Zwei Studien haben neue Erkenntnisse über extremistisch handelnde Personen erlangt. Ziel der Forschung ist es, die Entstehung ideologischer Ansichten früh zu erkennen, um den Menschen zu helfen.
Die Kombination ist entscheidend
Es ist von großer sozialer und gesellschaftlicher Bedeutung, mehr über Menschen zu erfahren, die sich gewalttätigen, ideologischen Gruppen anschließen. Warum beteiligen sie sich an Grausamkeiten anderen gegenüber? Eine Studie der Cambridge Universität legt nun nahe, dass eine Mischung aus Persönlichkeitsmerkmalen und unterbewussten Wahrnehmungsprozessen zu unterschiedlichen extremistischen Ansichten führen kann.
Außerdem zeigen Forschungsergebnisse der Assistenzprofessorin für Psychologie an der New York University Abu Dhabi, Jocelyn Bélanger, dass ideologische Besessenheit als eine Form von Suchtverhalten gesehen werden kann. Diese Studie erklärt außerdem, warum Menschen zu ideologisch motivierter Gewalt greifen und wie ihnen am besten geholfen werden kann.
Cambridge-Forscher: Kombinationen von Persönlichkeitsmerkmalen
Die Teilnehmenden der Cambridge-Studie im Alter von 22 und 63 Jahren kamen alle aus den USA und die Gruppe bestand fast zur Hälfte aus Frauen. Bei Menschen mit extremistischen Ansichten entdeckten die Forscherinnen und Forscher gemeinsame psychische Merkmale. Sie stellten bei diesen Personen ein schlechteres Arbeitsgedächtnis fest, das sogenannte "working memory". Das ist beispielsweise zuständig, wenn man sich eine längere Telefonnummer merken möchte, um sie später zu notieren.
Des Weiteren zählen die Forschenden langsamere Wahrnehmungsstrategien zu den gemeinsamen Merkmalen. Das heißt, dass diese Personen es langsamer unterbewusst verarbeiten, wie Umweltreize, zum Beispiel Formen oder Farben, sich ändern. Außerdem neigen radikal denkende Menschen eher zur Impulsivität und Sensationssuche - Persönlichkeitsmerkmale, die auch bei dogmatischen und konservativen Menschen wiedergefunden wurden.
Es gibt nur die eine Wahrheit
Dogmatismus, also unkritisch an Überzeugungen festzuhalten, spielt ebenfalls eine große Rolle in der Studie. Die Cambridge-Forscher stellten fest, dass dogmatische Menschen Reize in ihrer Umgebung langsamer aufnehmen, jedoch eher eine impulsive Persönlichkeit besitzen. Dogmatisch denkende Personen übernehmen eher unreflektiert vorgefasste Denkweisen und halten anschließend unbeirrt daran fest. Ähnlichkeiten lassen sich auch bei konservativ geprägten Menschen finden, sprich Personen, die vor allem Stärken von Traditionen betonen. Neue Entwicklungen betrachten diese Menschen eher kritisch oder fühlen sich bedroht.
Die "psychologische Signatur" für Extremismus ist, laut den Forschenden aus Cambridge, eine Mischung aus konservativen und dogmatischen Denkweisen. Diese Menschen seien eher zu Gewalt bereit, um ideologisches Gedankengut zu unterstützen. Sie besäßen ein festes Weltbild und seien gegen Beweise "resistent". Das Team um Dr. Leor Zmigrod, Co-Autorin der Studie, ist demnach der Ansicht, dass diese Forschung dazu beitragen könnte, Menschen, die im gesamten politischen und religiösen Spektrum am anfälligsten für Radikalisierung sind, schon früher zu identifizieren und ihnen zu helfen.
Ideologische Besessenheit
Wissenschaftler:innen von der NYU in Abu Dhabi kommen in einer Studie zusätzlich zu weiteren Erkenntnissen. Demnach durchlaufen Menschen mit ideologischen Ansichten vier Prozesse auf dem Weg zur Gewalt:
1. Moralische Loslösung: Ideologische Besessenheit deaktiviert die eigene Selbstbeschuldigung. Den Personen fällt es dadurch leichter, unmoralisch zu handeln, ohne sich selbst schuldig zu fühlen.
2. Hass: Ideologisch Besessene fühlen sich eher von Gegenargumenten bedroht, die die eigenen Überzeugungen kritisieren. Das schürt Hassgefühle und führt eher zu potenziell gewalttätigen Handlungen.
3. Soziale Interaktion: Sie suchen eher Kontakt zu Gleichgesinnten oder interessieren sich für Netzwerke, die ihre gewalttätigen Überzeugungen teilen.
4. Psychologische Reaktanz: Laut dieser Studie sind diese Menschen nicht zugänglich für Argumente, die sie von Gewalt abbringen wollen. Sie fühlen sich eher in ihren Freiräumen eingeengt und bedroht und reagieren deshalb radikal.
Reiches und befriedigenderes Leben
Gewalttätige und radikale Menschen nur mit aufklärerischem Material umstimmen oder ermahnen zu wollen, ist meist sogar kontraproduktiv. Laut Jocelyn Bélanger, der Psychologin aus Abu Dhabi, müsse man das extremistische Verhalten eher wie eine Sucht behandeln. Um Radikalisierungsprozesse umzukehren, hilft es demnach, die persönliche Bedeutung der Personen zu stärken und hervorzuheben.
Hohe Gewaltbereitschaft
Über alle untersuchten Ideologien hinweg zeigte sich eine hohe Bereitschaft für ideologisch motivierte Gewalt. Dr. Zmigrod stellt zudem fest, dass Menschen, die Schwierigkeiten haben, komplexe Inhalte zu verarbeiten, eher dazu neigen, extremen Grundsätzen zu folgen. Das mache sie anfälliger für dogmatische und autoritäre Ideologien.