Medizintechnik

Elektroden bringen Querschnittsgelähmte wieder zum Gehen

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Autor/in
David Beck
Bild von David Beck, Reporter und Redakteur SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR Kultur Impuls.
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei Redakteur bei SWR Kultur DAS Wissen.

Mit 16 implantierten Elektroden können Forschende Querschnittsgelähmten die Fähigkeit zu Gehen zurückgeben.

Um Gelähmte wieder zum Gehen zu bringen, wird ein Implantat mit den Elektroden in die Wirbelsäule gesetzt, unterhalb der verletzten Stelle, die für die Lähmung verantwortlich ist. Dort können dann Nerven stimuliert werden, die zur Muskulatur in den Beinen führen und von den Patienten nicht mehr direkt angesteuert werden können. Ganz ausgereift ist das Verfahren noch nicht, aber bereits nach kurzer Zeit konnten die Probanden Beinmuskelfunktion zurückgewinnen.

Implantierte Elektroden helfen dabei, dass Querschnittsgelähmte wieder gehen lernen.
Implantierte Elektroden helfen dabei, dass Querschnittsgelähmte wieder gehen lernen.

Elekroden auf der Rückenmarkshaut sollen Muskeln stimulieren

Die Idee hört sich relativ einfach an: Auf die Rückenmarkshaut, die die Nervenbündel in der Wirbelsäule umgibt, wird ein Implantat aus Silikon gelegt, in das die Elektroden eingebettet sind. Norbert Weidner, Professor für Paraplegiologie am Querschnittszentrum der Uniklinik Heidelberg, sagt, dass es Ziel des Verfahrens sei, das Rückenmark so zu stimulieren, dass nicht mehr vom Gehirn angesteuerte Bereiche wieder angeregt werden, und es tatsächlich zu Muskelaktivität kommt.

Damit würde es Patienten ermöglicht, wieder zu gehen und zu stehen oder in einer geeigneten Umgebung sogar auch zu schwimmen. Das wurde jetzt in einer neuen Studie gezeigt.

Die in einem Implantat aus Silikon eingebetteten Elektroden geben "auf Knopfdruck" über die Nervenbahnen elektrische Impulse an die entsprechenden Muskelpartien.
Die in einem Implantat aus Silikon eingebetteten Elektroden geben "auf Knopfdruck" über die Nervenbahnen elektrische Impulse an die entsprechenden Muskelpartien.

Kein Heilmittel für eine Querschnittslähmung

Stehen, Gehen und Schwimmen – ein enormer Fortschritt bei der Behandlung von Querschnittsgelähmten. Gleichzeitig versucht Norbert Weidner aber die Erwartungen an das Verfahren, dass von der Arbeitsgruppe bereits 2018 vorgestellt wurde, nicht zu hoch anzusetzen.

Noch sei es nicht das Heilmittel für eine Querschnittslähmung – auch weil in der Studie aus Lausanne ein solches Implantat nur bei drei Probanden getestet wurde. Noch ist zudem unklar, welche Voraussetzungen bei der Querschnittslähmung erfüllt sein müssen, damit das Implantat seine Funktion erfüllen kann.

Bisher nur an drei Personen getestet

Welcher Patientenpool dafür infrage kommt, sei, so Weidner, schwer zu sagen. Auch weil es auch nicht bekannt sei, wie viel Patienten im Vorfeld überhaupt gescreent worden sind, um für die Studie infrage zu kommen. Da es zudem nur wenige Patienten seien, könne man auch nicht sagen, wie robust und verlässlich diese Effekte auf andere gelähmte Menschen übertragbar sind.

Gehen nur mit Rollator unter großem Kraftaufwand möglich

Es stellt sich auch die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen für die Patienten. Das Implantat erlaubt zwar das Gehen, mit einem Rollator als Unterstützung, aber bisher nur in einem experimentellen Umfeld und unter enormem Energieaufwand – viele Querschnittsgelähmte sind mit einem Rollstuhl viel mobiler.

Aus akademischer Sicht ist das also bereits ein Erfolg, aber um die Lebensqualität von Querschnittsgelähmten nachhaltig zu verbessern – dafür braucht es noch Zeit. Norbert Weidner ist aber zuversichtlich. So gehe die Entwicklung ständig weiter, die Elektrodenarrays und die chirurgischen Methoden würden immer weiter verbessert.

Das Gehen mit den implantierten Elektroden gibt Betroffenen ein Stück Freiheit zurück. Allerdings ist das Gehen damit mit sehr großen Anstrengungen verbunden und damit wohl nur bedingt alltagstauglich.
Das Gehen mit den implantierten Elektroden gibt Betroffenen ein Stück Freiheit zurück. Allerdings ist das Gehen damit mit sehr großen Anstrengungen verbunden und damit wohl nur bedingt alltagstauglich.

Leitung zum Gehirn kann nich ersetzt werden

Weidner kann sich zwar vorstellen, dass dieses Verfahren in einigen Jahren eine Anwendung findet, allerdings mit der Einschränkung, dass bei komplett Querschnittsgelähmten ja immer noch das Gehirn vom Rückenmark unterhalb der Verletzung abgekoppelt sei. Und das könne dieses System, so wie es ist, eben nicht ersetzen.

Bei einer Querschnittslähmung ist die Leitung vom Gehirn zu den Muskeln unterbrochen.
Bei einer Querschnittslähmung ist die Leitung vom Gehirn zu den Muskeln unterbrochen.

Gehen wird über ein Tablet gesteuert

Deswegen können die Patienten mit dem Implantat die Bewegungen auch noch nicht willentlich steuern, sondern müssen sie extern über ein Tablet auslösen – Gehen auf Knopfdruck sozusagen.

Doch auch dieses Problem könnte irgendwann gelöst werden - indem Nervenzellen zumindest zum Teil regeneriert werden oder mit einem sogenannten Brain-Computer-Interface, eine Schnittstelle zwischen dem Gehirn und einem Computer. So könnte der allein Gedanke "ich will gehen" schon die Bewegung auslösen. Diese Technologien stehen aber erst am Anfang ihrer Entwicklung.