Als vor einem Jahr der russische Angriffskrieg in der Ukraine beginnt, befinden sich sechs Menschen auf der Internationalen Raumstation ISS – unter ihnen ist der deutsche Matthias Maurer. Er berichtet, was der Kriegsbeginn auf der ISS bedeutet hat.
Als die russischen Soldaten im Februar in die Ukraine einfallen sind gerade sechs Menschen auf der Internationalen Raumstation ISS: Drei Amerikaner, zwei Russen und ein Europäer. Es ist ein Deutscher: Matthias Maurer. Er erlebt hautnah, was der Beginn des Krieges auf der ISS verändert, was in den Stunden und Tagen nach Kriegsausbruch dort geschieht. Ebenso wird ein früherer Chef der Europäischen Raumfahrtagentur ESA mit Veränderungen infolge des Krieges konfrontiert.
Seit 22 Jahren Zusammenarbeit zwischen West und Ost auf der ISS
Der Einfall der russischen Truppen in die Ukraine ist für Matthias Maurer an Bord der ISS ein Einschnitt. Seine Stimmung ist am Tiefpunkt während er um die Erde kreist.
22 Jahre lang hatten West und Ost durch die Zusammenarbeit auf der ISS Vertrauen aufgebaut. Aber am Tag des Kriegsausbruchs überlegt Maurer, ob und wie er überhaupt diese beklemmende Stimmung an Bord der ISS durchbrechen und mit seinen russischen Kollegen in ein Gespräch über den Kriegsausbruch kommen kann.
Das erlebte der ehemalige Chef der Europäischen Weltraumagentur
Während Maurer an diesem 24. Februar 2022 noch zögert, greift in Darmstadt Jan Wörner zum Telefon. Als ehemaliger Chef der Europäischen Weltraumagentur verfügt er zu diesem Zeitpunkt noch über einen freundschaftlichen Draht zu Dimitrij Rogosin, dem Chef der russischen Raumfahrtbehörde. Wörner meldet sich besorgt bei Rogosin, der ihm aber versichert, dass die vielfältige europäisch-russische Kooperation im Weltraum unter dem Krieg kaum leiden werde, denn, so Rogosin, in drei Tagen sei die Ukraine besiegt und der Krieg zu Ende.
Als das so nicht eintritt, wird der russische Raumfahrtchef in den folgenden Tagen gegenüber dem weiter den Kontakt suchenden Wörner immer ungehaltener. Zwischen zwei bis dahin partnerschaftlich verbundenen Kollegen reißt der Gesprächsfaden ab.
Matthias Maurer auf der ISS dagegen findet schließlich ein unverfängliches Thema, um mit seinem russischen Kollegen ein Gespräch über den Krieg zu beginnen. Einer der Kosmonauten hat nämlich Familie auf der Krim, erzählt Maurer:
Maurer bemerkt aber, dass seine Kosmonautenkollegen zunächst der russischen Propaganda glauben, der zufolge in der Ukraine Terroristen bekämpft werden müssten. Erst Tage später verstehen sie, dass es sich um einen russischen Angriffskrieg handelt und distanzieren sich davon.
Auch für die ISS begann mit dem Kriegsbeginn eine neue Ära
Nach dem 24. Februar macht es sich Maurer an Bord der ISS zur Aufgabe, darauf zu achten, dass jede weitere Belastung für den Zusammenhalt auf der ISS vermieden wird. Dazu dienen ihm auch kleine Gesten: Da die russischen Kreditkarten wegen der Sanktionen nicht mehr funktionieren, bucht Maurer mit seiner Kreditkarte für seine russischen Kollegen die auf der ISS beliebten westlichen Musikstreamingdienste. Doch auch wenn der Zusammenhalt in der Erdumlaufbahn so gewahrt bleibt – Mit dem 24. Februar 2022 ist die kleine Welt auf der Raumstation eine andere geworden.
Auch für die ISS – ein Friedensprojekt aus den 1990ern – hat mit dem Tag des Überfalls auf die Ukraine eine neue Ära begonnen. Im amerikanischen Teil der Raumstation, in dem auch Maurer untergebracht ist, beginnt nach Kriegsbeginn die Diskussion, ob man nicht von der ISS aus eine Friedensbotschaft formulieren sollte, die Bodenkontrolle in Houston schreitet ein, berichtet Maurer: