Können frühere Erkältungen gegen COVID-19 schützen? Ganz abwegig ist die Theorie nicht, denn zumindest die harmlosen Varianten der Coronaviren sind für unseren Körper nichts Neues. Sie führen schon lange zu typischen Erkältungen und sind unserem Immunsystem bekannt.
Schnelle Immunantwort durch T-Zellen
T-Helferzellen sind ein wichtiger Teil des Immunsystems. Sie erkennen Viren, wie die Corona-Erkältungsviren, problemlos und werden in unserem Immungedächtnis gespeichert. Durch diesen Speicher könnten T-Zellen, die bei einer früheren Infektion mit den harmlosen Coronaviren gebildet wurden, auch vor dem neuen SARS-CoV-2 schützen. Wissenschaftler sprechen dann von einer Kreuzreaktivität.
Das heißt, dass durch die bereits gespeicherten T-Zellen eine schnellere Immunantwort erfolgen könnte und eine Bekämpfung ohne Medikament oder Impfstoff möglich wäre. Dr. Juliane Walz ist Oberärztin am Universitätsklinikum Tübingen und leitet dort eine Arbeitsgruppe zur Immunologie-Forschung.
Frühere Erkältungen könnten vor Covid-19 schützen
Bei der Untersuchung von Blutproben kamen Dr. Juliane Walz und das Forschungsteam zu einem interessanten Ergebnis: Nicht nur die T-Zellen, die mit dem neuen Virus infiziert waren, lösten eine Immunreaktion aus. Auch Immunzellen, aus Blutproben vor der Pandemie, welche zuvor keinen Kontakt mit Sars-CoV-2 hatten, konnten das neue Virus erkennen. Sie stammen möglicherweise von früheren Erkältungen.
Bei 81 Prozent der nicht-infizierten Spender können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so eine Kreuzreaktivität und damit eine Reaktion auf das gefährlichere Coronavirus feststellen. Andere Forschungsteams konnten das auch erkennen, allerdings weniger stark ausgeprägt. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass eine frühere Erkältung tatsächlich im Kampf gegen das neue Coronavirus hilft.
Dr. Juliane Walz und ihr Team können nur vermuten, dass es auch vor einem schweren Verlauf schützt. Und besonders die Frage, ob diese kreuzreaktiven T-Zellen in der Lage sind uns generell vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 zu schützen, können die Forschenden nicht beantworten.
Dass die im Blut gefundenen T-Helferzellen wirklich eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus verhindern können, ist derzeit eher unwahrscheinlich. Manche Forscher schließen einen Effekt ganz aus.
Milde Symptome sind möglich
Ein amerikanisches Forschungsteam machte jedoch eine andere interessante Beobachtung – und zwar dass Menschen nach einer Erkältung durch ein harmloses Coronavirus zumindest nicht mehr so schwer an COVID-19 erkranken. Bisher ist dies aber nur ein kleiner Hinweis mit wenigen Fällen. Erst größere Studien mit zehntausenden von Blutspendern könnten das Rätsel lösen. Die Forscher*innen hoffen dabei auf möglichst viele Spender, die zuletzt wegen harmlosen Coronaviren erkältet waren. Dann heißt es abwarten, bis sich jemand mit SARS-CoV-2 ansteckt.
Nicht nur in Tübingen, sondern weltweit werden gerade mehrere dieser Studien durchgeführt. Die Ergebnisse sind auch für die Impfstoffentwicklung wichtig: So müsste bei den Impfstoff-Studien sichergestellt werden, dass ein Schutz des Immunsystems auch wirklich durch den Impfstoff und nicht auch durch frühere Erkältung besteht.
Und auch neue alternative Corona-Impfstoffe könnten mit dem neuen Wissen entwickelt werden – nach dem Vorbild der T-Helferzellen. Auch das planen die Tübinger für die Zukunft. Doch natürlich sind sie auch auf die Ergebnisse der großen Studien gespannt. So könnte in wenigen Monaten endlich feststehen, ob und wie genau frühere Erkältungen eine Infektion mit SARS-CoV-2 beeinflussen.