Medizin

Notärztinnen behandeln mit mehr Empathie bei psychiatrischen Notfällen

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Stefan Troendle
Stefan Troendle, Reporter und Redakteur bei SWR Wissen aktuell und SWR Kultur Impuls.
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Constanze Fett
Profilbild der Volontärin Constanze Fett

Psychiatrische Notfälle sind häufig eine große Herausforderung für Notärztinnen und Notärzte. Frauen greifen bei solchen Einsätzen seltener zu Medikamenten als ihre männlichen Kollegen.

Bei einem Knochenbruch, Herzinfarkt oder Schlaganfall gibt es klar definierte Handlungsabläufe für das Rettungspersonal. Anders ist das bei psychiatrischen Notfällen, hier haben die behandelnden Rettungskräfte einen größeren individuellen Spielraum. 

„Solche [psychiatrischen] Notfälle treten häufig vielseitiger in Erscheinung als bei somatischen Krankheitsbildern und sie zeigen oft eine unberechenbare Entwicklung. Teilweise sind sie sogar mit einer erheblichen Gefährdung für das versorgende Personal und die Betroffenen selbst verbunden“, erklärt Prof. Carlos Schönfeldt-Lecuona, stellvertretender leitender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm. 

Notärztinnen verabreichen bei psychiatrischen Notfällen seltener Medikamente

Die Universität Ulm hat nun in einer Studie untersucht, ob Notärztinnen und Notärzte diesen individuellen Spielraum unterschiedlich nutzen. Das Ergebnis: Es gibt einen Gender-Effekt. Frauen entscheiden sich häufiger gegen das Spritzen von Beruhigungsmitteln. Um die Situation nicht weiter anzuheizen, verzichten sie auch öfters auf das Messen von Puls und Blutdruck. Denn die Messung der Vitalwerte wird von manchen Patientinnen und Patienten als übergriffig empfunden.  

Symbolbild: Ein Arzt, man sieht nur dessen Oberkörper, hält mehrere Spritzen in der Hand. Er steht seitlich vor einer weißen Wand. Notärztinnen geben psychiatrischen Notfällen seltener eine Spritze zur Beruhigung.
Notärztinnen spritzen bei psychiatrischen Notfällen nur halb so oft Medikamente zur Beruhigung, stattdessen setzen sie auf eine empathischere Kommunikation.

Im Rahmen der Studie wurden rund 3000 Protokolle von Notarzteinsätzen mit psychiatrischem Hintergrund ausgewertet – Alkohol- und Drogenmissbrauch genauso wie psychische Ausnahmesituationen oder Panikstörungen. Derartige Einsätze machen etwa ein Drittel der Notfälle aus, bei denen ein Notarzt hinzugerufen wird.

Ausbildung muss verbessert werden 

Aus anderen Bereichen der Medizin, ist bereits bekannt, dass Frauen durch eine patientenzentrierte Kommunikation eine bessere Gesprächsatmosphäre schaffen können, erklärt Dr. Benedikt Schick, Oberarzt für Anästhesie an der Uniklinik Ulm und Erstautor der Studie. Dadurch könnten sich Patientinnen und Patienten besser mitteilen und ihre Wünsche und Bedürfnisse besser formulieren.  

Das ist bei psychiatrischen Notfällen offenbar genauso hilfreich wie Medizin. Im Rahmen der Untersuchungen haben männliche Notärzte doppelt so oft Medikamente eingesetzt wie ihre weiblichen Kolleginnen. Ein grundsätzliches Problem liegt in der Ausbildung, denn dort werden diese Fälle nur nebensächlich behandelt.

Zwei Ärzte des Universitätsklinikum Ulm stehen vor einem Notarzt-Auto. Notärztinnen geben psychiatrischen Notfällen seltener eine Spritze zur Beruhigung.
Die beiden Ärzte Dr. Benedikt Schick und Prof. Carlos Schönfeldt-Lecuona des Universitätsklinikum Ulm haben die unterschiedlichen Behandlungsansätzen von Notärztinnen und Notärzten bei Einsätzen mit psychiatrischem Hintergrund untersucht.

Benedikt Schick sieht bereits im Studium Verbesserungs-Potenzial, damit psychiatrische Notfälle künftig als genauso wichtig betrachtet werden wie beispielsweise die Behandlung von Herzinfarkten. Männer setzen bei Notfällen bisher eher auf die Praxis: “Wir Männer wollen halt vielleicht doch eher zeigen, dass wir unter schwierigsten Bedingungen ganz tolle Sachen machen können.” 

Kein Gender-Effekt bei Zwangseinweisungen 

Ob Patientinnen und Patienten gegen ihren Willen in ein Krankenhaus gebracht wurden, war aber nicht davon abhängig, ob sie von einer Ärztin oder einem Arzt behandelt wurden. Jedoch griffen Notärzte auch hier häufiger zur Beruhigungsspritze. Die Einweisung in ein Krankenhaus gegen den Patientenwillen, in Kombination mit der erzwungenen Verabreichung von Psychopharmaka zur Beruhigung ist für den Betroffenen als “maximale Eskalation” zu sehen und verursacht massiven Stress, erläutert Benedikt Schick.

Daher wirft die Ulmer Studie auch weitere Fragen auf, die noch nicht untersucht wurden. Zum Beispiel, ob die Anwendung von Zwang anschließend das Vertrauensverhältnis zwischen Psychiater und Patienten beschädigt. Denn von dem hängt schließlich der Erfolg einer Behandlung ab. 

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