Sieben von zehn Menschen in Deutschland nehmen Mittel, um ihre geistige Leistung oder Wachheit zu steigern. Das zeigt die bisher größte Studie zum Doping fürs Gehirn.
Selbstoptimierung durch Gehirn-Doping liegt im Trend. Die konsumierten Mittel sollen wachhalten, beim Lernen helfen und die Konzentration stärken: Ob Energydrink, Koffeintabletten oder Ritalin: Viele Menschen in Deutschland nehmen Mittel zur Steigerung ihrer geistigen Leistung oder Wachheit.
Bislang größte Studie zu Doping-Substanzen fürs Gehirn
Die bislang größte repräsentative Studie zur Verbreitung von sogenannten Neuro-Enhancern in Deutschland mit mehr als 22.000 Teilnehmenden hat jetzt gezeigt, dass 70 Prozent der Befragten mindestens einmal im letzten Jahr Neuro-Enhancer eingenommen haben. Dabei wurde der Konsum von Koffein am häufigsten genannt, aber durchaus auch andere, zum Teil verschreibungspflichtige und auch illegale Wirkstoffe.
Bisher gab es nur Studien mit recht kleinen und nicht zufälligen Stichproben zu der Frage, wie viele Menschen in Deutschland Mittel zur Steigerung ihrer geistigen Leistungen konsumieren. Die Ergebnisse dieser Studien unterschieden sich stark.
Deshalb hat das nun ein Forschungsteam der Universität Bielefeld und der Universität Erfurt genauer untersucht. Sie haben Daten von mehr als 22.000 Teilnehmenden unterschiedlichen Alters ausgewertet, die dazu 2019 und 2020 eingehend befragt worden waren.
Koffein und Energydrinks dominieren, um Leistung und Wachheit zu erhöhen
Nicht überraschend ist das Ergebnis, dass sehr viele Menschen - nämlich fast 70 Prozent - auf Koffein setzen. Direkt gefolgt von Energydrinks. Etwa 65 Prozent der Befragten sagen, dass sie diese ausdrücklich mit dem Ziel einer Leistungssteigerung konsumiert haben.
Ziemlich häufig werden auch frei erhältliche Nahrungsergänzungsmittel und Hausmittel wie Gingko-Präparate zur Hilfe gezogen - fast 32 Prozent erhoffen sich davon eine geistige Leistungssteigerung. Dabei greifen gerade Menschen im jungen und mittleren Alter besonders häufig zu dieser Art von Wachmachern.
Verschreibungspflichtige Medikamente im Aufwind beim Gehirn-Doping
Gesteigert hat sich nach Auskunft der Forschenden die Zahl der Menschen, die versuchen, mit verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Modafinil, Methylphenidat, Antidepressiva oder Betablockern eine Leistungssteigerung zu erzielen.
3,7 Prozent der Befragten haben angegeben, ohne medizinische Notwendigkeit, verschreibungspflichtige Medikamente einzunehmen. Das scheint erstmal wenig, aber hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung könnten es immerhin etwa 2,5 Millionen Menschen sein.
Nach Angaben der Forschenden werden diese Medikamente zunehmend gesellschaftsfähig. Das zeigt auch, dass etwa 40 Prozent der Befragten eine zukünftige Nutzung solcher Medikamente zur Leistungssteigerung nicht grundsätzlich ablehnen.
Junge und Alte haben unterschiedliche Gründe für Gehirn-Doping
Interessant auch: Die Nutzenden sind entweder sehr jung oder relativ alt. Das Forschungsteam spekuliert, dass ältere Personen sie möglicherweise nutzen, um die Anforderungen im Job weiter zu erfüllen. Und bei jungen Erwachsenen wie beispielsweise Studierenden könnte der Leistungsdruck für den Trend zum Hirndoping verantwortlich sein. Doch die Expertinnen und Experten warnen auch: Längst nicht alles, was derzeit geschluckt wird, hat auch die erwünschte Wirkung.
Wenige Menschen nehmen illegale Drogen zur Leistungssteigerung
Sehr wenige Befragte - 1,4 Prozent - gaben an, illegale Drogen wie Kokain oder Amphetamine eingenommen zu haben. Das ist nicht überraschend.
Deutlich beliebter ist Cannabis - über vier Prozent aller Befragten haben zugegeben, es mit dem Ziel zu nehmen oder zu rauchen, um Stress abzubauen, wieder leistungsfähig zu werden oder auch um die Kreativität anzuregen.
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Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Pilze, LSD und ihre bunten Versprechen: Wohin führt uns der Hype um psychedelische Substanzen?
Psychedelische Retreats sind gerade so populär, dass sogar Schauspielerin und Wellness-Guru Gwyneth Paltrow dafür wirbt. Dabei geht es nicht um den Konsum von MDMA oder Magic Mushrooms für das reine Vergnügen. Stattdessen soll das Bewusstsein so geweitet werden, dass Traumata und Ängste verarbeitet werden können.
„Ich bin mir nicht sicher, ob das doch ein Hype ist, der in fünf bis sechs Jahren durch sein könnte“, sagt, trotz des medialen Rummels, Robert Feustel, Experte für die Kulturgeschichte von Rausch und Drogen. Viele Besucher*innen nutzten solche Retreats als Methode zur Selbstoptimierung, um den alltäglichen Wahnsinn der Leistungsgesellschaft zu kompensieren. “Aber wir sollten nüchterne Wege finden, die egozentrische kapitalistische Ausbeutungswelt zu verändern.“
In der Geschichte sei die Kontrolle des Drogenkonsums nie eine Frage des Gesundheitsschutzes gewesen, meint Feustel. Es sei dabei, vor allem in den USA, immer um die Gängelung von Minderheiten und Jugendkulturen gegangen. In der Debatte um den neuen Hype um Psychedelika sei es also mindestens genauso wichtig, langsam von einer Stereotypisierung aller Drogenkonsumenten wegzukommen: “Wichtig ist, ein anderes Reden über Drogen in der Gesellschaft zu etablieren.“
Für psychiatrische Behandlungen könnte die Rückkehr der Psychedelika aber sehr wohl positive Folgen haben. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren habe man die positiven Effekte von LSD oder MDMA auf psychisch Erkrankte erforscht, erklärt Feustel.
Vielleicht gibt es sie also doch, die schöne neue Welt der Psychedelika?
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Hosts: Christian Batzlen und Pia Masurczak
Showrunner: Giordana Marsilio
Die Kiyumi-Retreats von Amit Elan in den Niederlanden könnt ihr euch hier anschauen http://Kiyumi.org
Der psychedelic turn, geht’s dabei um Ekstase oder Kommerz? Philipp Hanske im Interview zu seinem aktuellen Buch „Ekstase der Gegenwart”, geschrieben zusammen mit Benedikt Sarreiter: https://www.swr.de/swr2/literatur/neues-buch-ekstase-der-gegenwart-ekstase-ist-ein-zustand-der-allen-menschen-vertraut-ist-100.html
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Das Buch von Robert Feustel, „Ein Anzug aus Strom”, findet ihr hier: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-09575-8