Eine verbesserte Diagnostik, der demographische Wandel – und Corona? Die Anzahl an Demenzerkrankungen in Deutschland steigt. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten.
Hier etwas verlegt, da einen Termin verschusselt – kleine Vergesslichkeiten sind im Alltag nichts Ungewöhnliches. Dann geht man aus dem Haus und plötzlich fragt man sich, „wo bin ich? Wo wollte ich hin? Wie komme ich nach Hause?“ Dieses Szenario ist für die meisten schon weniger vorstellbar. Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit, der Sprache, des Auffassungs- und Denkvermögens und der Orientierung – all das kann für Demenzkranke Alltag sein.
Im Jahr 2050 könnten rund 153 Millionen Menschen mit Demenz leben. Damit würde sich die Zahl an Demenzfällen weltweit verdreifachen. Dieses Szenario sagt eine Gesundheitsstudie voraus, die Anfang 2022 in der Fachzeitschrift »The Lancet Public Health« veröffentlicht wurde. Als Hauptgrund nennen die Forschenden das Wachstum und die Alterung der Bevölkerung.
Auch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) gibt an, dass die Zahl der Demenzerkrankten kontinuierlich zunehmen wird. Infolge der demographischen Veränderungen komme es zu weitaus mehr Neuerkrankungen als Sterbefällen unter den bereits Erkrankten.
Dabei betrifft eine Demenz nicht nur Ältere. Laut aktueller Schätzungen der WHO sind mehr Menschen unter 65 Jahren betroffen als bislang angenommen. Prof. Dr. Thyrian, Vorstandsmitglied der DAlzG, erklärt, dass das vor allem an der verbesserten Diagnostik liege.
Risikofaktoren für Demenz
Neben beispielsweise genetischen, nicht vermeidbaren Risiken für Demenz gibt es auch einige Faktoren, auf die man selber Einfluss nehmen kann. Die internationale Expertenkommission zur Demenzprävention (International Commission on Dementia Prevention, Intervention and Care) benannte in einer Studie 12 Risikofaktoren:
- Rauchen
- Exzessiver Alkoholkonsum
- starkes Übergewicht
- hoher Blutzucker
- unbehandelte Schwerhörigkeit
- Hirnverletzungen
- Bluthochdruck
- Depressionen
- Soziale Isolation
- Bewegungsmangel
- Luftverschmutzung
- Bildungsgrad
Letzteres könnte einen großen Unterschied machen. In der regelmäßig erscheinenden „Global Burden of Disease“-Studie prognostizieren die Forschenden, dass ein verbesserter Zugang zu Bildung für sechs Millionen weniger Demenzfälle sorgen könnte. Denn auch geringe Bildung in jungen Jahren beeinflusst das Risiko, später an Demenz zu erkranken.
Steigert auch Corona das Demenz-Risiko?
Zu den Spätfolgen von Corona ist noch sehr wenig bekannt. Sowohl die Symptome als auch die Behandlungsmöglichkeiten müssen besser erforscht werden. Symptome, die als Long Covid oft mit einer vorhergegangenen Covid-19-Erkrankung in Zusammenhang gebracht werden, sind beispielsweise Brustschmerzen, Atembeschwerden, der Verlust des Geruchsinns und allgemeine Müdigkeit.
Corona-Langzeitfolgen Das ist über Long Covid bekannt
Wer unter Long Covid leidet, der zeigt noch Wochen nach einer akuten Coronainfektion anhaltende Symptome. Wen trifft es? Und wie kann Betroffenen geholfen werden?
Eine neue Studie, die jetzt im Fachjournal «The Lancet Psychiatry» erschienen ist, macht aber auch auf ein leicht erhöhtes Risiko für manche psychiatrische und neurologische Probleme als Folge von Corona aufmerksam. Die britischen Forschenden werteten dazu Krankenakten von 1,28 Millionen Covid-19-Patienten aus und verglichen sie mit den Akten von ähnlich vielen Menschen mit einer anderen Atemwegserkrankung. Die Zusammenstellung der Gruppen ähnelte sich hinsichtlich Alter, Geschlecht, ethnischer Herkunft und anderen Merkmalen.
Leicht erhöhtes Risiko für psychiatrische und neurologische Erkrankungen
Bei den über 64-Jährigen traten unter 10.000 Covid-Patienten 450 Fälle von Demenz auf, in der Kontrollgruppe waren es demgegenüber nur 330 Fälle. Auch für Bewusstseinstrübungen (Brain Fog), psychotische Schübe und Epilepsie scheint das Risiko durch Covid leicht erhöht.
In diesen Fällen hatte der Studie zufolge auch die Corona-Variante einen Einfluss. Bei der Delta-Variante traten im Vergleich zur Alpha-Variante unter anderem Schlaganfälle, Epilepsie oder Bewusstseinstrübungen häufiger auf. Bei Omikron waren die Spätfolgen ähnlich wie bei Delta, wobei die Sterberate niedriger war.
Welche Aussagekraft hat die Studie?
Maxime Taquet von der University of Oxford, die gemeinsam mit Paul Harrison das Forschungsteam leitet, sagt, dass die Ergebnisse ein neues Licht auf die längerfristigen Folgen für die psychische Gesundheit und das Gehirn von Menschen nach einer Covid-19-Infektion werfen.
Die Forschenden machten jedoch unter anderem darauf aufmerksam, dass Covid-Fälle mit geringen oder keinen Symptomen unterrepräsentiert sein könnten. Auch weitere Details, wie beispielsweise zur Schwere der neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen, wurden nicht berücksichtigt. Es bedarf hierzu also weiterer Forschung.
Die Studie sei wegen der enormen Zahl an Patienten, der Kontrollgruppe und dem langen Beobachtungszeitraum von zwei Jahren dennoch relevant, sagte Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ein erhöhtes Risiko für eine Demenz bei Covid-Patienten gebe die Studie allerdings nicht her. Es sei bekannt, dass eine latente Demenz häufig durch ein schwerwiegendes Ereignis manifest werde. Eine Covid-19-Erkrankung könne ein solches Ereignis sein – ohne dass es einen ursächlichen Zusammenhang gebe.
Behandlungsmöglichkeiten von Demenz
Laut WHO gilt eine Demenz-Erkrankung derzeit als die siebthäufigste Todesursache weltweit. Sie ist außerdem eine der Hauptursachen für Behinderungen und Pflegebedürftigkeit älterer Menschen.
Eine Heilung von Demenzerkrankungen wird es wohl in naher Zukunft nicht geben. In der Forschung gibt es jedoch immer wieder neue Ansätze für Behandlungsmöglichkeiten.
Der Alzheimer-Forscher Christian Haass vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen sagte dem Deutschlandfunk, dass es bereits ein großer Erfolg wäre, die Patienten in einem gewissen Stadium ihrer Erkrankung zu stabilisieren: „Das ist mein großer Lebenstraum, dass wir so was mal erleben. Wir wollen nicht mehr, als einen Patienten, der in die Klinik kommt, an dem Stadium aufhalten, mit dem er in der Klinik auftaucht.” – Bis dahin sei es allerdings noch einen sehr, sehr weiter Weg.