Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Menschen mit Essstörungen deutlich angestiegen. Problematisch ist, dass Therapieplätze fehlen.
An Magersucht, auch Anorexia nervosa genannt, erkranken vor allem Mädchen in der Pubertät. Die Patientinnen werden allerdings immer jünger. Das falsche „Idealbild“ junger Mädchen oder Frauen wird oft wesentlich durch soziale Medien beeinflusst. Wie kann Betroffenen geholfen werden? Wie sieht die Therapie aus?
Magersucht kann tödlich enden
Zwanghaftes Kalorienzählen, strenger Verzicht, dazu exzessives Sporttreiben, das sind typische Verhaltensmuster von Betroffenen. Aus dem anfänglichen Wunsch heraus, schlanker zu werden, entwickelt sich oft schleichend ein Kampf gegen das natürliches Bedürfnis, zu essen. Betroffene kontrollieren und dokumentieren ihr Gewicht oft mehrmals täglich.
Häufig führt die Angst, etwas essen zu müssen, zu sozialem Rückzug. Oftmals geht Magersucht mit Depressionen und einer erhöhte Suizidalität einher. Die dauerhafte Unterversorgung lebensnotwendiger Nährstoffe kann zu Organversagen und Herzrhythmusstörungen führen, schlimmstenfalls zum Tod.
Immer mehr jüngere Patientinnen mit Essstörungen
Andreas Schnebel, Vorstand des Bundesfachverbandes Essstörungen sieht, dass es immer mehr mehr jüngere Patient*innen gibt und die Therapieplätze immer knapper werden. Schnebel leitet die Beratungsstelle ANAD in München.
Durch die erzwungene Isolation und die Schließungen von Schulen und anderen Einrichtungen hat sich die Situation nochmals verschärft: Die Jugendlichen waren sehr viel zuhause und öfter am Handy oder Rechner als sowieso schon.
Soziale Medien spielen bei der Entwicklung von Esstörungen eine Rolle
Schnebel berichtet, dass der Unterricht aus der Distanz oft nicht gut funktioniert habe. Viele Kinder und Jugendlichen hatten zwar einerseits Unterricht am Rechner, aber das Handy lag dennoch daneben und wurde oft zeitgleich genutzt. Dass gerade die Nutzung sozialer Medien bei Entwicklung von Essstörungen eine wichtige Rolle spielen könnten, zeigen mittlerweile mehrere Studien.
Krankenkassen: Zunahme an Esstörungen unter Jugendlichen
Die Auswertungen von Krankenkassen unter ihren Versicherten bestätigen: Seit Corona müssen mehr Jugendliche mit einer Essstörung wie Magersucht oder Bulimie behandelt werden.
So stellt die DAK-Gesundheit für 2020 im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme bei den Krankenhausbehandlungen wegen Essstörungen von neun Prozent fest. Bei den 15- bis 17-Jährigen sind es sogar 13 Prozent mehr.
Die Kaufmännische Krankenkasse KKH kommt nach eigenen Angaben auf ein Plus von rund sieben Prozent bei den 13- bis 18-Jährigen.
Stress und Sorge vor Kontrollverlust als mögliche Auslöser einer Essstörung
Bisher gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, warum es seit Beginn der Corona-Pandemie immer mehr junge Menschen mit Esstörungen gibt. Mögliche Ursachen könnten sein, dass Mädchen, die an Magersucht erkrankten, Stress oft nicht so gut verarbeiten könnten. Betroffene litten in der Pandemie besonders stark unter der Verunsicherung und der Sorge, die Kontrolle zu verlieren. Die Kontrolle des eigenen Essverhaltens könnte dann eine Bewältigungsstrategie sein, insgesamt wieder das Gefühl von Kontrolle zu bekommen.
Soziale Medien erreichen immer Jüngere
An Magersucht leiden vor allem Mädchen in der Pubertät. 15 Jahre ist ein typisches Alter für diese Form der Essstörung. Seit ein paar Jahren tauchen jedoch in der Münchner Beratungsstelle von Andreas Schnebel teilweise schon 8- oder 9-jährige Mädchen auf. Und zunehmend Jungs, die eine schwere Essstörungen entwickeln.
Körperliche und seelische Reife passen nicht zusammen
Diese Zusammenhänge werden durch verschiedene Studien gestützt. Die Pubertät setzt immer früher ein. Psychisch seien viele aber, so Schnebel", vielleicht noch nicht so weit. Gleichzeitig seien Kinder und Jugendliche immer früher in den sozialen Medien unterwegs. Dort werden sie permanent mit geschönten Bildern konfrontiert. Wer bereits ein fragiles Körperbild hat, ist dann vielleicht offener für diesen Einfluss.
In speziellen Magersucht-Foren auf TikTok, Instagram und anderen sozialen Netzwerken finden sich Bilder oder Videos von ausgemergelten Teenagern unter speziellen Hashtags. Hier treffen sich Gleichgesinnte, die sich gegenseitig hochpushen.
Soziale Isolation während der Corona-Beschränkungen
Der Münchner Psychologe Schnebel erläutert: Während der Corona-Beschränkungen war für viele junge Leute das Internet der wichtigste und oft einzige Kontakt zur Außenwelt. Auf Instagram und anderen Kanälen bekamen sie dann ständig überarbeitete Bilder von Freundinnen, Mitschülerinnen und anderen Gleichaltrigen zu sehen. Weil sie diese aber nicht mehr trafen, hielten sie deren geschöntes Aussehen für echt. Die realen Vergleiche seien weggefallen.
Magersucht ist eine ernstzunehmende Erkrankung
Wieder ein normales Teenager-Leben zu führen, das gelingt nur etwa der Hälfte aller Magersüchtigen. 30 Prozent erleiden Rückschläge, bei 20 Prozent wird die Erkrankung chronisch - mit dramatischen Folgen für ihre Gesundheit. Magersucht ist eine sehr ernstzunehmende Erkrankung, an der zwei Prozent der Betroffenen sterben.
Schlüssel für ein gesundes Verhältnis zum Essen, zum Sport und eigenen Körper ist ein positives Selbstbild: Jede Person ist anders und niemand ist perfekt - Abweichungen nach oben und unten seien vollkommen normal. Das müsste bereits im Kindergartenalter vermittelt werden.
Hier finden Betroffene Hilfe
Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen muss man durchaus ernst nehmen. Eine erste Anlaufstelle kann der Arzt oder die Ärztin des Vertrauens sein. Beim Bundesfachverband Essstörungen findet man zahlreiche Informationen und Adressen und auch einen "Quickcheck Essstörungen", der schon erste Hinweise auf eine mögliche therapiebedürftige Störung geben kann.
Über spezialisierte Beratungsstellen können im übrigen auch ambulante oder in schwereren Fällen auch stationäre Hilfsangebote oder in besondere Fällen auch therapeutische Wohngruppen vermittelt werden.
Weitere Informationen zu Essstörungen findet man auch auf den von der Bundesärztekammer und Kassenärztlichen Bundesvereinigung beauftragten Seiten www.patienten-information.de.