In Deutschland sind rund 16.000 Brücken sanierungsbedürftig. Sie sind zu alt, zu belastet und die Materialien zu verbraucht. Fahren wir also mit Vollgas ins Unglück?
Zeitbombe Brücken – Mit Vollgas ins Unglück?
Unser Straßen- und Brückennetz ist das Nervensystem unserer Zivilisation, vielleicht die wichtigste architektonische Errungenschaft. Aber wenn unsere Verbindungswege nicht funktionieren, haben wir, egal ob in der Ukraine, Indien, Genua oder hierzulande, ein großes Problem. Dass viele Brücken in Deutschland marode sind, ist eigentlich bekannt, aber dass es noch mehr sind wie befürchtet und die sogar spontan versagen könnten, das erschreckt mittlerweile sogar Experten - bis hin zu unserem Verkehrsminister selbst.
Dazu prägen kilometerlange Staus aufgrund von Vollsperrungen, Sprengungen und Umleitungen unseren Alltag, schaden der Wirtschaft, dem Miteinander und der Mobilität. In der südwestfälischen Kleinstadt Lüdenscheid wird das momentan wohl am deutlichsten. Seit Dezember 2021 ist die Autobahnbrücke Rahmede der A45 komplett gesperrt. Die Diagnose der Brückenkontrolleure: Beschädigungen an tragenden Stellen. Eine Ausweichmöglichkeit, etwa eine Ersatz-Brücke, gibt es nicht. Dabei lag der Beschluss zur Sanierung schon seit 2014 vor. Seitdem fahren tag täglich 6.000 LKW und 14.000 PKW eine Umleitung mitten durch Lüdenscheid. Eine enorme Belastung. Und Lüdenscheid ist überall in Deutschland.
Wie groß ist überhaupt die Dimension? Wie viele Brücken sind überhaupt marode?
Laut einer Studie und den offiziellen Zahlen gibt es in Deutschland insgesamt rund 130.000 Brücken. Im Zuständigkeitsbereich des Bundes sind von etwa 40.000 Verbindungen 1.600 marode. In den Kommunen sind etwa 13.500 Brücken sanierungsbedürftig und bei der Deutschen Bahn rund 1.000 von den 25.000 Existierenden in der Zuständigkeit der Deutschen Bahn. Die klimafreundlichere Schiene als Alternative zum Schwerlastverkehr auf der Straße funktioniert auch wegen dieser Brückenproblematik deshalb nur begrenzt.
Alles in allem sind deutschlandweit also insgesamt rund 16.000 Brückenbauwerke sanierungsbedürftig. Reparatur-Kosten nur für die Bundes-Brücken rund 2,5 Milliarden Euro jährlich. Viele Brückenbauwerke sind einfach zu alt, zu belastet und die Materialien zu verbraucht. Der Stahlbeton rostet, die Bahn- und Straßenverkehrsbrücken sind nicht für den zu schweren Lastverkehr konzipiert worden und die Statik gerät aus den Fugen. Dazu hat sich der Güterverkehr seit 1960 mehr als verdreifacht.
Geplant wurden die Spannbeton- und Stahlbetonbrücken, die bei uns größtenteils in den 60er-80er Jahren gebaut wurden, für rund 80 Jahre, durch die Mehrbelastung halten sie jetzt aber nur noch 60 Jahre. Das konnte man unmöglich erahnen, so die Fachleute, denn mittlerweile belastet ein LKW eine Brücke so sehr wie über 100.000 PKW, sagen sie. Dazu kommt der sogenannte Dominoeffekt, der eintritt, wenn die LKWs eine gesperrte Brücke umfahren müssen, dann aber eine andere Brücke mehr belasten, die dann ebenfalls schneller marodiert und gesperrt werden muss.
Wie prüfen wir überhaupt?
Aber vielleicht liegt die erschreckende Menge maroder Brücken nur daran, dass wir zu viel und zu genau prüfen. Nehmen wir also eine Brückenprüfung nach der deutschen Norm DIN 1076 genauer unter die Lupe. Sie soll die Standsicherheit, Traglastfähigkeit und die verkehrssichere Nutzung des Brückenbauwerks sicherstellen. Alle sechs Jahre werden deshalb Brücken hierzulande einer Hauptprüfung unterzogen, alle drei Jahre wird einfach geprüft und einmal jährlich gesichtet.
Die Prüfer vergeben beim Brücken-TÜV Noten von 1 bis 4. Ein ungenügender Bauwerkszustand beginnt ab Note 3,5. Dabei prüfen Bauwerksprüfingenieure zuerst einmal mit den Sinnen und dann mit einer handnahen Hammerprüfung. Profis hören sofort, wenn etwas nicht stimmt, also der Beton hohl oder dumpf klingt. Denn vor allem Streusalz im Winter beschädigt das Material. Die Chloride im Streusalz oder die Schadstoffe aus dem Regen dringen in den Baustoff ein und verursachen hörbare Hohlstellen. Im Großen und Ganzen kommt es aber durch die genauen Prüfungen in Deutschland zu einer sehr guten Einordnung des Bauwerkszustands, sodass man sich über sogenannte Spontanversagen nur wenig Gedanken machen muss.
In Neckarsulm an der Wehrbrücke ergab zum Beispiel ein Belastungstest, nach der oben beschriebenen Hauptprüfung, dass ein beladener LKW über 3,5 Tonnen, die Brücke zum Bröckeln bringen könnte. Aus Angst vor einem Spontanversagen sperrte man die eine Richtung für LKW über 3,5 Tonnen komplett und überwacht seitdem mit Hilfe modernster Diagnosetechnik und Sensorik, im Fachjargon Health-Monitoring genannt, täglich die Beschaffenheit des Bauwerks. Nur so kann man hier, bis in etwa 5-10 Jahren eine Ersatzbrücke steht, eine Vollsperrung wie in Lüdenscheid vermeiden. Der Schaden für die ganze Region wäre sonst immens. Allein in Lüdenscheid schätzen die Wirtschaftsökonomen der Region den volkswirtschaftlichen Schaden pro Tag auf ca. eine Millionen Euro.
Modulare Bauweise oder auch andere Lösungen für die Brücken von morgen?
Alle Experten sind sich einig. Die Zukunft des Bauens, auch des Brückenbauens ist modular, denn das wäre schneller, kostengünstiger und flexibler.
Allerdings muss jeder Neubau auf die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden und so funktioniert modulares Bauen hierzulande erstmals nur in wenigen Fällen, denn das macht es planungsintensiver und oftmals dann weniger haltbar. In China ist das üblich. Gebaut wird in nur einem Drittel der Bauzeit. Allerdings abseits aller rechtlichen Fragen und ganz sicher nicht so dauerhaft. Wollen wir das wirklich? Bei Brücken setzen WIR hierzulande eher auf Nachhaltigkeit. Und die dauert eben, auch wegen des Fachkräftemangels und den speziellen Planungsverfahren, die man sicherlich noch anpassen und vereinfachen könnte.
Eine andere Lösung für das Brückenchaos könnten moderne Überwachungsmethoden an Bestandsbauwerken sein, um deren Lebenszeit zu verlängern. An der Hochheimer Brücke wird z.B. das Faseroptikbasierte Monitoring gerade zum ersten Mal in dieser Größenordnung ausprobiert. Auch an neuen Materialien wird geforscht.
An der Uni Stuttgart beschäftigt man sich z.B. mit Carbon- oder Basalt-Beton, die Vorteile in Bezug auf Langlebigkeit und Nachhaltigkeit haben. Sogenannte adaptive, also intelligente Brücken, sind die dritte Option zur Brücken-Erhaltungs-Strategie seitens der Wissenschaft. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und „einer Art Dämpfungs-System“ versucht man die Belastungen für Brücken zu reduzieren.
Doch das alles macht nur Sinn, wenn auch jeder einzelne von uns versteht, was unser Verhalten für Auswirkungen auf die direkte Umgebung hat. Bei unserem eigenen kleinen „Maroden-Brücken-Auswirkungs-Praxis-Test“, den wir mit Hilfe zweier Trucker aus Aalen durchgeführt haben, hätten so jährlich 2,5 Mio. Umweg-Kilometer, 1.800 t Co2, 700.000 Liter Sprit und 41.000 Mehrarbeitsstunden, eingespart werden können.
Linktipps und Adressen:
Karte aller maroden Brückenbauwerke im Zuständigkeitsbereich der Autobahn GmbH
Karte aller maroden Brückenbauwerke im Zuständigkeitsbereich der Deutschen Bahn
Info-Sheet des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr zur Brückenmodernisierung.
Vertiefende Informationen: Internet-Links zu Studien (auch als PDF) mit kurzer Inhaltsangabe.
Eine der wenigen deutschen Speditionen mit Nachhaltigkeitsstrategie.
Bürgerservice (Bundesministerium für Digitales und Verkehr)
Berlin
Tel.: 030-18 300-3060
E-Mail: buergerinfo@bmdv.bund.de
Lesetipp:
Buchtitel: Set: Werkstoffübergreifendes Entwerfen und Konstruieren: Band 1: Einwirkung, Widerstand, Tragwerk / Band 2: Bauteile, Hallen, Geschossbauten
Autoren: Prof. Balthasar Novák, Ulrike Kuhlmann, Mathias Euler
Verlagsangaben: ISBN 978-3433030127, Herausgeber: Ernst & Sohn; 1. Edition (22. November 2023)
Sonstiges: 1068 Seiten, 98 Euro