Erdbeben lassen sich nur schwer vorhersagen. Manche Tierarten wie Ziegen scheinen Erdbeben schon vorher zu "spüren" und zeigen ein auffälliges Verhalten. Lässt sich das zur Warnung vor Erdbeben nutzen? In einem Interview spricht der Verhaltensbiologe Martin Wikelski über den aktuellen Stand der Forschung.
Wie lässt sich bessere Vorsorge treffen für Erdbeben-gefährdete Regionen? Diese Frage stellt sich einmal mehr nach dem verheerenden Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet. Prof. Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell erforscht, wie Tiere auf Erdbeben reagieren und untersucht auch, wie sich das für die Frühwarnung in gefährdeten Regionen nutzen lassen könnte.
SWR2 Impuls: Sie untersuchen unter anderem, wie sich Ziegen am Ätna verhalten. Welche Verhaltensweisen zeigen sie da?
Martin Wikelski: Wir untersuchen sowohl Ziegen am Ätna als auch Haustiere und Nutztiere in der Abruzzen-Region, wo das letzte große Erdbeben in Italien war. Was wir sehen, ist, dass die Tiere im Kollektiv, im Schwarm ein "verrücktes" Verhalten zeigen, und zwar über lange Zeit. Fast so wie ein Börsencrash. Also, da geht es in dieser Gruppe von Tieren wirklich total rund. Und wenn das für eine Dreiviertelstunde oder eine Stunde passiert, dann weiß der Bauer: da stimmt irgendetwas nicht. Und wir sehen das eben auch an diesen elektronischen Sendern.
SWR2 Impuls: Wie können die Tiere Erdbeben erspüren?
Wikelski: Wir wissen leider noch nicht, was genau sie wahrnehmen. Es scheint zumindest in manchen Regionen Vorläufer von Erdbeben zu geben, die nicht über die Messgeräte der Seismologen laufen. Für uns ist es so, dass wir sagen: Das ist wie ein Spürhund am Zoll oder ein Hund, der eine Blutspur findet. Wir wissen nicht genau, wie er es macht, und nutzen es aber trotzdem, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Und genauso würden wir das jetzt im Moment erst mal mit den Tieren machen. Wir sehen, sie zeigen Vorahnungen. Wir können sie nutzen, zusätzlich zu den seismologischen Geräten. Und was sie genau messen, was sie genau spüren, das würden wir gerne in Zukunft herausfinden.
SWR2 Impuls: Wie erforschen Sie das?
Wikelski: Also in der Vergangenheit konnte man das nicht messen. Man konnte Tiere nicht durchgehend beobachten. Durch die Biologging-Revolution, also im Prinzip die Revolution der letzten zehn Jahre, die uns erlaubt, tierisches Verhalten durchgängig überall zu messen, können wir feststellen: was machen die vor, während und nach Erdbeben? Und damit können wir zum ersten Mal wirklich überprüfen, ob die Tiere uns anzeigen, wenn draußen eine Naturkatastrophe passieren könnte.
SWR2 Impuls: Ziegen am Ätna, Haustiere in den Abruzzen - was für Arten sind das, die sich da als besonders sensibel erweisen?
Wikelski: Wir gehen immer zu der lokalen Bevölkerung, zu den Bauern, zu den Ziegenhirten und fragen sie: Welche Tiere sind bei euch besonders sensitiv? Und dann sagen die uns zum Beispiel: Nehmt nicht die Pferde und auch nicht die Kühe am Ätna, sondern nehmt unsere Ziegen. Oder bei den Abruzzen-Bauern: Die haben gesagt, nehmt diese drei Kühe und hier noch die fünf Schafe und die zehn Ziegen. Und so weiter. Das heißt, die sagen uns dann, von welchen Tieren sie wissen, dass sie besonders sensibel sind. Und dann können wir das messen.
SWR2 Impuls: Das heißt, es sind tatsächlich auch spezielle Exemplare oder Individuen einer Art, die da besondere Antennen haben?
Wikelski: Also zumindest sagen uns die Bauern, manche von denen sind sensibler als andere. Wir haben insgesamt noch zu wenig Daten. Das Schwierige ist, dass wir natürlich diese Messungen nur während wirklicher Naturkatastrophen durchführen können. Nur dann ist es wirklich aussagekräftig. Und das ist sehr, sehr schwierig, genau in der Zone zu sein, wo so etwas passiert, weil das wäre ja dann genau die Voraussage, dass man sagt, zu der Zeit in der Zone muss man messen.
SWR2 Impuls: Kann man auch sagen: Was da bei einem Vulkanausbruch am Ätna, oder einem Erdbeben in den Abruzzen funktioniert, funktioniert eigentlich auch überall auf der Welt?
Wikelski: Wir denken, dass es überall funktionieren könnte. Aber es ist ganz wichtig, das vielfach zu testen. Das Problem ist, dass man bei normalen Forschungsförderungen solche Gelder nicht bekommt. Da heißt es: Was können wir in drei Jahren zeigen? Okay, dafür kriegt ihr Geld. Wir haben aber jetzt dadurch, dass wir vom Max Planck-Institut sind, natürlich die Möglichkeit, langfristig zu denken. Das ist der Riesenvorteil.
Wir haben jetzt auch bei der Sprint Stiftung in Deutschland einen Antrag gestellt, dass wir solche natürlichen Sensorik-Systeme auf 50 Plätzen in der Welt etablieren. Und wir haben aber auch von der Baden-Württemberg Stiftung schon Geld, um das Ganze an Katzen und Hunden zu testen. Da ging es eigentlich nur darum, deren Aktivitätsmuster festzustellen.
Und jetzt konnten wir mit einem österreichischen Hersteller, der Katzen- und Hundehalsbänder macht, künstliche Intelligenz auf deren Chips etablieren und können jetzt bei 600.000 Katzen und Hunden in Europa und anderen Gegenden der Welt messen: Zeigen sie wirklich Vorwarnungen vor diesen Erdbeben?
SWR2 Impuls: Wie könnte solche Forschung mit der Beobachtung von Tieren hilfreich sein für die Frühwarnung? Wie könnte sich das möglicherweise einmal nutzen lassen?
SWR2 Impuls: Bis wann rechnen Sie mit greifbaren Ergebnissen?
Wikelski: Das hängt nur davon ab, wie schnell wir Förderungsgelder kriegen. Im Prinzip kann man sofort loslegen. Wir nutzen das Internet der Dinge. Diese Sender sind superbillig, die kosten gerade mal ein paar zehn Euro. Im Prinzip ist es im Vergleich zu anderen Systemen ein Schnäppchen. Aber im Moment finanziert es noch keiner.
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