Eine neue Studie zeigt: Wenn wir mehrere Sprachen sprechen, trainiert das nicht nur unser Gehirn, sondern kann auch unserem visuellen Gedächtnis auf die Sprünge helfen.
Bis in die 1960er Jahre vermutete man, mehrsprachige Kinder wären weniger intelligent als ihre Altersgenossen. Heute weiß man: Mehrsprachigkeit trainiert das Gehirn und erhöht dessen Leistungsfähigkeit. Intelligenztests in Kanada konnten sogar zeigen: Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, schneiden besser ab als Kinder, die einsprachig aufwachsen.
Welchen Einfluss Mehrsprachigkeit auf das visuelle Gedächtnis – also die Fähigkeit, sich Gesehenes zu merken - hat, haben sich jetzt Forschende in den USA angeschaut. Das Ergebnis: mehrere Sprachen zu sprechen verbessert nicht nur unser visuelles Gedächtnis, sondern beeinflusst auch unsere Wahrnehmung.
Studie untersucht Einfluss von Mehrsprachigkeit auf visuelles Gedächtnis
An der Studie der Northwestern University in den USA nahmen einerseits Personen teil, die nur Englisch sprechen, aber auch Personen, die zusätzlich noch Spanisch beherrschen. Diese bekamen dann ein englisches Wort zu hören, zum Beispiel candle – also Kerze - und sollten dann aus vier Bildern das passende heraussuchen. Klingt erstmal unspektakulär, eine Besonderheit gab es allerdings: die Bezeichnung eines weiteren Bilds klang auf Englisch oder Spanisch ähnlich. Hatten die Testpersonen zum Beispiel candle gehört, zeigten weitere Bilder candy (Süßigkeiten) oder ein candido (spanisch für Vorhängeschloss).
Merkfähigkeit abhängig von Sprachkenntnis
In einem weiteren Schritt sollten die Testpersonen dann angeben, ob sie verschiedene Bilder schon einmal gesehen hatten. Englischsprachige erinnerten sich beispielsweise daran, die Süßigkeiten schon einmal gesehen zu haben, konnten mit dem Vorhängeschloss aber nichts anfangen. Wer zusätzlich Spanisch sprach, erinnerte sich auch an das Vorhängeschloss.
Sprachverarbeitung im Gehirn
Dass die Testpersonen sich an bestimmte Worte erinnern, liegt an der Art und Weise, wie wir Sprache verarbeiten: Hören wir ein Wort, dann hangelt sich unser Gehirn von Buchstabe zu Buchstabe und aktiviert alle ähnlichen Wörter, die wir kennen – unabhängig von der Sprache. Wer candle hört und sowohl Englisch als auch Spanisch spricht, für den gehören dann auch candy oder candido dazu.
Mehrsprachigkeit trainiert das Gehirn
Ein verbessertes Gedächtnis kann bei Mehrsprachigkeit einerseits dadurch entstehen, dass das Gehirn einem permanenten Training ausgesetzt ist. Es ist dauerhaft damit beschäftigt, richtige Wörter auszuwählen und nicht benötigtes Sprachwissen zu unterdrücken. Im Alltag zeigt sich das an einer verbesserten Fähigkeit, zwischen Aufgaben hin- und herzuwechseln – resultiert aber auch in einer verbesserten Konzentrationsfähigkeit und Aufnahmefähigkeit.
Sprache beeinflusst die Wahrnehmung
Die Ergebnisse der Studie zeigen nun aber vor allem, dass Mehrsprachigkeit auch einen Einfluss darauf haben kann, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen.
Mehrsprachigkeit trainiert also nicht einfach nur das Gedächtnis, sondern beeinflusst im ersten Schritt, welche Aufmerksamkeit wir auf bestimmte Wörter richten. Das wiederum ist eine Voraussetzung dafür, sie uns zu merken.
Sprachen lernen lohnt sich
All das kann eine Erklärung dafür sein, warum sich verschiedene Menschen an ein und dasselbe Ereignis unterschiedlich erinnern. Den Forschenden zufolge können ihre Ergebnisse angewendet werden, um gegenseitiges Verständnis zu fördern – vor allem in sprachlich vielfältigen Gemeinschaften. Gleichzeitig konnten sie damit aber auch einen weiteren Vorteil der Mehrsprachigkeit aufzeigen.
Egal ob für eine bessere Verständigung oder ein verbessertes Gedächtnis: Sprachen lernen lohnt sich also.
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