Puccini am Opernhaus Zürich

Kutschfahrt in den Tod: Barrie Kosky inszeniert „Manon Lescaut“

Stand
Autor/in
Bernd Künzig
Onlinefassung
Dominic Konrad

Giacomo Puccinis erste große Erfolgsoper „Manon Lescaut“ überwältigt durch grandiose Musik. Am Opernhaus Zürich hat Barrie Kosky, ein idealer Regisseur gerade für Bilder der Weiblichkeit, die oft mit falschen Klischees behaftet sind, Puccinis Oper neu befragt. Elena Stikhina brilliert in der Titelpartie, Marco Amiliato überzeugt mit explosivem Dirigat.

Amiens liegt auf halber Strecke zwischen Paris und Brüssel. In Belgien hat der Maler James Ensor ein eigenartiges Panoptikum von Bürgern in bunten Farben und clownhafter Maskerade auf die Leinwand gebracht. Oft gesellen sich bekleidete Skelette zu ihnen.

Eine solche Gesellschaft, Ensors Gemälde „Die Intrige“ entnommen, versammelt sich nun im ersten Akt von Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“ in Barrie Koskys Inszenierung am Opernhaus Zürich.

Manon Lescaut von Giacomo Puccini am Opernhaus Zürich: Ensemble mit Totenkopf-Masken vor einer vollen Reisekutsche
Reisen wie in den Bildern des belgischen Malers James Ensor: In Barrie Koskys Inszenierung wird die Reise der Manon Lescaut zu einem regelrechten Totentanz.

Es beginnt in Amiens auf einer Poststation mit einer Intrige. Manon soll eigentlich ins Kloster, der Bruder versucht sie aber an den reichen Geronte zu verkaufen. Der Möchtegern-Poet Des Grieux verliebt sich auf den ersten Blick und entführt sie nach Paris.

Es sind lebenshungrige, junge Menschen, die hier in eine Verwesungsgesellschaft geraten sind. Darstellerisch und stimmlich der grandiose Chor der Oper Zürich. 

Manon Lescaut von Giacomo Puccini am Opernhaus Zürich: Lescaut (Konstantin Shushakov) lachend vor der goldenen Reisekutsche
Ihr Bruder Lescaut (Konstantin Shushakov) möchte die schöne Manon dem reichen Steuerpächter Geronte zuführen.

Manon auf Kutschfahrt in den Tod

Das 18. Jahrhundert hat Kosky gekippt, aber die von Pferden gezogene Reisekutsche gibt es. Ihr Kutscher: ein uniformiertes Skelett. Diese Reise geht in den Tod. Und „Manon Lescaut“ ist ein Stationendrama: Amiens, Paris, Le Havre, von wo aus die Geronte hintergehende Manon deportiert werden soll und Amerika, wo sie verdurstend in den Armen des hilflosen Des Grieux verendet.

Vier von Rufus Didwiszus gestaltete Kutschen entsprechen diesen vier Stationen. Eine goldene, barock geschmückte für den goldenen Käfig Gerontes, aus dem Manon sich von Des Grieux befreien lässt, eine vergitterte Gefängniskutsche für die Deportation und schließlich das Skelett einer Kutsche, das Des Grieux und Manon am Ende selbst durch die Wüste ziehen müssen. 

Manon Lescaut von Giacomo Puccini am Opernhaus Zürich: Chevalier Des Grieux (Saimir Pirgu) zwischen Frauen hinter Gittern.
Auf der Suche nach der Geliebten: Chevalier Des Grieux (Saimir Pirgu) durchkämmt das Frauengefängnis.

Die Stationen sind wie Szenen eines Films, der absichtsvoll auf Lücke gesetzt ist durch einige Handlungsauslassungen. Die Hauptfiguren in diesem Melodram sind Menschen unserer gegenwärtigen Realität.

Konfrontiert werden sie mit dem an Ensor angelehnten Surrealismus einer Masse, die mal heiter, mal festlich, mal boshaft gestimmt ist. Der Tod aber sitzt immer unter ihnen. 

Elena Stikhina billiert als Manon Lescaut

Und dann ist da Manon, die nur leben will, aber zum Gegenstand allerlei männlichen Begehrens gemacht wird. Vom Bruder Lescaut, von Geronte und auch von Des Grieux. Nur im Tod kann sie sie selbst sein.

Hier zeigt sich, welch großartiger Opernregisseur Barrie Kosky ist. Vor einer verblassten Landschaftstapete singt sie in der Leere der Bühne stehend ihr letztes Bekenntnis des Lebenswillens, bevor sie zusammenbricht.

Manon Lescaut von Giacomo Puccini am Opernhaus Zürich
Die russische Sopranistin gibt in Zürich eine überzeugende Manon Lescaut, findet SWR Kultur Opernkritiker Bernd Künzig.

Hier ist alles auf eine Karte gesetzt. Die heißt Elena Stikhina, mit einer grandios überwältigenden Wandlungsfähigkeit von der Unschuld, über Rebellion und Verzweiflung bis hin zur tragisch schuldlos in den Verdurstungstod Getriebenen. Und nie verlässt sie die lyrische Schönheit. 

Exzellente Besetzungen bei den Männerrollen

Daneben haben es alle anderen schwer. Sie sind dennoch exzellent, der geschmeidige Konstantin Shushakov als Lescaut, Shavleg Armasi als lüstern-gefährlicher Geronte und der strahlende Saimir Pirgu als hell-forscher Des Grieux.

Aber die Oper heißt nun einmal „Manon Lescaut“. Sie steht hier wie vor einer Filmkamera im Zentrum eines Melodrams à la Hitchcock

Manon Lescaut von Giacomo Puccini am Opernhaus Zürich
Tragisches Ende in der Wüste: Manon (Elena Stikhina) wurde von Geronte verklagt und zur Haft in einer amerikanischen Strafkolonie verurteilt. Des Grieux (Saimir Pirgu) folgt ihr, auch beim Fluchtversuch in die Wüste.

Barrie Kosky gelingt vollendetes Musiktheater

In dieser präfilmischen Sichtweise wird Kosky kongenial von Marco Armiliato am Pult der Philharmonia Zürich mit einem explosiven Dirigat unterstützt. Er leitet Puccinis sinfonischen Fluss mit passendem Drive und perfekter Akzentuierung der oft unterschätzten instrumentatorischen Raffinesse.

Warum Kosky am Ende ein paar Buhs abbekommt, ist unverständlich. Denn diese Züricher „Manon Lescaut“ ist perfekt vollendetes Musiktheater.        

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