Machen Corona-Impfungen unfruchtbar? Viele junge Frauen und Mädchen sind verunsichert. Aber ist die Sorge berechtigt? Steht der Kinderwunsch nach einer Impfung auf dem Spiel? Und was ist eigentlich mit Männern?
Unfruchtbarkeits-Mythos schon bei anderen Impfkampagnen: Polio-Impfung
Unfruchtbar durch Impfen – diesen Mythos gab es auch schon bei anderen Impfkampagnen. Auch beim weltweiten Kampf gegen Polio, auch Kinderlähmung genannt. Beispiel Nigeria: Dort kam es laut Robert-Koch-Institut noch bis 2014 zu Polio-Ausbrüchen. Einige muslimische Geistliche hatten dort verbreitet, dass dem Impfstoff ein Mittel beigemischt werde. Christen wollten damit Muslime unfruchtbar machen, so die Behauptung. Beweise dafür gibt es bis heute nicht.
Seit 2020 gilt Nigeria offiziell als Polio-frei. Eine Folge der jahrzehntelangen Impfkampagne. Seit ihrem Beginn 1988 hat sich die Bevölkerung Nigerias mehr als verdoppelt. Die Sorgen um die Fruchtbarkeit waren also unbegründet.
Unfruchtbarkeits-Mythos bei Corona-Impfung
Aber wie ist das jetzt mit der Corona-Impfung und dem Unfruchtbarkeits-Mythos? Inzwischen können auch junge Menschen – sogar Jugendliche ab 12 Jahren – gegen Covid-19 geimpft werden. Viele Frauen und Mädchen möchten einmal Kinder habenund sind aufgrund von Gerüchten verunsichert. Aber gibt es wirklich Grund zur Sorge?
Bei der Impfung lernt das Immunsystem, wie die Oberflächenproteine von SARS-CoV-2 aussehen, die sogenannten Spike-Proteine. So kann das Immunsystem die passenden Antikörper gegen diese Proteine bilden. Die Antikörper können dann auch das echte Coronavirus bekämpfen. Aber was wäre, wenn sich diese Antikörper auch gegen körpereigene Proteine richten – wie Syncytin-1?
Das ist während einer Schwangerschaft an der Bildung der Plazenta beteiligt. Die befindet sich in der Gebärmutter und ist auch als Mutterkuchen bekannt. Denn sie ernährt den Embryo. Ohne Plazenta kein Baby. Die Befürchtung: Das Plazenta-Protein und das Spike-Protein von SARS-CoV-2 sind sich womöglich so ähnlich, dass der Körper nach einer Impfung nicht mehr zwischen dem körperfremden und dem körpereigenen Protein unterscheiden kann. Dann würde er womöglich das Plazenta-Protein ausschalten, das für eine Schwangerschaft aber benötigt wird.
Verwechslungen von Proteinen kann es im Körper wirklich geben, zum Beispiel bei Kreuzallergien: Wer Erdnüsse nicht verträgt, reagiert deshalb zum Beispiel oft auch auf Birkenpollen allergisch. Aber kann so eine Protein-Verwechslung wirklich auch durch die Corona-Impfung ausgelöst werden?
Was ist dran?
Dazu müssen wir uns die beiden Proteine etwas genauer ansehen. Sie bestehen aus langen Aminosäure-Ketten, die auch als Buchstaben dargestellt werden können. Ein M steht zum Beispiel für Methionin, ein A für Alanin. Das Spike-Protein von SARS-CoV-2 besteht aus 1.273 solcher Aminosäuren. Das Plazenta-Protein Syncytin-1 besteht aus 538.
Um herauszufinden, ob zwei Proteine eng miteinander verwandt sind, werden die Aminosäure-Sequenzen abgeglichen. Mit solchen sogenannten “Alignments” wird geprüft, ob diese langen Ketten identische oder ähnliche Abschnitte haben. Und tatsächlich gibt es Übereinstimmungen in den Sequenzen von Syncytin-1 und dem Corona-Spikeprotein. Diese Abfolge aus fünf Aminosäuren steckt im Spikeprotein: VVNQN. Eine sehr ähnliche, aber nicht identische Sequenz (VVLQN) findet sich in Syncytin-1.
Der Grund für solche Ähnlichkeiten ist laut dem Plazenta-Experten Udo Markert ein gemeinsamer Ursprung:
Diese scheinbare Ähnlichkeit reiche nicht für eine Verwechslung. Der Genetiker Prof. Lennart Randau sagt auch dazu, dass das statistisch vollkommen irrelevant sei. Eine solche Sequenz sei im menschlichen Genom in einer großen Anzahl zu finden. Ab acht bis zehn gleichen aufeinanderfolgenden Aminosäuren steigt die Wahrscheinlichkeit für Kreuzreaktionen. Bei Syncytin-1 und dem Spikeprotein folgen aber höchstens vier gleiche aufeinander.
Gegen die Unfruchtbarkeits-Theorie spreche auch die Lage der Übereinstimmungen im Protein. Randau, Genetiker der Philipps-Universität Marburg, erklärt:
Kein Grund zur Sorge
Selbst Vergleiche mit einem gewöhnlichen Erkältungsvirus zeigen: Auch dort gibt es Überschneidungen. Nach der Logik der Impfskeptiker:innen müssten also alle Frauen, die schon mal einen Schnupfen hatten, um ihre Fruchtbarkeit bangen. Und alle, die sich mit Covid-19 infiziert haben, sowieso. Denn nicht nur nach einer Impfung, sondern auch nach einer Corona-Infektion bildet das Immunsystem Antikörper gegen das Spike-Protein.
Fakt ist aber: Auch Frauen, die Corona hatten, bringen Kinder zur Welt. In den USA wurden allein innerhalb einer einzigen Studie zwischen März 2020 und März 2021 knapp 14.000 Babys registriert, deren Mütter vorher Covid-19 hatten. Und auch nach den Corona-Impfungen während der Zulassungsstudie der Impfstoffentwickler Biontech und Pfizer sind 23 Teilnehmerinnen schwanger geworden. Davon waren zwölf tatsächlich geimpft, elf waren in der Placebogruppe. Da hat die Schwangerschaft nach der Impfung also schon mal geklappt.
Was ist mit Männern und Jungen?
Und was ist jetzt mit den Männern und Jungen? Auch hier gibt es laut Expert:innen keinen Grund zur Sorge: Es gibt bisher keine wissenschaftlichen Hinweise dafür, dass die männliche Fruchtbarkeit durch eine Corona-Impfung beeinträchtigt wird. Das Paul-Ehrlich-Institut ist zuständig für die Sicherheit von Impfstoffen in Deutschland und schreibt dazu:
Die Sorgen um eine mögliche Unfruchtbarkeit nach einer Covid-19-Impfung sind also unbegründet. Für Frauen, für Männer und auch für alle anderen. Eine Impfentscheidung muss jede und jeder für sich selbst treffen. Aber das sollte nicht anhand von Verschwörungsmythen geschehen. Sondern mithilfe von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten.