Mittelalterliche Handschriften sind ein besonderer Schatz. Eine Auflagenzahl von eins war keine Seltenheit. Die Digitalisierung der Bücher soll sie einem breiten Publikum zugänglich machen.
Es ist eine der ersten Sachen, die wir in der Schule lernen: Schreiben. Im Mittelalter war das allerdings nur wenigen Privilegierten vorbehalten. So ist es kein Wunder, dass es aus dieser Zeit oft nur ein einziges Exemplar von einem Buch gab.
Für die Geschichtswissenschaft, die Literaturwissenschaft, die Theologie, Jura, Germanistik, etc. sind die Handschriften eine außergewöhnliche Quelle, denn sie sind ein Fenster in die Kultur des Mittelalters. Das Stundenbuch von Adalbert von Sachsen enthält beispielsweise fast 900 Seiten mit Gebeten und liturgischen Texten. Sein Wert wird auf eine Millionen Euro geschätzt.
Ein Stundenbuch ist ein Gebets- und Andachtsbuch das für das Stundengebet verwendet wird. Das Stundengebet kann mehrmals am Tag zu bestimmten Stunden stattfinden. Das Stundengebet geht auf den Apostel Paulus, der im Thessalonicherbrief schreibt: "Betet ohne Unterlass", und den Psalm "Sieben mal am Tag sing ich dein Lob" zurück.
Rund 170.000 Seiten werden digitalisiert
Damit auch möglichst viele Menschen von den mittelalterlichen Büchern profitieren können, haben die Städte Speyer, Worms und Mainz eine großangelegte Digitalisierung in Angriff genommen. Dabei geht es um 462 Handschriften aus sieben Jahrhunderten, das sind rund 170.000 Seiten.
Mit Hilfe von neuen Technologien, wie einem hochauflösendem Spezialscanner, wird der enorme Wissensschatz automatisch an der Unibibliothek Mainz geborgen - ein Quantensprung für die Forschung.
Am Computer werden die Handschriften mittels Texterkennung für Maschinen lesbar gemacht. Die Texte können in andere Nachweissysteme integriert werden, wodurch sie mit anderen Handschriften vernetzt werden können, erklärt der Leiter der Digitalisierung von der Unibibliothek Mainz Klaus Weber.
Die empfindlichen mittelalterlichen Schriften müssen vor Schäden geschützt werden
Die empfindlichen Bücher sind in speziellen Tresoren oder Magazinen gelagert, in denen kontrollierte klimatische Bedingungen herrschen. Dadurch sollen sie beispielsweise vor Feuchtigkeit und Schimmel geschützt werden.
Daher mussten Forschende, die in einem dieser Bücher lesen wollten, bisher zu dem Buch hinreisen. Durch die Digitalisierung der Bücher fällt die oftmals lange Anreise weg und es wird mehr Menschen möglich sein, sich mit dem Material auseinandersetzen zu können.
Tiefenerschließung für besonders bedeutsame Werke
Wenn das Werk für die Forschung auch zu speziellen Fragestellungen auffindbar sein soll, braucht es eine tiefere Erschließung der Bücher. Der Kunsthistoriker Christoph Winterer benötigt für die sogenannte Tiefenerschließung bis zu drei Wochen für ein Werk wie das Stundenbuch des Adalbert von Sachsen.
"Tiefenerschließung ist die intensivste und tiefste Form von Katalogisierung von mittelalterlichen Handschriften", erklärt Winterer. Dabei werden physische Daten erhoben: Handelt es sich um Pergamentpapier, wie groß ist der Umfang, welche Buchmalereien sind enthalten, was für Schrift wurde verwendet.
Digitalisierte Dokumente erschließen Netzwerk der Stiftskirche Mainz
Die Mainzer Historikerin Nina Gallion ist eine der Forschenden, die von der Digitalisierung profitieren. Sie konnte mithilfe von Dokumenten der Dombauhütten herausfinden, welche Personen am Bau der Stiftskirche Sankt Stephan in Mainz mitgearbeitet haben. So bestand das Netzwerk der Stiftskirche neben vielen Mainzerinnen und Mainzern auch aus Personen aus Frankfurt oder Köln.
Aber auch Totenlisten, sogenannte Nekrologe, also Auflistungen von Verstorbenen, geben einen Einblick in die Vergangenheit. 'Hinter jedem einzelnen Namen, den wir dort haben, verbirgt sich ein Schicksal, ein Menschenleben, und das zu entschlüsseln und ihm näher auf die Spur zu kommen, fasziniert mich ganz besonders', erzählt Nina Gallion.
Dank der Digitalisierung sind die mittelalterlichen Schriften nicht nur für die Wissenschaft zugänglich, sondern auch für interessierte Laien.
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