappik im Dschungeltelefon
Bekannt wurde Sarah Knappik als angehendes Model in Heidi Klums „Germany's Next Topmodel“: Vom tadellosen Look eines Fotomodells war jedoch im Dschungelcamp nicht mehr viel übrig.

Wenn die Stars sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten erzählen, sitzen klischeehafte Darstellungen und stereotype Geschlechterkonflikte immer mit am Lagerfeuer. Doch die Kandidaten bekommen die Möglichkeit, diese Rollen zu unterlaufen und neue Identitäten zu etablieren.

Voyeurismus mit kulturellem Alibi

Voyeurismus gilt als Kernelement des Trash-Genres und wird häufig symptomatisch für eine Gesellschaft gesehen, die immer mehr auf Sensationslust und Schadenfreude baut. Zweifelsohne ist der voyeuristische Reiz der große Selling Point des Formats.

Es ist der Realitätsverlust, der Trash TV so spannend macht. Diese Inszenierungen von echten Emotionen zeigen die Verzerrung dessen, was eigentlich noch als ‚wirklich‘ gilt. Und das ist für viele Zuschauer ein zutiefst faszinierendes, fast schon voyeuristisches Erlebnis.

Dabei ähnelt der Blick auf das Dschungelcamp mitunter der Beobachtung eines klassischen Theaterstücks. Die Darsteller arbeiten hier lediglich nicht mit Skripten, sondern mit ihren persönlichen Facetten und Schwächen.

Das „Dschungelcamp“: Djamila Rowe
Das Dschungelcamp kann für Stars nicht nur Karrieresprungbrett sein, sondern auch einen Imagewechsel oder Rehabilitation herbeiführen. Djamila Rowe wurde als Nachrückerin 2023 zum unerwarteten Publikumsliebling.

Die Erzählweise der Show mit Konflikten, Wendungen und Auflösungen folgt dramaturgischen Prinzipien und erzeugt unterbewusste Anziehungskraft. Suchtpotenzial vor dem Fernseher!

Anja Rützel über ihre Arbeit als Trash-TV-Kolumnistin:

Ein Fernsehformat als sozialer Kleber

Oft wird der voyeuristische Reiz des Formats durch ironische Rezeption legitimiert. Man schaut nicht nur, um sich zu amüsieren, sondern auch, um darüber zu reflektieren oder kritisch zu kommentieren.

Das eint die Dschungel-Fans: Der Sternekampf im australischen Dschungel wird zur Meta-Erfahrung, bei der die Teilnahme am popkulturellen Diskurs genauso wichtig wird wie die Sendung selbst.

Das Lästern und Austauschen über die Sendung gehört zum Ritual, für zwei Wochen wird das Dschungelcamp zum sozialen Kleber. Wer Trash-TV und insbesondere „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ konsumiert, verschafft sich gleichzeitig kulturelles Kapital: nicht trotz, sondern wegen der vermeintlich niedrigen Unterhaltung.

Auch in diesem Jahr werden die Dschungelbewohner wieder für zwei Wochen den digitalen Diskurs mitprägen. Plattformen wie X oder Reddit fördern den gemeinsamen Austausch und das „Live-Kommentieren“ formt temporäre Gemeinschaften, in denen kulturelle Teilhabe gelebt wird.

Das „Dschungelcamp“: Eine der beliebtesten Dschungelprüfungen unter den
Ikonische Momente wie die unter Fans beliebte Auto-Prüfung, bei der die Stars ihrer Sinne beraubt werden, gedeihen schnell zu popkulturellen Referenzen wie Memes.

Irgendwo zwischen Trash und anspruchsvoller Satire

Immer wieder durchbrechen Moderatoren wie Kandidaten die vierte Wand, wenden sich direkt an die Zuschauer und schaffen so Bindung. Die sarkastische Moderation gibt dem kritischen Zuschauer Bestätigung.

Vor allem Sonja Zietlow ist mit ihren pointierten und bissigen Kommentaren das Salz in der Dschungelsuppe. Gesellschaftskritische Untertöne und ironische Anspielungen sprechen ein breites Publikum an, wobei der Humor gekonnt zwischen Trash und anspruchsvoller Satire pendelt.

Das „Dschungelcamp“: Moderatorenteam Sonja Zietlow und Jan Köppen
In den Anfangsjahren des Dschungelcamps moderierte Dirk Bach an Zietlows Seite, später war es Daniel Hartwich. Seit dem vergangenen Jahr ist Jan Köppen in Australien dabei.

Professionelle Produktion im Dschungel

Produktionsseitig steckt hinter dem vermeintlich „billigen Trash“ viel Professionalität und kreative Arbeit. Das macht das Format auch für kritische Geister interessant. Ein prominenter und stilprägender Kopf im Autorenteam ist Micky Beisenherz, der seit vielen Jahren maßgeblich an den Texten für die Dschungelmoderation beteiligt ist.

Der Trash-Charakter der Sendung wird auch durch die Musik aufgebrochen. Die musikalischen Einlagen in „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ sind oft subtile Insider-Witze, die ein aufmerksames Publikum belohnen und der Show eine zusätzliche Meta-Ebene verleihen.

Das „Dschungelcamp“: Moderatorin Sonja Zietlow mit sarkastischer Mine
Sonja Zietlow ist bekannt und beliebt für ihren schlagfertigen und teils bitterbösen Moderationsstil.

Das Dschungelcamp als Vehikel für ironischen Genuss

Die Kontroverse um das Dschungelcamp ist Teil seines Erfolgs. Während Kritiker das Format als kulturellen Tiefpunkt sehen, lieben Fans gerade die Mischung aus Absurdität und Echtheit.

„Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ ist ein skurriles Kaleidoskop menschlicher Verhaltensweisen, ein soziologisches Labor und ein Vehikel für ironischen Genuss. Allein die Vielschichtigkeit hinter der Oberfläche muss man erkennen, natürlich neben der bewussten Freude an der fehlenden Tiefe.

Weit mehr als bloße Unterhaltung

Am Ende bleibt Trash-TV wie das legendäre Lagerfeuer des Dschungelcamps: Ein Ort, an dem die einen schamlos ihre abgezählten Zigaretten rauchen, während die anderen sich mit entsetztem Blick über den Gestank beschweren.

Diese Ambivalenz macht Trash-TV zu einem kulturellen Phänomen, das weit über bloße Unterhaltung hinausgeht. Das Dschungelcamp zeigt uns, dass selbst die vermeintlich seichtesten Unterhaltungssendungen tief in gesellschaftliche und kulturelle Dynamiken eingebunden sind.

Trashifizierung des Glaubens? Missionieren mit Trash-TV? Wie sich die Kirchen zur „Passion“ auf RTL positionieren

RTL verwurstet die Passionsgeschichte als großes TV-Spektakel mit grenzwertiger Pop-Auswahl. Doch wer denkt, die Kirchen fremdeln mit Trash zur besten Sendezeit, der irrt.

Gespräch Anja Rützel: „Ich fühle mich bei meinen Texten in einer Verantwortung”

Egal ob sie über einen Kuraufenthalt, die Queen oder ein fragwürdiges Format im Privatfernsehen schreibt - die Zeitungs-Texte von Anja Rützel sind legendär und werden selbst von denen gelesen, die sich weder für den Adel noch für Trash-TV interessieren.

SWR2 Zeitgenossen SWR2

Stand
Autor/in
Samira Straub