Lehrerverbände und Eltern drängen darauf, dass die Schulen für den Herbst Corona-sicher ausgestattet werden – unter anderem mit Luftfiltergeräten. Wie wirksam sind die?
Der Streit um die Anschaffung von Luftfiltergeräten für die Schulen kocht hoch. Wenn die Geräte im Herbst und Winter in den Klassenzimmern aufgestellt werden sollen, dann müssten sie baldmöglichst bestellt werden. Hersteller sprechen bereits jetzt von möglichen Lieferengpässen.
Auftragsstudie der Stadt Stuttgart mit widersprüchlichen Ergebnissen
Nun kommt eine Auftragsstudie der Stadt Stuttgart zu dem Fazit, Luftfilter seien offenbar nicht wirksamer als Lüften. Zumindest zitieren Kommunalpolitiker so aus dieser bisher nicht öffentlichen Studie. Zugrunde liegen Messungen von Wissenschaftlerinnen und Forschern der Universität Stuttgart. Sie haben über ein halbes Jahr in mehreren Klassenräumen an 10 Schulen – aber vorrangig mit Dummies statt mit Schulkindern – gemessen, was marktübliche Luftfiltergeräte leisten können.
Stuttgarter Studie spricht von geringer Behaglichkeit beim Einsatz von Luftfiltern
Der Studienleiter Konstantinos Stergiaropoulos sagte dem SWR, die Wirksamkeit der Geräte sei gegeben, aber die Luftgeschwindigkeiten, die Turbulenzgrade und der Schallpegel führten dazu, dass es in den Klassenräumen nicht besonders behaglich zugehe. Wenn eine ausreichende Fensterfläche im Schulzimmer vorhanden sei, dann könne man durch häufiges Lüften – am besten alle 10 Minuten zweieinhalb Minuten Fenster auf – bessere Werte erreichen.
Mehrere Studien belegen Wirksamkeit von Luftfiltern in Schulen
Mehrere andere Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass Luftfilter in Schulen durchaus wirksam sind und daher eingesetzt werden sollten. Ihr Fazit: Das einfache Lüften, welches bisher als wirksamste und gleichzeitig auch günstigste Maßnahme für Klassenzimmer propagiert wird, reiche nicht aus.
Kurzes Stoßlüften reicht nicht, um Viruslast wirklich zu reduzieren
So haben unter anderem Wissenschaftler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Universität der Bundeswehr das Lüftungskonzept der Kultusminister untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Möglichkeit durch regelmäßiges kurzes Lüften die Viruslast im Klassenzimmer zu reduzieren, stark überschätzt wird. Die Studie ist im Preprint erschienen.
Wann Lüften sinnvoll ist
Lüften sei physikalisch nur dann sinnvoll, wenn ein großer Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen bestehe oder es tatsächlich ziemlich windig draußen sei, so die Münchner Wissenschaftler. Wenn das nicht der Fall sei, dann würde es sehr lange dauern einen Luftaustausch durchzuführen – 3 bis 5 Minuten seien da längst nicht ausreichend.
Im Winter ist Dauerlüften keine gute Idee mehr
Zudem sei gerade im Winter Dauerlüften keine gute Option. Dadurch kühlten die Räume zu stark aus und der ständige Durchzug könne auch Erkältungen bei Schüler*innen und Lehrer*innen verursachen.
Raumluftreiniger helfen, die Luft von Viren zu reinigen
Sie empfehlen daher zusätzlich zum Stoßlüften hocheffiziente Raumluftreiniger einzusetzen. Dabei saugt ein Luftreiniger über einen möglichst großen Ventilator die Umgebungsluft an und leitet sie in das Innere des Luftreinigers, wo sie durch Filter gereinigt wird. Danach wird die Luft sauber wieder in den Raum abgegeben.
Raumluftreiniger für den Einsatz in Schulen müssen drei Kriterien erfüllen
Raumluftreiniger für Schulen müssen dabei drei Kriterien erfüllen, um die Virenlast im Raum sehr schnell abzubauen:
- Die Geräte müssen so dimensioniert sein, dass sie die Raumluft mindestens sechs mal pro Stunde durchfiltern.
- sie müssen mit HEPA-Filter der Klasse 14 ausgestattet sein. Erst ab dieser Stufe werden die Tröpfchen, die beim Atmen, Sprechen, Singen und Husten erzeugt werden, sicher abgeschieden.
- Natürlich muss das Gerät so geräuscharm arbeiten, dass es den Schulbetrieb nicht stört.
Studie mit vollbesetztem Klassenzimmer
Die meisten Versuche mit Raumluftreinigern fanden bisher mit Dummies statt echten Menschen statt. Wie gut die Geräte in vollen Klassenzimmern funktionieren, in denen bis zu 30 Menschen sitzen, war nicht untersucht worden. Eine Studie der Uni Frankfurt hat diese Lücke geschlossen.
Frankfurter Atmosphärenforscher haben eine Woche lang vier Luftreiniger in einer Schulklasse mit Lehrern und 27 Schüler*innen getestet. Das Ergebnis: 30 Minuten nach dem Anschalten hatte ein Luftreiniger 90 Prozent der Aerosole aus der Luft entfernt.
Ansteckungsgefahr lässt sich deutlich verringern
Studienleiter Joachim Curtius erklärt, dadurch werde die Ansteckungsgefahr durch eine hoch infektiöse Person im Klassenzimmer, einen Superspreader, sehr deutlich reduziert.
Umweltbundesamt macht Kehrtwende und erkennt Wirksamkeit von Luftreinigern in Schulen an
Mittlerweile hat auch das Umweltbundesamt (UBA) die Wirksamkeit mobiler Luftfiltergeräte bei richtiger Aufstellung und Anwendung in Schulen bestätigt. "Natürlich helfen mobile Luftfilter gegen Viren – wenn es sich um geprüfte Geräte handelt und sie richtig im Klassenraum aufgestellt sind" – so UBA-Sprecher Heinz-Jörn Moriske gegenüber der Zeitung "Handelsblatt".
Doch es sollten Fachleute das Aufstellen und Einrichten der Geräte übernehmen. Es mache keinen Sinn, wenn Eltern ungeprüfte Geräte im Baumarkt kauften und dann willkürlich im Klassenzimmer verteilen würden.
Bisher hatte die Behörde die Wirksamkeit von Luftfiltergeräten auf ihrer Website deutlich kritischer eingeschätzt: Dort wurde in Frage gestellt, ob mobile Luftreinigungsgeräte ausreichen, eine Infektionsgefahr in dicht belegten Klassenräumen abzuwenden. Dazu sei der Wissensstand "unsicher."
Wer hat nun recht?
Das Problem liegt tatsächlich in der Vergleichbarkeit. Jede dieser Studien hat andere Klassenräume gewählt, dazu kommen Luftfilter von unterschiedlichen Marken, dann wurden die Geräte unterschiedlich in den Räumen aufgestellt. Mal am Fenster, mal hinten, mal an der Wand. Mal nur ein Gerät, welches voll aufgedreht wurde – oder gar vier Stück, die dann auch leiser laufen können. Mal nur mit Dummies statt Schülerinnen und Schülern – wie in der Stuttgarter Studie – dann wieder mit echtem Schulalltag und herumlaufenden Schulkindern in der Frankfurter Studie. Da ist die Vergleichbarkeit schon schwierig.
An der Wirksamkeit von mobilen Luftreinigungsgeräten zweifelt keine der Studien
Festhalten sollte man aber: Keine der Studien zweifelt daran, dass mobile Luftreinigungsgeräte grundsätzlich wirksam sind und bis zu 90% der Aerosole aus der Luft filtern.
Wichtig ist in der Diskussion vor allem: Mobile Luftfilter reduzieren den Lüftungsbedarf in Klassen- und Gruppenräumen auf ein normales Maß – im Winter keine Kleinigkeit. Und alle Studien sprechen davon, dass zusätzlich auch gelüftet werden muss, schon allein zum CO2-Austausch, um Feuchtigkeit abzutransportieren und die Raumluft auszutauschen.
Wie Schulen den passenden Luftfilter finden können
Wirtschaftswissenschaftler der Goethe-Universität und Universität Mannheim haben einen Luftfilterkalkulator entwickelt, der interessierten Schulen bei der Auswahl von passenden Luftfiltergeräten hilft. Der Online-Kalkulator ermittelt für die unterschiedlichen Räume passende und kosteneffiziente Luftfiltergeräte.
Politik ist zögerlich wegen hoher Anschaffungskosten für Luftreinigungsgeräte
Doch die Politik ist sehr zögerlich, wenn es darum geht, Schulräume und Betreuungseinrichtungen mit Luftfiltergeräten auszustatten. Da heißt es oft, die Kosten seien zu hoch und der Nutzen angeblich zu gering. Und das obwohl viele politische Behörden wie auch die Landtage und die meisten Ministerien längst selbst mobile Luftfiltergeräte angeschafft haben, um Ansteckungen mit dem Corona-Virus und seinen Varianten zu verhindern.
Kostenfreies Lüften konkurriert mit teuren Luftfiltern
Bei der aktuellen Diskussion darum, wie die Schulen im Herbst weitestgehend Corona-sicher gemacht werden können, spielt die Geldfrage sicher eine große Rolle. Denn die Luftfiltergeräte sind nicht günstig, zwischen 3000 und 4000 Euro muss man für eines dieser mobilen Geräte hinlegen. Bei etwa 650.000 Klassenzimmern in Deutschland kommt man auf fast zwei Milliarden Euro, wenn man jedes ausstatten würde. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man die Diskussion verfolgt.
Weitere kreative Lösungen des Lüftungsproblems
Forschende des MPI für Chemie in Mainz setzen auf Ventilatoren und Abzugshauben über den Schülerinnen und Schülern. Sie haben einen wissenschaftlichen Vergleich durchgeführt, der zeigt, dass auch ventilatorgestütztes Fensterlüften wirksam ist gegen die Aerosolübertragung von Covid-19 und zur Verbesserung der Luftqualität in Schulklassen eingesetzt werden kann.
Ventilatoren und Ablufthauben im Klassenzimmer
Allerdings braucht es auch hier zunächst handwerklich begabte Hausmeister beziehungsweise versierte Eltern, die den Einbau der schlichten Lösungen vornehmen können. Selbst wenn alle Materialien aus dem Baumarkt stammen, sie müssen zusammengesetzt und installiert und womöglich ab und an gewartet werden. Damit das Prinzip funktioniert müssen auch hierbei einige Dinge beachtet werden. Weil ein Fenster ständig gekippt sein muss, stellt sich außerdem die Frage nach der Energieeffizienz.
Leiser Luftfilter mit UV-Strahler aus Karlsruhe
Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben Forscher den Aerobuster entwickelt. Das Gerät soll mit Hilfe von UV-Licht Coronaviren und andere Krankheitserreger aus der Raumluft inaktivieren. Der Vorteil, den der Lüfter gegenüber anderen Luftreinigern habe, sei, dass er sehr leise sei, so die Forscher vom KIT. Deshalb könne man mehrere Geräte gut in Klassenräumen und anderen Orten mit viel Publikumsverkehr einsetzen. In Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen, Restaurants und auch Büros, so der Leiter des Instituts für Nanotechnologie am KIT, Horst Hahn.
Einfaches Gerät mit großer Wirkung?
Der Luftfilter aus Karlsruhe besteht aus einem Metallrohr, einem Lüfter, einem Heizmodul und einem UV-Strahler. Dass soll laut KIT ausreichen, um in etwa 0,2 Sekunden die Viren und Erreger unschädlich zu machen, die den Reiniger durchlaufen. Dazu saugt der Lüfter die Raumluft an und die Aerosole werden mit UV-C-Licht bestrahlt. So sollen Viren und Erreger deaktiviert werden. Bei Tests habe man die idealen Komponenten, etwa bei der Strahlung, ermittelt, so Hahn. So lässt sich ausrechnen, wie viele Luftreiniger man in Abhängigkeit von Raumgröße, Zugluft und Personenanzahl braucht.
Zunächst enthielt der Aerobuster auch noch ein Heizelement, das Viren durch Hitze abtöten sollte. Allerdings habe sich das nicht gelohnt. Es sei zu energieintensiv, also zu teuer gewesen und habe einen zu geringen Effekt gehabt, so Hahn. Deshalb bekämpft das Gerät die Viren inzwischen nur noch mithilfe von UV-Strahlen.
Desinfektion durch UVC-Strahlung wird schon lange eingesetzt, beispielsweise in Krankenhäusern und Laboren. Allerdings wurden damit bislang Oberflächen gereinigt, keine Luftströme. Wie wirksam die Luftreiniger gegen SARS-CoV-2 in der Luft tatsächlich sind, ist noch nicht abschließend geklärt.
Produktion läuft an
Der Aerobuster sei inzwischen serientauglich und soll bald in Produktion gehen. Wie viel der Aerobuster letztlich kosten soll, steht noch nicht fest. Der Preis soll pro Stück aber unter 1.000 Euro liegen.