Frühkindlicher Stress kann auch später im Leben noch Spuren im Gehirn hinterlassen. Ein Mainzer Forschungsteam hat eine mögliche Erklärung dafür gefunden.
Forschende der Mainzer Gutenberg-Universität haben in Tierversuchen einen Mechanismus entschlüsselt, der erklären könnte, wie frühkindlicher Stress das Gehirn auf Dauer schädigt und eine Art Narbe hinterlässt. Mit diesen Erkenntnissen, so die Hoffnung des Forschungsteams, könnten Therapiemöglichkeiten für stressbedingte Erkrankungen wie Depressionen in Zukunft verbessert werden.
Zwei Zelltypen im Gehirn
Dafür muss man verstehen: Das menschliche Gehirn besteht nicht nur aus Nervenzellen, sondern auch aus Gliazellen, die für die Funktion des Gehirns wichtig und lange in der Stressforschung übersehen worden sind. Das Team um die Wissenschaftlerin Giulia Treccani der Universitätsmedizin Mainz schaute sich für ihre Studie die Funktion von ganz bestimmten Gliazellen, den NG2+-Zellen, genauer an. Gliazellen stützen nicht nur die Nervenzellen des Gehirns, sondern sie kommunizieren auch mit ihnen.
Stress beeinträchtigt Kommunikation zwischen Zellen
Die Forschenden entschlüsselten diesen Mechanismus: Durch Stress steigt die Konzentration des Hormons Corticosteron, die Stromdichte in den Ionenkanälen wird erhöht. Das beeinträchtigt die Kommunikation zwischen den Zellen. Denn Ionenkanäle spielen eine wichtige Rolle beim Austausch von Informationen zwischen Gliazellen und Nervenzellen.
Zum Teil gehen sogar Strukturen verloren. "Und obwohl dieser Stress früh im Leben erlebt wird, bleibt er lange Zeit nach dem Stress in einer bestimmten Region des Gehirns nachweisbar", erklärt Treccani, die Erstautorin der Studie ist. Und das sei gänzlich neu. Denn bislang sei man immer davon ausgegangen, dass die negativen Auswirkungen von frühkindlichem Stress ganz überwiegend über die Nervenzellen selbst vermittelt würden.
Weniger verlässliches Verhalten der Mäusemütter
Die Wissenschaftler testeten das an Mäusen, indem sie den Mäusemüttern etwas zu wenig Nistmaterial zum Bauen für ein Nest bereitstellten. Das setzte die Maus unter Stress. "Deshalb ist sie mehr oder weniger die ganze Zeit damit beschäftigt, das Nest zu bauen und zeigt deshalb weniger konstantes verlässliches mütterliches Verhalten und dies wirkt sich auf die Nachkommen aus“ erklärt Prof. Marianne Müller, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Teil des Mainzer Forschungsteams.
Einige der Mäuse, die von ihren Müttern weniger gut umsorgt wurden, zeigten später im Erwachsenenalter bei Tests eine eingeschränkte Gehirnleistung. Und zwar im Hippocampus, der Region, die hauptverantwortlich für das Lernen und das Gedächtnis ist. Diese Mäuse konnten sich schlechter Objekte merken und entwickelten Gedächtnisdefizite.
Manche reagieren mehr als andere auf Stress
Doch nicht alle Mäuse waren gleichermaßen von solchen Veränderungen in den Zellen betroffen. Nicht alle Tiere reagierten ähnlich stark auf den frühkindlichen Stress. "Diese Ergebnisse lassen uns hoffen, dass wir in Zukunft möglicherweise verstehen, warum manche Menschen sehr empfindlich gegenüber derartigen Stressereignissen sind, während andere eine hohe Resilienz aufweisen und trotz sehr widriger Lebensumstände dennoch eine stabile Psyche haben", erklärt Professorin Müller.
Inwieweit sich diese Befunde aus den Mausmodellen auch auf den Menschen übertragen lassen, muss weiter erforscht werden. Doch die Mainzer Forschenden zeigen sich zuversichtlich: "Wir haben in der Studie Mechanismen untersucht, die sehr ähnlich zwischen Maus und Mensch sind. Also die Gedächtnisfunktion und die Fähigkeit zu lernen. Deshalb glauben wir, dass es grundsätzlich übertragbar ist, dass wir das Tiermodell nutzen können."