Werden Kinder durch die Nutzung von Tablets und Computern an Schulen immer dümmer? 40 Wissenschaftler sowie Kinder- und Jugendärzte fordern von den Kultusministern ein Moratorium der Digitalisierung an Schulen. Ralf Caspary aus der SWR Wissenschaftsredaktion gibt Entwarnung.
Als Gründe für die Forderung werden von den Fachleuten die sinkende Lernleistung sowie negative gesundheitliche, psychische und soziale Nebenwirkungen genannt. Zu den Erstunterzeichnern der Erklärung gehören der Medienpädagoge Ralf Lankau und der Hirnforscher und Mediziner Manfred Spitzer. "Die wissenschaftliche Erkenntnis ist inzwischen, dass Unterricht mit Tablets und Laptops die Kinder bis zur 6. Klasse nicht schlauer, sondern dümmer macht", sagt Lankau. SWR Bildungsexperte Ralf Capary sieht das etwas differenzierter:
Diese dramatisch klingende Forderung nach einem Moratorium für die Grundschule hat für mich drei interessante Aspekte.
- Erstens: Die Digitalisierung an deutschen Schulen, erst recht an den Grundschulen, ist ungefähr so weit vorangekommen wie eine Schnecke in 10 Minuten beim hundert Meter- Kriech-Wettbewerb. Was will man sich also aufregen, in den Schulen beherrschen doch noch immer Heft und Tafel den Unterricht. Es lebe die Kreidezeit!
- Zweitens: Nun ja, einer der Erst-Unterzeichner ist der Hirnforscher Manfred Spitzer, von dem weiß ich, dass er in den letzten Jahren mit großer Geste und markigen Worten vehement auf die angeblichen großen Gefahren der digitalen Medien hinweist. Viele seiner Bücher erwecken den Eindruck, wir seien auf dem Weg in eine völlig debile autistische Gesellschaft wegen Smartphone und Co.
- Drittens - und jetzt folgt eine Binsenweisheit: Die digitalen Medien sind so gut oder schlecht, wie die Pädagogen, die sie einsetzen. Wie oft muss man das wiederholen? Der gute Pädagoge wird seine Schüler und Schülerinnen bestimmt nicht in der ersten Klasse vier Stunden vor das Laptop setzen - das wäre in der Tat gesundheitsschädlich und Gift fürs Gehirn. Der gute Pädagoge wird auch kaum den Kindern sagen: Ihr braucht nicht mehr rechnen lernen, das macht der Computer für Euch. Der gute Pädagoge wird die digitalen Medien moderat und ergänzend einsetzen, und dann gibt es viele Vorteile, die durch Studien belegt sind.
Medienkompetenz sollte auch ein Teil schulischer Bildung sein
Zum Beispiel: Schüler-zentrierte Projekte und individualisierte Lernformate nehmen zu – und das sind ja Formate, die für modernes Lernen unverzichtbar sind. Schüler lernen auf spielerische Weise verschiedene Textformen kennen, wie schreibt man in Blogs, in Chats, was passiert, wenn ich ChatGPT sage, schreib mir mal ein Weihnachtsgedicht- das kann zudem richtig witzig sein.
Die Kinder lernen selbständig zu einem Thema zu recherchieren, sie lernen, was wichtig ist, was man weglässt, und sie erproben auf spielerische Weise: Wie drehe und schneide ich einen kleinen Film, wie komponiere ich ein Musikstück. Das alles bedeutet auch Gewinn an Medienkompetenz, sie ist heute unerlässlich in einer digitalen Welt.
Dämonisierung digitaler Medien - Wir leben nicht mehr in der Kreidezeit
Die Forderung der Wissenschaftler nach einem Moratorium holt wieder die alte Keule aus der Mottenkiste und dämonisiert die digitalen Medien. Die digitalen Medien würden krank und dumm machen - das steckt ja als Botschaft hinter der Forderung nach einem Moratorium. Ja, das ist sogar richtig, wenn man - wie erwähnt - Grundschul-Kinder stundenlang vor dem Laptop parkt, aber welcher Pädagoge macht das schon?
Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, Schüler erst mit zehn Jahren mit den digitalen Medien in Berührung zu bringen, weil die ja angeblich so gefährlich sind. Das ist Denken aus der Kreidezeit, und die ist vorbei!
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Schule 4.0 · Digitalisierung
Medieneinsatz und Digitalisierung im Klassenzimmer: Die Lust hierauf ist bei allen Beteiligten groß. Lehrer, Schüler und Eltern sind aufgeschlossen, aber die technischen, organisatorischen und auch didaktischen Hürden sind gewaltig.
Es fehlt an vielem: an Geld, Infrastruktur, Materialien und auch an multimedialen Kompetenzen im Kollegium. Oft sehen Lehrer die Digitalisierung als zusätzliche neue Aufgabe, für die sie im Schulalltag gar keine Zeit haben. Die Chancen für ein zukunftsorientiertes, nachhaltiges und individualisierbares Lernen werden nicht immer erkannt.
Was kluge Digitalisierung alles bewirken kann, zeigt der Film „Schule 4.0“ unter anderem am Beispiel einer Klasse, die einen Bienenstock an ihrer Schule betreut. Die jungen Imker kümmern sich um die Tiere und erforschen gleichzeitig mithilfe von Virtual Reality das Innere des Stocks. Sie machen Erfahrungen in der realen Natur und gewinnen „virtuell“ neue, theoretische Kenntnisse – ein multimediales Projekt mit ganz praktischem Bezug.
Der Film „Schule 4.0“ stellt Lehrer und Schüler vor, die – allen Hindernissen zum Trotz – die digitale Herausforderung anpacken.