Wer an Covid-19 erkrankt, kann auch noch Monate nach dem Abklingen der Krankheit an Symptomen leiden; viele fühlen sich nicht wie vorher. Anlaufstellen für sie gibt es immer noch kaum. Eine Selbsthilfegruppe möchte das nun ändern.
Nach der Erkrankung ist für manche Covid-19-Patienten oder Patientinnen das Leben erstmal nicht mehr so wie vorher. Über Monate haben sie körperliche Symptome wie Atemnot oder chronische Müdigkeit. Oder sie können sich schlecht konzentrieren und erinnern. Gut jede(r) Zehnte leidet unter Langzeitfolgen von Covid-19. Und Studien zeigen: Die Zahl der betroffenen jungen Menschen steigt.
Genesen, aber noch nicht wieder gesund – diesen "Zwischenzustand" erlebt Klinikpsychologe Günther Diehl bei vielen seiner Patienten oder Patientinnen auch nach der Entlassung aus der Reha. Einige verzweifeln, weil der Alltag nicht mehr läuft wie gewohnt. Die Langzeitfolgen würden überall "massiv unterschätzt", meint er.
Kaum Kapazitäten für psychologische Begleitung bei Covid-19
Bei einer Krebserkrankung ist laut Diehl der Normalfall, die Patienten psychoonkologisch zu begleiten. Die Kapazitäten seien entsprechend vorgehalten. Anders bei Covid-19: "Hier werden wir mit einer Menge an Covid-Patienten konfrontiert und es niemand da, der sie begleitet.“ Weil es bisher nur wenig Hilfsangebote für diese Menschen gibt, gründete Diehl zusammen mit der Klinikleitung der Espan-Klinik in Bad Dürrheim kurzerhand eine der ersten Selbsthilfegruppen in Baden-Württemberg.
Diehl sieht es als Vorteil, dass die Gruppe an die Klinik angebunden ist, denn so könnte medizinische Unterstützung angeboten werden, wo der Austausch allein nicht ausreicht. Der Austausch aber ist das Wichtigste, sagt Psychologe Diehl.
Berufspause nach mildem Verlauf
Mit jemandem zu sprechen, der die plötzlichen Ängste nachvollziehen kann, mit 34 Jahren den Alltag nicht mehr allein zu bewältigen, hilft der Lokführerin Sabrina M.. Nach einem milden Covid-19-Verlauf verspürte sie erstmals während der Arbeit, dass etwas mit ihr nicht stimmt. "Ich habe mich gefragt, ist die Station, wo ich anhalten muss, schon durch, wo muss ich denn das nächste Mal anhalten? Ich fühlte mich so ein bisschen wirr, und dann habe ich sofort gesagt, so kann ich nicht mehr fahren, das Sicherheitsrisiko ist zu hoch für mich und meine Fahrgäste." Seit dem Erlebnis hat die Lokführerin keinen Zug mehr von innen gesehen, kann ihren Beruf nicht mehr ausüben.
Langzeiterkrankte auf politische Agenda setzen
Sabine M. hofft, dass es etwas bewirkt, wenn sich die Betroffenen wie in der Selbsthilfegruppe zusammenschließen - "dass wir auch mehr beachtet werden, wenn wir sagen können, ich bin nicht ein Einzelfall, sondern da sind noch andere, denen es genauso geht."
Nur Einzellösungen sind auch Günther Diehl zu wenig. Stattdessen müssten dringend politische Entscheidungen her, eine Strategie im Umgang mit den Langzeiterkrankten. Sonst würden unser Gesundheitssystem und die Arbeitswelt bald überrollt, ist sich der Psychologe sicher. Eine Anfrage des SWR beim Bundesgesundheitsministerium, wie eine solche Strategie aussehen könnte, blieb bislang unbeantwortet.