Die Europäische Union will ihre Schutzmaßnahmen gegen die Coronavirus-Infektionswelle in China hochfahren. Viele Länder haben Angst vor einer neuen Welle mit möglicherweise gefährlicheren Virusvarianten. Wie wahrscheinlich ist so ein Szenario? Eine Einschätzung von Wissenschaftsredakteur Pascal Kiss.
Modellrechnung geht von 5.000 Corona-Toten pro Tag in China aus
Viele Länder schauen gerade besorgt nach China. Die USA, Italien und andere Länder habe die Einreisebedingungen für Menschen aus China bereits verschärft. Denn in keinem Land breitet sich das Coronavirus derzeit so stark aus: Bis zu 4,2 Millionen Menschen könnten sich schon bald in China pro Tag anstecken, sagen Fachleute des Forschungsinstituts Airfinity in London. Hundertausende könnten in China durch das Coronavirus in den nächsten Monaten sterben.
Hohe Infektionszahlen begünstigt Virusmutation
Aber auch die restliche Welt macht sich Sorgen und hat vor einer neuen Virusvariante Angst, die auch in Europa nochmal zum Problem werden könnte. Doch wie wahrscheinlich ist solch ein Szenario?
Bei so hohen Fallzahlen wie aktuell in China trifft das Virus in kurzer Zeit auf viele Menschen und deren Immunsystem. Damit hat das Virus bessere Chancen, sich anzupassen. Deswegen werden neue Varianten, sogenannte Immunflucht-Varianten, zunächst wahrscheinlicher. Aber das ist bereits in vielen Teilen der Welt genauso passiert. Nur in China war wegen der Null-Covid-Strategie und den strengen Hygienemaßnahmen die Wahrscheinlichkeit für neue Immunflucht-Varianten lange sehr gering, jetzt aber deutlich höher. Doch eine Immunflucht-Variante ist nicht automatisch gefährlicher. Bisher führten die meisten Varianten sogar zu harmloseren Krankheitsverläufen.
China hat geringere Grundimmunität
Aber noch viel entscheidender ist: In Deutschland hat die Bevölkerung eine viel bessere Grundimmunität als in China. In China trifft das Virus auf viele Menschen, die keine Auffrischungsimpfung erhalten haben und mit weniger wirksamen Impfstoffen geimpft wurden. Hier in Deutschland würde eine neue Variante auf viele Menschen treffen, die sich nach der Impfung bereits ein- oder zweimal mit dem Virus infiziert haben. Die meisten haben sich mit Immunfluchtvarianten infiziert, die unter ähnlichen Bedingungen wie jetzt in China entstanden sind.
Es ist egal, wie sich das Virus in China weiterentwickelt, in vielen Teilen der restlichen Welt besteht eine Teilimmunität durch die Impfung oder vergangene Infektionen. Diese neue Ausgangslage stimmt Fachleute wie die Virologen Christian Drosten oder Hendrik Streeck vorsichtig optimistisch. Die Lage in China müsse überwacht werden, aber aktuell sei keine neue besorgniserregende Variante in Sicht.