In Deutschland sterben im Schnitt zweieinhalb Menschen am Tag, weil sie ein Spenderorgan benötigen und nicht bekommen. Mit ein Grund für die schlechte Versorgung könnte die Gesetzeslage in Deutschland sein.
Insgesamt stehen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie rund 8.500 Menschen auf der Spenderliste. Der Grund: Die gesetzliche Regelung für Organspenden ist in Deutschland anders als in vielen anderen Ländern. Um als Spender in Frage zu kommen, muss man Organspenden zustimmen - in anderen Ländern muss man gezielt widersprechen.
All das ist unter anderem Thema auf der Tagung für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie in Berlin.
Deutsche Gesetzgebung zur Organspende ein Alleingang in Europa
Es ist ein Alleingang, den Deutschland in puncto Organspende vollführt: Im europäischen Transplantationsverbund ist die Bundesrepublik das einzige Land, das an der sogenannten Zustimmungslösung festhält. Das bedeutet: Nur, wer noch zu Lebzeiten aktiv zustimmt, kommt als Organspender in Frage. Alternativ können Angehörige von Verstorbenen befragt werden, ob deren Wille bekannt war.
In allen anderen Ländern gilt die sogenannte Widerspruchslösung, das heißt: Jede Bürgerin und jeder Bürger kommt zunächst als Organspender in Frage, es sei denn, sie widersprechen zu Lebzeiten aktiv.
Audrückliche Zustimmung für Organspende muss dokumentiert sein
Die Spendebereitschaft ist in Deutschland eigentlich sehr hoch: Laut einer Umfrage stehen 84 Prozent der Deutschen einer Organspende positiv gegenüber. Doch nur knapp die Hälfte davon hat dies schriftlich festgehalten, sei es durch den Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung. Damit gehen in Deutschland viele lebensrettende Spenderorgane verloren.
Rainer Blasczyk, Kongresspräsident der Tagung in Berlin und Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover, findet für diesen Zustand klare Worte:
Extrem lange Wartezeiten für Spenderorgane in Deutschland
Das sei, so Blasczyk, äußerst dramatisch, wenn man bedenke, dass wir in Deutschland vielleicht 10 Spenderinnen und Spender pro eine Million Einwohner haben, in Spanien seien es 45, also viel mehr. Die Wartezeiten für ein Spenderorgan liegen in Deutschland bei sechs bis zehn Jahren, in Spanien bei sechs bis zwölf Monaten.
Eine andere Gesetzeslage gilt für Menschen, die eine Nierentransplantation benötigen. Um die Warteliste zu umgehen ist eine sogenannte Lebendspende möglich, bei der eine gesunde Person eine Niere an einen nahen Verwandten oder beispielsweise an die Partnerin spendet. Doch Transplantationsmedizinern geht diese Gesetzgebung nicht weit genug. Denn oft passen die genetischen Merkmale von Spender und Empfänger nicht zusammen. Eine Abstoßungsreaktion ist damit sehr wahrscheinlich.
Ringtausch-Verfahren as mögliche Alternative
Ein effektiveres System, um jedem Empfänger das für ihn am besten geeignete Organ zukommen zu lassen, wäre die sogenannte Crossover-Transplantation. Dabei werden in einem Ringtausch-Verfahren alle Spender und alle Empfänger abgeglichen und die Organe den Patienten zugeordnet, bei denen die Erfolgschancen dank passender Merkmale am größten sind. Ein System, von dem alle profitieren würden - wenn es erlaubt wäre. Denn die gesetzliche Regelung, dass ein Näheverhältnis zwischen Spender und Empfänger bestehen muss, lässt diese Option nicht zu.
So wird der gesetzlich verordnete Organmangel in Deutschland nach Einschätzung von Blasczyk dadurch noch verschlimmert, weil durch die Gesetzgebung selbst der Ausweg, nämlich die Crossover-Spende, unmöglich wird. Er ist der Meinung, dass das eigentlich dringend geändert werden sollte.
Forschung an unsichtbaren Organen
Die mangelhafte Gesetzeslage treibt die Forschung an, neue Wege zu finden, wie eine Abstoßungsreaktion verhindert werden kann. Vielversprechend ist beispielsweise die Forschung an sogenannten Invisible Organs - unsichtbaren Organen. Das Ziel: das Spenderorgan für das Immunsystem des Empfängers unsichtbar zu machen und somit die Abstoßungsreaktion zu unterbinden. Dafür wird das Organ so verändert, dass bestimmte Eiweiße auf seiner Oberfläche nicht mehr gebildet werden, die sonst die Abstoßungsreaktion auslösen würden.
Bis diese und andere Technologien Anwendung bei Patientinnen und Patienten finden können, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Bis dahin ist aus Sicht von Rainer Blasczyk vor allem eines wichtig: ein Eingreifen der Politik, um die Verfügbarkeit von Spenderorganen in Deutschland zu erhöhen.
Transplantationsmediziner fordern Widerspruchslösung auch für Deutschand
Um mehr Organspenden möglich zu machen, bräuchte es nach der Meinung von Rainer Blasczyk auch eine Politik, die mutig genug sei, Ansätze zu wählen, die auch tatsächlich zu einer Steigerung der Organspende führen. Aus Sicht von Transplantationsmedizinern ist das ausschließlich die Widerspruchslösung. Überall, wo die Widerspruchslösung eingeführt wurde, so Blasczyk, gab es eine Steigerung der Organspenderzahlen.
Ein entsprechender gemeinsamer Vorschlag des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn und des SPD-Politikers Karl Lauterbach wurde 2020 vom Bundestag abgelehnt. Für Patientinnen und Patienten bedeutet das: die Wartelisten für Spenderorgane bleiben weiter länger als in anderen Ländern.
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