Die Klimakrise kommt, doch das Ausmaß kann noch beeinflusst werden. Dennoch werden weltweit zu wenig Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen. Woran liegt das? Ein psychologischer Erklärungsansatz.
Zuletzt in Lützerath und auch auf vielen anderen Klima-Demos zuvor wird versucht, auf die Klimakrise aufmerksam zu machen – und darauf, dass akuter Handlungsbedarf besteht. Auch das Deutsche Umweltbundesamt gibt an: Damit sich unsere Erde nicht unbegrenzt weiter erwärmt, braucht es eine sehr ambitionierte Klimaschutzpolitik und eine drastische Reduktion aller Treibhausgas-Emissionen.
Dennoch wurden auf der letzten Weltklimakonferenz COP27 neben einem Ausgleichsfonds für Klimaschäden und Finanzhilfen wenig konkrete Maßnahmen beschlossen. Das 1,5-Grad-Ziel, das 2015 mit dem Pariser Klimaabkommen beschlossen wurde, könnte verfehlt werden.
Fortschritte im Klimaschutz gehen nur schleppend voran. Auch die Folgen des Klimawandels schleichen sich nur langsam ein. Das könnte ein Grund für die verhaltene Klimaschutzpolitik sein, erklärt Dr. Christoph Nikendei, Psychologe und Leitender Oberarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik im Universitätsklinikum Heidelberg, im Gespräch mit SWR2 Impuls.
So kann die Politik erfolgreich Klimaschutz betreiben
Andere Wahrnehmung der Klimakrise
Dass der Klimawandel stattfindet und durch menschliche Einflüsse beschleunigt wird, gilt mittlerweile als unumstritten – nebst einiger weniger „Klimaleugner“. Doch laut Nikendei wird die Klimakrise anders als andere Krisen und Gefahren wahrgenommen. Denn der Klimawandel sei zwar eine elementare Bedrohung, aber gleichzeitig eine schleichende.
Die Klimakrise ist abstrakt, sehr komplex und oft auch einfach noch nicht direkt spürbar. Damit man eine Krise als gefährlich wahrnehmen, müsste man sie aber als unmittelbar, konkret und unstrittig einstufen. Gleichzeitig kann der Ernst der Lage zu Gefühlen der Ohnmacht fühlen. Einige entwickeln sogar eine „Klimaangst“.
Diese Rolle spielen Verzerrungen der Wahrnehmung
Ein weiterer Grund, warum wir unser Klima nicht effektiv schützen, sind sogenannte Biases. Das sind Verzerrungen in unserer Wahrnehmung. Eigentlich sind sie ein kognitiver Schutzmechanismus: Sie helfen dabei, Einschätzungen und Meinungen über das Selbst und unsere Umgebung zu bewahren. „Der Hintergrund ist, dass wir natürlich sehr gerne einen guten Blick auf uns selber bewahren und den aufrecht erhalten“, erklärt Nikendei.
Dazu führt der Psychologe auch ein Beispiel an: Im Supermarkt sind inzwischen viele Produkte als „grün“ oder „CO2-neutral“ gelabelt. Das bestärkt das Gefühl, das man der Umwelt mit dem Kauf etwas Gutes tun kann – doch dem ist nicht so. „Wir lügen uns da permanent in die Taschen und versuchen ein Bild aufrecht zu halten, dem wir gar nicht nachkommen können“, sagt Nikendei.
Oft handelt es sich auch um Greenwashing. Seit einigen Jahren vergibt die Deutsche Umwelthilfe e. V. den Goldenen Geier – einen Schmähpreis für die dreisteste Umweltlüge. Der Preisträger dieses Jahr: angeblich „klimaneutrales“ Tanken bei Shell. Unter anderem waren auch „CO2-neutrales“ Fliegen mit der Lufthansa oder HelloFresh für ihren Verpackungsmüll nominiert.
Über die Klimaschädlichkeit einiger Produkte beim Kauf hinweg zu sehen, ist ein Beispiel für den sogenannten Interpretative Bias. Bei diesem werden Informationen so interpretiert, dass sie in die eigene Weltanschauung passen. Bemüht man sich um Klimaschutz und möchte trotzdem ein klimaschädliches Produkt unbedingt kaufen, könnte man versuchen, es als klimafreundlich zu interpretieren: „Ich kaufe kaum noch Fleisch – und wenn, dann Bio.“
Fleisch essen – Geht das ohne schlechtes Gewissen?
Wenn man sogar nur noch die Informationen wahrnimmt, die die eigene Meinung unterstützen, spricht man von einem Confirmation Bias.
Auch positive Effekte unsichtbar
Dr. Christoph Nikendei zufolge fehlen außerdem Verstärkersysteme, die positives Handeln belohnen und damit bestärken. Ebenso wie einige negative Effekte des Klimawandels nicht sofort greifbar sind, werden auch positive Effekte des eigenen Handelns nicht sofort sichtbar: Nimmt man beispielsweise Bus oder Rad anstelle des Autos wird nicht sofort ersichtlich, wie viel CO2 und Energie eingespart wird. Das demotiviert und macht es schwer einzuschätzen, was genau welchen Klimagewinn bringt.
Durch politische Verstärkersysteme könnten die langfristigen Effekte von klimafreundlichen Verhalten unmittelbar sichtbar gemacht werden. Ein Beispiel für den Nutzen von Verstärkersystemen ist die Bepreisung von CO2. Dadurch wird der Verbrauch von CO2 für Unternehmen teurer und die abstrakte, sehr komplexe und schleichende Klimakrise direkt und konkret spürbar.
Auch kleine Veränderungen zählen
Auch kleine Veränderungen können große Auswirkungen haben, motiviert der Psychologe. Die Transformationsforschung – das ist die Erforschung von alten Gewohnheiten hin zu neuen Gewohnheiten – besagt, dass letztendlich alle Entwicklungen wichtig sind und dass auch Nischenentwicklungen und kleine Innovationen wichtig sein können.
Natürlich sind auch weitere großflächige und tiefgreifende politische und gesellschaftliche Veränderungen nötig, um das Klima wirklich effektiv zu schützen. Doch jeder Anfang zählt. Auch, wenn es nur ein kleiner ist. Die Frage, die bleibt, ist, was schneller einsetzen wird: Das Bewusstsein für die Klimakrise oder die negativen Folgen des Klimawandels.
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