Nacktkatzen ohne Fell, schwanzlose Bulldoggen mit riesigen Leffzen – Tiere, denen bestimmte Körpermerkmale an- oder auch weggezüchtet wurden. Solche Züchtungen sind laut Tierschutzgesetz streng verboten – eigentlich! Doch der Handel mit solchen Tieren geht weiter.
Manche finden sie einfach süß. Doch was so putzig daherkommt, stammt in der Regel aus einer sogenannten Qualzucht. Eine neue von Tierärzten und Juristen initierte Webseite unter dem Titel QUEN will Licht ins Dunkel bringen und die zuständigen Aufsichtsbehörden endlich zum Handeln zwingen.
Paul und Michaela Müller (Name von der Redaktion geändert) sind langjährige Züchter. Sie haben sich auf Nacktkatzen ohne Fell und Tasthaare und schwanzlose Bulldoggen mit riesigen Leffzen spezialisiert. Ihre richtigen Namen wollen beide nicht im Radio hören. Denn was sie hier treiben, ist illegal. Angst vor Konsequenzen haben sie aber nicht, weder vor einer Anzeige noch vor einer Strafe und verkaufen daher ihre Tiere ohne jede Skrupel in Internetbörsen, auf Märkten und in Zeitungsannoncen. Qualzuchten sind zwar laut § 11b des Tierschutzgesetzes verboten. Doch keiner sieht genau hin.
Veterinärbehörden suchen in der Regel nicht aktiv nach Qualzüchtern
Eigentlich müsste der Vollzug durch die Veterinärbehörden erfolgen, so die Fachtierärztin für Tierschutz und Tierethik Diana Plange. Doch daran hapere es, weil auch zu wenig Zeit und zu wenig Ressourcen da sind. Das Problem sei, dass man da jemanden haben müsse, der sich hinsetzt und das Internet nach solchen Anzeigen durchfilzt und diesen Anzeigen dann auch nachgeht. Dann ist dieser Züchter aber möglicherweise nicht im Zuständigkeitsbereich des Veterinäramtes, das gerade sucht. Und die Gerichte orientieren sich, so Plange, gerne danach, was schon mal jemand verboten hat und an deren Argumentation.
Diana Lange hat viele Jahre in Veterinärämtern gearbeitet, war bis 2020 Berliner Landestierschutzbeauftragte und ist zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Berliner Landestierärztekammer Mitinitiatorin der neu freigeschalteten Internetseite QUEN. QUEN steht für Qualzucht Evidenz Netzwerk. Es bietet rechtliche Informationen für alle, die aktiv etwas gegen Qualzuchten unternehmen wollen, richtet sich aber besonders an Veterinärämter, Tierschutzorganisationen und Juristen. Zu finden sind hier zum Beispiel Basisdaten zu den verschiedenen Tierarten, Rechtsgutachten, Urteile und Kontaktmöglichkeiten.
Auch Fische, Meerschweinchen oder Schildkröten kommen oft aus Qualzuchten
Ob bei Fischen, Kaninchen, Hamstern, Meerschweinchen, Mäusen, Schlangen oder bei Schildkröten, es gibt, so Lange, praktisch keine Tierarten mehr, bei denen es keine Defekte gebe.
Für die sogenannten Nutztiere in den Ställen wiederum wurde der Begriff der Qualzucht im Gesetz nicht einmal präzisiert. Versuchstiere, die züchterisch für den Einsatz im Tierversuch optimiert werden, sind von dem Verbot der Qualzucht sogar gesetzlich ausdrücklich ausgenommen.
Tierschutz sollte dem Umwelt-Ressort unterstellt sein
Diana Lange hält es für wichtig, dass künftig nicht mehr das Landwirtschaftsministerium für den Tierschutz zuständig sei. Der Tierschutz, so Lange, gehöre eigentlich zur Umwelt, sonst mache man den Bock zum Gärtner. Die neue Webseite ist in Zusammenarbeit mit verschiedenen tierärztlichen Hochschulen und der Deutschen juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht entstanden. Diana Plange hofft, dass das Portal als Inspiration genommen wird, und auch von den politischen Entscheidungsträgern benutzt wird, um eine sinnvolle Gesetzgebung zu machen.
Qualzucht, um „abartigen“ menschlichen Ansprüchen zu genügen, ist für die Tiere mit unendlichen Leiden, Schmerzen und frühem Tod verbunden. Bei Haustieren müssen Defekte häufig operativ behandelt werden. Kommt es durch die Züchtung zu Verhaltensstörungen wie Aggression oder Angststörungen, werden die Tiere oft euthanasiert oder landen in den Tierheimen, so Laura Schmitz, Pressesprecherin beim Deutschen Tierschutzbund.
Tiere aus Qualzuchten leiden
Qualzucht-Tiere haben oft Allergien, Atemnot, tränende Augen, Ohr- und Hautprobleme, Kiefer- und Zahnfehlstellungen. Bei Nackttieren wie zum Beispiel Nacktkatzen würden, so Schmitz, auch die Tasthaare fehlen. Das sei ganz besonders dramatisch, weil die Katzen diese Tasthaare brauchen, um sich im Dunkeln zu orientieren, um Beute aufzuspüren. Zudem schützen Tasthaare auch die Augen und spielen eine wichtige Rolle bei der Aufnahme von sozialen Kontakten. Wenn diese Tasthaare fehlen, sei das, so Schmitz, natürlich eine ganz enorme Einschränkung für diese Tiere.
Auch in der Landwirtschaft gibt es Qualzucht
In der Landwirtschaft werden Kühe, Schweine und Hühner durch Überzüchtung zu Höchstleistungsmaschinen umfunktioniert, ihre Körper an die Bedingungen in der Massentierhaltung angepasst.
So gibt es, nach Auskunft von Laura Schmitz vom Tierschutzbund, Zuchtsauen, die bis zu 24 Ferkel auf die Welt bringen können, aber nur 14 Zitzen haben, um diese Ferkel dann zu säugen. Das bedeutet, dass es auch immer lebensschwache Ferkel gibt, die nicht die Chance haben, sich in der Gebärmutter zu entwickeln, die dann nach der Geburt um die Nahrung kämpfen und an Unterkühlung sterben, erdrückt werden oder einfach verhungern.
Ein anderes Beispiel sind Puten, deren Brustfleisch so schwer geworden ist, dass sie sich mit Arthrose in den entzündeten Gelenken nicht mehr auf den Beinen halten können, und mit Tausenden anderen Artgenossen in künstlich beleuchteten Ställen dahinvegetieren. Das ist keine Ausnahme sondern die Regel in der Putenmast. Da ihr Leben von Anfang an auf Leistung statt auf Langlebigkeit ausgelegt wurde, ist ihr früher Tod einkalkuliert.
Qualzucht ist ein Milliardengeschäft
Eine Kuh kann unter normalen Bedingungen 20 Jahre und älter werden. In der Milchproduktion wird sie bereits mit durchschnittlich 5,5 Jahren getötet. Die neue Bundesregierung hat nunmehr angekündigt, die Qualzucht im Gesetz zu konkretisieren, was auch immer das heißen mag. Denn das bisherige Zögern vor allem von CDU/CSU und SPD war auch dem Lobbydruck geschuldet. Qualzucht ist nämlich ein Milliardengeschäft.
Diana Plange ist der Meinung, dass sich nichts ändere, weil es auch bei den Gerichten nicht richtig angekommen sei. In der juristischen Ausbildung komme Tierschutzgesetzgebung so gut wie überhaupt nicht vor. Dazu gebe es bereits Vorschläge, nicht nur von den Grünen, sondern auch von juristischen Professoren, wirklich ein neues Tierschutzgesetz zu schaffen.