Eine SpaceX-Rakete ist mit dem Nanosatelliten ERNST des Fraunhofer-Instituts ins All gestartet. Der Satellit soll erkennen, wenn auf der Erde Raketen aufsteigen - auch feindliche.
Von außen sieht der Satellit ERNST (Experimentielle Raumfahrtanwendung basierend auf Nanosatellitentechnologie) reichlich unscheinbar aus: eine Box, halb so groß wie ein Bierkasten, mit Solarpanels. Sein Innenleben hat es aber in sich.
Der gerade einmal 18 Kilogramm leichte Satellit hat unter anderem eine Infrarotkamera und ein Bremssegel an Bord. Eine Falcon-9-Rakete setzt ihn aus, dann soll er um die Erde fliegen.
Satellit ERNST soll startende Raketen erkennen können
Seine Aufgabe: Er soll detektieren, also erkennen, wenn auf der Erde Raketen starten. Der Projektleiter von ERNST, Martin Schimmerohn, erklärt: "Wenn eine Rakete startet, stößt sie einen sehr heißen Abgasstrahl aus, den sie hinter sich herzieht. Den detektieren wir mit unserem Satelliten. Wir schauen im mittleren und kurzwelligen Infrarot, da sehen wir speziell höhere Temperaturen."
ERNST ist ein Fraunhofer Forschungssatellit, seine Mission ist aber vor allem für das Militär interessant, darum finanziert die Bundeswehr die Forschung. Satelliten wie ERNST könnten in der Zukunft beim Aufbau eines Frühwarnsystems für feindliche Raketen helfen, sagt Martin Schimmerohn: „Die frühzeitige Erkennung von Raketen mittels eines Satelliten ist ein essenzieller erster Bestandteil einer ganzen Raketenabwehr.“
Infrarotsatelliten könnten startende feindliche Raketen früher erkennen als Bodenradare, die aufgrund der Erdkrümmung die Raketen erst bemerken, wenn diese am Horizont auftauchen: „Abwehrsysteme wie Patriot oder Arrow könnten dann früher auf Gegenmaßnahmen vorbereitet werden“, sagt Martin Schimmerohn.
Flugbahn von Satellit ERNST
Mindestens drei Jahre soll ERNST um die Erde fliegen und Daten sammeln. Er ist auf einer polaren Umlaufbahn unterwegs, das bedeutet, er überfliegt den Nord- und Südpol, während sich die Erde unter ihm ostwärts dreht.
Der Infrarotsatellit kann seine Bahn nicht verändern. Er kann also nicht gezielt über Regionen gelenkt werden, in denen Raketenstarts erfolgen. Die Fläche, die er bei seinen Überflügen detektiert, ist ein 96 Kilometer breiter Aufnahmestreifen.
Trotzdem glauben die Fraunhofer-Wissenschaftler, dass ihr Satellit Raketenstarts detektieren wird, weil es inzwischen weltweit eine Fülle an Raketenstarts gibt, zivile und militärische.
So startet etwa SpaceX regelmäßig Raketen. Martin Schimmerohn sagt: „Wir gehen auch davon aus, dass wir startende Raketen in der Ukraine überfliegen werden.“ Bei seinen Überflügen könnte ERNST auch andere Hitzequellen wie Gasflammen von Erdölquellen oder Vulkanausbrüche erkennen.
Das stört die Wissenschaftler nicht, im Gegenteil:
„Ein Vulkan etwa wäre ein schönes Signal. Das könnten wir sogar zur Kalibrierung der Nutzlast verwenden.“
Das bedeutet: Die Wissenschaftler lernen beim Überfliegen verschiedener Hitzequellen die gesendeten der Daten der Nutzlast, also der Infrarotkamera, einzuordnen.
Kontakt halten mit dem Satelliten
Auf dem Dach des Fraunhofer-Instituts in Freiburg steht eine Antenne, mit der die Wissenschaftler den Kontakt zu ihrem Satelliten halten. Dreimal am Tag soll er über Freiburg fliegen und Daten heruntersenden. Raumfahrtwissenschaftler Clemens Horch steht neben der Antenne, deutet in den Himmel und erklärt:
„Wir müssen erst mal alle Informationen über den Zustand des Systems runter bekommen. Wir müssen wissen, wie die Batterien geladen sind, welche Systeme welche Temperatur haben, wie voll der Bildspeicher ist. Die Informationen können wir alle hier empfangen. Außerdem schicken wir Befehle nach oben, kommandieren dem Satelliten, was er tun soll, welche Bilder er aufnehmen soll, wohin er sich ausrichten soll, um die Bilder aufzunehmen, wann die Bilder zur Erde übertragen werden sollen.“
Wäre der Satellit nicht zu Forschungs- und Testzwecken, sondern als Militärsatellit im All, würde er durchgehend laufen, erklärt Clemens Horch: „Im nominellen Betriebsmodus würde die Kamera immer auf die Erde schauen und mit einem Algorithmus automatisch nach startenden Raketen suchen.“
Verfolgen der Flugbahn im All
Was die Wissenschaftler besonders interessiert: Wie lange kann der Satellit die Flugbahn einer Rakete verfolgen? Bis in den Weltraum? Solche Erkenntnisse wären etwa für eine Früherkennung von Interkontinentalraketen wichtig.
Martin Schimmerohn erklärt: „Bislang haben wir nur Simulationen davon, was nach dem Brennschluss des Motors passiert, wenn die Rakete die Erdatmosphäre verlässt. Wir denken, dass ERNST auch eine aufgeheizte Raketenhülle erkennt. Aber genau das ist die Frage: Keiner weiß, wie die Signale dann aussehen. Die Amerikaner wissen es, weil sie solche Aufnahmen gemacht haben, aber in Europa weiß das keiner, da gibt es nur Simulationsdaten.“
Aktivierung des Bremssegels
Nicht nur der Betrieb, auch das Ende von ERNST ist für die Wissenschaftler von Interesse. Nach Ende seiner Flugzeit soll sich ein 2,4 Quadratmeter großes Bremssegel entfalten, das der Satellit die ganze Zeit in einem kleinen Kästchen zusammengefaltet mit sich führt.
Mit dem Bremssegel wird der Wiedereintritt des Satelliten in die Erdatmosphäre beschleunigt. Laut Berechnungen der Experten braucht der Satellit nur drei bis vier Monate statt fünf Jahre, um sich Richtung Erde abzusenken und zu verglühen. Mit dieser Technik könnte man also Weltraumschrott minimieren.
Zukunft der Infrarot-Früherkennung
Ob es nach dem Betriebsende von ERNST Folgemodelle geben könnte, die dann nicht mehr wissenschaftlich, sondern militärisch arbeiten, ist offen. ERNST sei ein „experimenteller Vorläufer, eine Art wissenschaftlicher Pionier“, sagt Martin Schimmerohn.
Bislang hat Deutschland kein System der Infrarot-Früherkennung. Auf Nachfrage von tagesschau.de beim Bundeverteidigungsministerium, wer derzeit den Schutz Deutschlands vor Raketen übernehme, heißt es:
„Der Schutz Deutschlands vor Raketen wird im Rahmen der integrierten Luftverteidigung der NATO (NATINAMDS - NATO Integrated Air & Missile Defense System) sichergestellt.“
Die USA verfügen bereits seit vielen Jahren über Infrarotsatelliten. Martin Schimmerohn erklärt, dass die Amerikaner die entsprechenden Daten im Rahmen der NATO zur Verfügung stellten. Die US-Satelliten seien, anders als der neue Fraunhofer-Satellit, im geostationären Orbit (GEO) positioniert, also in 35.000 Kilometer Höhe. ERNST dagegen wird in einer erdnahen Umlaufbahn (LEO) kreisen, in einer Höhe von 510 Kilometer Höhe. Der Nachteil: Ein einziger Satellit kann keine sinnvolle Raketenfrüherkennung leisten.
Dafür bräuchte man einen Satellitenverbund, also dutzende solcher kleinen Satelliten, die untereinander kommunizieren und die Erde abdecken. Ein Vorteil: Sollte ein Satellit selbst zur Zielscheibe für den Gegner werden, wäre man mit einer Konstellation an Kleinsatelliten weniger verwundbar.
Der Ausfall eines Kleinsatelliten wäre eher zu verschmerzen und er wäre schnell zu ersetzen. Geostationäre Satelliten dagegen lassen sich nicht so leicht ersetzen. Martin Schimmerohn sagt, dass die USA derzeit bereits ein System aufbauen, bei dem Infrarotsatelliten in eine erdnahe Umlaufbahn gebracht werden. Der Fraunhofer Satellit ERNST bekommt Gesellschaft.
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