Ein Krieg ohne zivile Opfer ist leider utopisch. Aber warum kommt es zu solch schrecklichen Gräueltaten wie in der Ukraine? Was bringt Menschen dazu, anderen so viel Leid anzutun? Im Interview mit SWR2 Impuls sucht der Konstanzer Psychologe Thomas Elbert nach Antworten.
Ein Krieg ist immer grausam. Menschen kommen ums Leben. Und es trifft nicht nur das militärische Personal, sondern immer auch die Zivilbevölkerung, so auch im Krieg in der Ukraine.
Der ukrainische Staatschef Selenskyj hat den russischen Streitkräften vorgeworfen, Hunderte Vergewaltigungen an ukrainischen Frauen und Mädchen sowie weitere schwere Kriegsverbrechen begangen zu haben. Allein in Mariupol gehen die ukrainischen Behörden von Zehntausenden zivilen Opfern aus.
Als von den Gräueltaten in Butscha und anderen Orten in der Ukraine berichtet wurde, reagierten viele mit großem Entsetzen. Das wirft die Frage auf: Was bringt Menschen dazu, solche Taten zu begehen?
Die Psychologie des Krieges
Einen Krieg ohne solche Verbrechen an der Zivilbevölkerung habe es bislang nicht gegeben, sagt der Gewaltforscher Thomas Elbert. Er ist emeritierter Professor für Klinische Psychologie an der Universität Konstanz und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Psychologie der Gewalt.
Da wäre die moralische Hemmung zu groß. Die Kriegpropaganda werde durchschaut, und diese Männer hätten mehr Überlegungen, wie sie persönlich diesem Krieg entfliehen könnten.
Einerseits würden, so Elbert, Menschen mit Befehlsgewalt solche Gräueltaten anordern, weil sie damit zeigen können, wie grausam sie seien und dass sie kein Halten kennen.
Ziel dieser Strategie sei es auch, dem Gegner Angst einzujagen. Es gehe dabei nicht um eine faire Auseinandersetzung wie im Fußball oder einem Boxkampf, es gehe jetzt um Leben und Tod.
Wenn man versucht, sich in diese Soldat*innen hineinzuversetzen, muss man sehen, dass die eben auch Angst und Wut auf die Zivilbevölkerung haben. Denn die Zivilbevölkerung unterstützt ja die eigenen Streitkräfte und versorgt diese mit Logistik und Informationen.
Und dann kann es, so Elbert, durchaus vorkommen, dass einige in eine Art von "Blutrausch des Kampfes" hineingezogen werden.
Negative Gefühle können Verhalten beeinflussen
Natürlich gibt es, so Elbert, keine Untersuchungen während des Mordens. Untersucht wurden dagegen Kämpfer, die getötet haben.
Ihnen wurde gesagt, sie sollten sich in der Vorstellung in diese Situation hineinzubegeben. Dabei haben die Forschenden um Prof. Elbert festgestellt, dass das Gehirn zur Zeit des Kampfes unterschiedliche Modi des Kampfes hat, die auch auf der Verhaltensseite beobachtet werden können.
Die Fazination des "Jägers"
Die andere Seite: Man lässt sich hineinziehen, in diese "Faszination des Jägers", in dem Fall bei der Jagd auf Menschen. Dabei können durchaus im Gehirn auch positive Gefühle entstehen, wie wenn man auf die Jagd geht. Man baut eine positive Verbindung zu seiner Waffe auf, die man auch vorbereitet und putzt.
Diese beiden Reaktionen, also die negative emotionale Lage oder das positive Jagd-Gefühl, sind laut Egler unterschiedliche Netzwerke, die im Gehirn eingeschaltet werden. Im Frontalkortex ist die höchste moralische Instanz beheimatet. Diese kann aber beispielsweise durch den Einfluss von Drogen oder Alkohol heruntergesetzt werden. So könne man beispielsweise durch den Einfluss von Cannabis die Angst reduzieren, aber möglicherweise auch die Lust an Kampf und Gewalt erhöhen.
Nicht alle Soldaten sind zu solchen Gräueltaten fähig
Manche Leute, so Elbert, sterben lieber in einer Kriegssituation, bevor sie überhaupt jemand anderem kämpfend gegenübertreten.
Es gebe Situationen, wo ganze Schulklassen von Rebellen entführt wurden, beispielsweise im Norden Ugandas. Dort würde man nicht alle Jungen dazu bekommen, auf den Feind zu schießen. Daher werden sie von den Rebellen regelrecht darauf konditioniert: sie werden misshandelt, erleiden Entbehrungen, müssen miterleben wie Kameraden erschossen werden. All das geschieht, um die Angst in den anderen zu aktivieren, sodass die Jungen über dieser Schwelle der Tötungshemmung hinweggehen.
Elbert erläutert: "Und da haben Sie vielleicht 70-80 Prozent der Jungen, die überhaupt überleben. Die anderen, die sich weigern, die bringen sie um. Letztlich, wenn sie die Jungen mit zwölf, 13 oder auch 14 Jahren bekommen, sind sie letztlich alle bereit, auch in den Kampf zu ziehen."
Bei den jungen Mädchen gebe es allerdings keine vergleichbaren Szenarien, bei denen diese ähnlich bereit wären, in den Kampf zu ziehen.
Propaganda lässt Soldaten Gräueltaten verüben
Propaganda spielt nach Einschätzung von Elbert eine wichtige Rolle im Kriegsgeschehen. Indem man sagt, wie grausam der Feind sei, wie schlimm dieser uns vernichten möchte und was für schlechte Menschen das seien oder man sie gar nicht erst mit Menschen gleichsetzt - diese Propaganda führe dazu, dass die Leute dann bereit seien, dieses Unheil aus der Welt zu schaffen.
Im Fall der Russen gebe es eine ganz klare und zum Teil absurde Propaganda, aber die Logik sei für viele russische Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar: "Wir befreien unsere Schwestern und Brüder in der Ukraine von einem ganz schlimmen Krebsgeschwüre, den Nazis, die sich da wieder breit gemacht haben. Und jetzt müssen wir denen helfen da freizukommen." Mit dieser Argumenation halten russische Soldatinnen und Soldaten den Krieg dann durchaus für sinnvoll.
Durch die Wahrheit den Krieg abkürzen
Krieg ist immer dreckig und es gilt ihn mit allen Mitteln zu vermeiden. Die entscheidende Waffe, die wir haben sei, so Egler im Interview mit SWR2 Impuls, ist es den Russen die Propagandamaschine wegzunehmen.