Psychologie

Porno-Sucht bei Jugendlichen - Das können Eltern tun

Stand
Interview
Andrea Kühnert
Onlinefassung
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei Redakteur bei SWR Kultur DAS Wissen.

Es gibt kaum Zahlen darüber, wie verbreitet die Sucht ist, Pornos zu schauen. Aber der Trend geht nach oben, vor allem bei Jugendlichen. Das Seelen- und Sexualleben der Betroffenen leidet sehr. Eltern sollten deshalb offen mit ihren Kindern über Sexualität sprechen.

Porno-Portale sind sehr erfolgreich. Viele Eltern wissen gar nicht, was ihre Kinder so alles am Computer treiben. Homeschooling? Computer spielen oder gar auf Pornoseiten surfen? Andrea Kuhnert ist Allgemeinmedizinerin und behandelt in ihrer psychotherapeutischen Praxis auch Pornosüchtige.

Typische Patienten mit Pornosucht sind jung und männlich

Ein typischer Patient in der Praxis wäre der bisher unberührte oder fast unberührte junge Mann, vielleicht 24-Jährig, der so ein bisschen schüchtern die Sitzung betritt, natürlich nicht so wahnsinnig offen über das Thema erstmal spricht, aber schon mit einem deutlichen Leidensdruck kommt und mir berichtet, dass er unentwegt Pornos schauen muss, auch onaniert vor dem Laptop. Und dass er sich eigentlich fast nicht mehr aus dem Haus bewegen kann beziehungsweise sich auf keinen Fall vorstellen kann, eine echte sexuelle Beziehung aufzunehmen.

Pornosüchtige haben in vielen Fällen Probleme mit echten Beziehungen.
Pornosüchtige haben in vielen Fällen Probleme mit echten Beziehungen.

Früher Kontakt mit Pornographie

Kuhnert geht davon aus, dass männliche Jugendliche zu einem Prozentsatz von 85 bis 90 Prozent, wenn nicht sogar 100 Prozent schon mal Pornos konsumiert hätten oder das sogar regelmäßig tun. Manche seien da zufällig darauf geraten oder von Freunden darauf aufmerksam gemacht worden. Andrea Kuhnert schätzt, dass Mädchen deutlich seltener Pornos schauen. Doch etwa zwei Drittel der erwachsene Frauen hätten schon mal Pornos gesehen.

Heute ist es oft so, dass Kinder und Jugendlichen bereits Pornos schauen, bevor sie das erste Mal einen realen Menschen küssen konnten.

Es gibt nach der Einschätzung von Andrea Kuhnert zwei große Sparten von Pornokonsumenten:

  • Auch Menschen, die sich in festen Partnerschaften befinden, schauen Pornos. Darüber wird wenig geredet. Die kommen dann in die paartherapeutische Praxis, weil es deshalb Eheprobleme oder Probleme mit der Sexualität gibt.
  • Es sind vor allem junge Männer, die seit ihrer Jugend Pornos konsumieren, bevor sie wirklich das erste Mal geküsst haben, bevor sie mit einer Partnerin angefangen haben, im ganz natürlichen Sinne Sexualität zu entdecken. Deren Zahl nimmt in den letzten Jahren stark zu.
Pornosucht ist auch bei Jugendlichen weit verbreitet.
Pornosucht ist auch bei Jugendlichen weit verbreitet.

Was sind Anzeichen einer Pornosucht?

Es gibt Männer, die schon morgens auf dem Laptop Pornos konsumieren und die dann auch spät nachts davor enden. Die haben, so Kuhnert, einen ganz großen Leidensdruck, weil sie denken, das Leben finde einfach nicht mehr statt. Andrea Kuhnert erklärt, dass es bereits eine Form von Sucht ist, wenn Betroffene sich ohnmächtig fühlen gegenüber solchen Handlungen. Sie entwickeln schon einen hohen Leidensdruck, selbst wenn sie nur einmal am Tag abends Pornos gucken:

Wenn ich merke, ich kann mich dem nicht mehr entziehen, so wie ich Wein trinken muss oder Bier trinken muss, dann fühlen sich Menschen ohnmächtig, und sie haben nicht mehr das Gefühl von Autonomie und Kontrolle. Ich frage immer: Wie können Sie Ihren Alltag noch frei gestalten? Ist es im Bereich des freien Genusses, oder müssen Sie das tun?

Wichtig sei, so Kuhnert aber auch, wie das System darauf reagiert. Wenn die Beziehung oder die Ehe durch den Pornokonsum des Mannes gefährdet ist, gibt es auch einen hohen Leidensdruck im System.

Kontrollverlust und ein Verlust der Autonomie können wie bei anderen Süchten Anzeichen einer Pornosucht sein.
Kontrollverlust und ein Verlust der Autonomie können wie bei anderen Süchten Anzeichen einer Pornosucht sein.

Woran erkennt man Pornosucht bei Kindern und welche Folgen hat das?

Also wenn ich die Seiten nicht gesperrt habe, bekomme ich irgendwann Rechnungen.

Mit Kindern sollte man darüber sprechen. Kinder kriegen, so die Einschätzung von Andrea Kuhnert, in der Regel in der Schule heute ziemlich viel Aufklärung. Auch Eltern bekämen eine gute Aufklärung an den Schulen darüber, wo sie nachgucken sollen, was sie blocken sollen. Doch in der Regel können viele Kinder das auch wieder ausschalten. Der beste Weg sei es, mit den Kindern darüber zu reden, das Thema Pornos zu thematisieren.

Der Pornografiekonsum hat, so Kuhnert, aus wissenschaftlicher Perspektive nicht für jedes Kind, für jeden Jugendlichen, für jeden Erwachsenen die gleichen Auswirkungen. Ein Stück weit eine Bedeutung hat, wie ein Kind Bindungen eingeht. Ist es ein zurückgezogenes Kind? Vermeidet es Beziehungen? Kann es darüber sprechen? Hat es überhaupt Erfahrungen im körperlichen Umgang?

Kinder, die Beziehungen vermeiden, die ohne Körperberührung aufgewachsen sind, stellen, so Kuhnert, erstmal über die eigene Berührung, das Masturbieren, das Onanieren eine Beziehung zu sich selbst her. Sie seien nachher auch tatsächlich wesentlich gefährdeter in ihrem Sozialverhalten durch exzessiven Pornokonsum. Diese Jugendlichen trauen sich nämlich häufig echte Beziehungen nicht zu. Wie geht ein normaler Zungenkuss? So etwas lernen wir ja nicht im Internet. Man muss es halt einfach ausprobieren.

Andrea Kuhnert rät Vätern oder Müttern, das Thema mit ihren Kindern anzuschneiden. Sie rät aber vor allem auch dazu, das Kind freizulassen und es auch zu ermutigen, Kontakte zu knüpfen, abends mal ein bisschen länger draußen zu bleiben, in Gruppen unterwegs zu sein.

Wenn mein Kind mit 14 jemanden küsst, dann kann ich davon ausgehen, dass es weniger im Internet unterwegs ist.

Küssen sollte bei Jugendlichen nicht verboten sein.
Küssen sollte bei Jugendlichen nicht verboten sein.

Wer ist besonders anfällig für Pornos?

Andrea Kuhnert betont, dass es keine Frage der gesellschaftlichen Schicht sei, dass man anfällig für exzessiven Pornokonsum wird. Betroffen sind ihrer Einschätzung nach vor allem Jugendliche, die nicht viel Körperkontakt und zwischenmenschlichen Kontakt erfahren haben. Das könne es auch sehr gut in akademischen Familien geben.

Das meint also unsere ganze Gesellschaft. Wenn ich sehr kognitive Eltern habe, die auch nicht unbedingt für Berührungen zur Verfügung waren während der Zeit des Heranwachsens, bin ich auf jeden Fall stärker gefährdet für Pornos. Dafür sprechen zumindest die Zahlen.

Exzessiver Pornokonsum hat auch körperliche Folgen

So haben auch immer mehr jüngere Männer Erektionsprobleme, die erst bei echtem Kontakt mit einem Geschlechtspartner auftreten. Das Gehirn sei dann, so Kuhnert, nach diesem vielen Pornokonsum einfach auf härtere Trigger getrimmt. Die schönen Körper, die wir aus Pornos kennen, bekommen wir in der Realität oft nicht geboten.

Das betreffe auch ältere Paare, wenn Männer in Pornos mit den Bildern junger Frauen beschäftigt sind. Dann erleben die Ehefrauen oder Partnerinnen: Die Männer ziehen sich zurück und merken tatsächlich auch, dass sie keine Erektion mehr zustande bringen.

Pornosüchtige Männer neigen manchmal dazu, sich in realen Beziehungen zurückzuziehen.
Pornosüchtige Männer neigen manchmal dazu, sich in realen Beziehungen zurückzuziehen.

Pornokosum ein Massenphänomen - Was können Eltern tun?

Andrea Kuhnert findet es gut, wenn sich Eltern über digitale Sperrmöglichkeiten Gedanken machen. Andererseits gebe es gerade in asiatischen Ländern einen vermehrten Pornokonsum, wo die Sexualität aus dem Alltag ausgesperrt werde, wo sehr viel Kontrolle sei und wenig Körper, Zugewandtheit.

Was sich Eltern fragen sollten

Wo lebt bei uns eigentlich Sexualität? Hat unser Kind erlebt, dass es zum Alltag gehören kann? Lassen wir unser Kind frei oder kontrollieren wir unseren Jugendlichen? Was passiert, wenn er mal eine halbe Stunde lang weg ist? Ermögliche ich meinem Kind seine Sexualität ab ca 15 Jahren ein Stück frei zu explorieren?

Dazu gehört zum Beispiel: die Tür abschließen, bei Verhütungsfragen behilflich zu sein. Diese Dinge seien, so Kuhnert, eigentlich normal.

Und da ist gar nichts falsch zu machen, wenn Kinder mit 15 anfangen, sich körperlich auch kennenzulernen, dann sollten die Eltern es eben auch ermöglichen.

Es ist normal, wenn Jugendliche ab einem gewissen Alter sexuelle Erfahrungen haben. Das sollten Eltern, so die Einschätzung von Andrea Kuhnert, auch ermöglichen.
Es ist normal, wenn Jugendliche ab einem gewissen Alter sexuelle Erfahrungen haben. Das sollten Eltern, so die Einschätzung von Andrea Kuhnert, auch ermöglichen.
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei Redakteur bei SWR Kultur DAS Wissen.