Für die Doku „Die verborgene Welt der Turboputen“ hat unser Autor Patrick Hünerfeld über ein Jahr in streng abgeschirmten Produktionsstätten in ganz Deutschland gedreht.
Erstmals sollen in Kürze gesetzliche Vorgaben mehr Tierwohl für Puten in Deutschland bringen. Klingt gut, aber die geplanten Vorgaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums sind so streng, dass die komplette Putenmast in Deutschland auf dem Spiel steht – so die Befürchtungen der Geflügelbranche.
Durch die geplanten Änderungen würde deutsches Putenfleisch deutlich teurer und deshalb nicht mehr konkurrenzfähig zu Putenfleisch aus anderen EU-Staaten, die weiterhin mit weniger Tierwohl produzieren.
Patrick Hünerfeld aus der SWR-Wissenschaftsredaktion hat in deutschen Putenmastbetrieben drehen können. In SWR2 Impuls sprach er über seine Recherchearbeiten.
Wie liefen denn die Dreharbeiten ab? Man kann ja in diese Betriebe nicht so einfach reinlaufen.
Patrick Hünerfeld: Das war mit Abstand die aufwendigste Produktion, die ich jemals hatte. Wir haben weit über ein Jahr gedreht, weil man in diese Ställe normalerweise nicht reinkommt. Wir haben ja die gesamte Putenproduktion, also von den Elterntierfarmen über die Brüterei bis nachher in den Schlachthof besucht und abgebildet.
Das ist eine irre Maschinerie, ein irre effizientes Laufwerk, was da abläuft, die Hähne, da wird Sperma gezapft, am Anfang, da wird künstlich befruchtet, und die Tiere sind derart gezüchtet, dass sie riesengroße Brustmuskeln bekommen, weil daraus nachher das Putenschnitzel wird, was wir alle so gerne haben. Die Tiere sind so gezüchtet, passend für die Schnitzelmaschine.
Und das ist schon was, das habe ich so noch nie gesehen, weil man da normalerweise nicht reinkommt. Es war sehr, sehr schwierig, so viel Vertrauen zu den Unternehmen aufzubauen, dass wir rein durften.
Bei allen ist es so, dass ganz viel anonymisiert abgelaufen ist. Wir dürfen nie sagen, wo wir sind und wer das ist. Aber wir durften es wenigstens zeigen. Und es sind Bilder, die man so tatsächlich noch nie gesehen hat.
Wie wirkt sich denn die Haltung von sehr vielen Tieren auf engem Raum auf die Puten auf?
Patrick Hünerfeld: Es liegt einiges im Argen. Wir haben die großen Puten-Produzenten befragt, und demnach leiden bis zu 29 Prozent der Tiere an schmerzhaften Druckstellen an der Brust, weil sie sich wund liegen. Und das sind rund 7 Millionen Tiere pro Jahr und rund 1,2 Millionen Tiere haben schwere Veränderungen an den Fußballen. Die Tiere leben auf Einstreu, da mischt sich Kot und Urin mit dem Einstreu, und es muss immer wieder nachgestreut werden, damit die Füße der Tiere sich nicht entzünden.
Zudem wird fast allen Putenküken bei uns die Schnabelspitze amputiert, obwohl es eigentlich verboten ist. Man macht das, um größeres Leid zu verhindern. Das ist die Argumentation. Es ist also eine Ausnahmeregelung. Das liegt daran, dass Puten dazu neigen, sich gegenseitig zu picken. Wenn dann irgendwo ein kleiner, blutiger Fleck ist, dann wird noch mehr gepickt und sie verletzen sich schwer. Um das zu verhindern, gibt es die Ausnahmeregelung. Da dürfen wir den Puten vorne die Schnabelspitze kopieren. Aber die Amputation der Schnabelspitze ist für die Tiere schmerzhaft.
Es ist also eine anspruchsvoll Sache, Puten zu halten. Und die große Mehrheit der Bauern macht ihren Job gut, nach meinem Eindruck. Aber es gibt eben noch viel zu viele Mastdurchgänge, bei denen es zu Problemen kommt. Und darunter leiden am Ende die Tiere.
Und deshalb sollen die Haltungsregeln jetzt geändert werden. Was ist denn da genau geplant?
Patrick Hünerfeld: Also das Wichtigste ist: Es soll erstmals überhaupt eine verbindliche gesetzliche Regelung für die Putenhaltung geben. Das gab es bisher nicht, und diese Veränderung ist aus meiner Sicht auch gut. Es wird dabei viel Wert gelegt auf die Sachkunde der Tierhalter, ein Punkt, den alle wichtig finden. Gerade die Bauern, denn die leiden alle unter dem schlechten Image, dass ihnen die schwarzen Schafe in der Branche einbringen.
Und auch die Haltungsbedingungen werden sehr klar geregelt, also festgelegt, wie die Ställe auszusehen haben, damit es den Tieren gut gehen kann. Regeln für mehr Tierwohl sind also eine gute Idee.
Und jetzt kommt das große Aber. Die geplanten Regeln sind so streng, dass die Bauern fürchten, dass sie unter diesen Bedingungen nicht mehr konkurrenzfähig sind. Sie sagen, dass deutsche Puten dadurch so teuer würden, dass billigere ausländische Ware an der Ladentheke das Rennen macht.
Der Knackpunkt ist die geplante Änderung bei der Besatzdichte. Das heißt also wie viele Tiere darf ich in meinem Stall halten? Es sollen weniger werden, ein Drittel weniger Tiere im Stall, knapp zwei Tiere pro Quadratmeter wären das dann immer noch. Und damit würden die Tiere eben deutlich teurer werden. Möglicherweise so teuer, dass sich die Putenmast in Deutschland nicht mehr rechnet.
Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher könnten dann das billigere importierte Putenfleisch kaufen und nicht das teurere in Deutschland produzierte?
Patrick Hünerfeld: Also das ist eine Befürchtung, die jetzt zumindest bei den Tierschutzexperten in der Wissenschaft durchaus auch geteilt wird, weil man da sehr realistisch sieht, wie es funktioniert.
Es gab eine ähnliche Vorgabe in Österreich vor ein paar Jahren, das Ende vom Lied ist: In Österreich gibt es nur noch sehr wenige Putenmäster. In Österreich wird das meiste mittlerweile in Süddeutschland produziert und rübergebracht.
Wie könnte da denn jetzt eine Lösung aussehen? Mehr Tierwohl für die Puten und vielleicht trotzdem konkurrenzfähige Preise?
Patrick Hünerfeld: Sinnvoll wäre sicherlich eine einheitliche europäische Vorgabe also nicht nur was in Deutschland, sondern europaweit, sodass alle unter den gleichen guten Bedingungen produzieren. Aber das ist illusorisch. Eine solche EU-Regelung wird sich in absehbarer Zeit nicht durchsetzen lassen.
Aus meiner Sicht könnte vor allem der Lebensmitteleinzelhandel die Lösung bringen. Der ist enorm mächtig und könnte für sich festlegen: Wir verkaufen nur Fleisch, das folgenden Mindestanforderungen genügt und dazu den Bauern auch feste Abnahmezusagen zu fairen Preisen machen. Leider ist auch das illusorisch. Der Lebensmitteleinzelhandel wirbt zwar gerne mit Tierwohl, aber wenn es zum Schwur kommt, zählt nach meinem Eindruck nur der Profit.
Kurzum bis auf weiteres bleibt es an uns Verbrauchern, genau hinzuschauen und darauf zu achten, wie hat denn das Tier gelebt? Und den eigenen Ansprüchen dann auch gerecht zu werden. Und ja, das heißt weniger Fleisch, das deutlich teurer ist. Aber das sind wir den Tieren, die wir essen, aus meiner Sicht schuldig. Da hat jeder Fleischesser auch eine ethische Verantwortung, der er gerecht werden muss.
Tierhaltung · Woher kommt unser Fleisch? | Unterricht
Das Thema der artgerechten Tierhaltung gewinnt immer mehr an gesellschaftlicher Bedeutung und erhält entsprechend mehr Aufmerksamkeit durch den Lehrplan. In der 5./6. Klasse wird im BNT-Unterricht über die Haltungsbedingungen für Tiere in der Produktion gesprochen und diese werden im Hinblick auf das natürliche Verhalten von Tieren bewertet.
Im Ethik-Unterricht der Mittelstufe werden diese Bedingungen und der allgemeine Umgang von Menschen mit Tieren erörtert und bewertet.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist auch die zunehmende Nitratbelastung des Grund- und Trinkwassers durch die Viehhaltung. Dies kann im Geographieunterricht bei der Behandlung des Themenkomplexes “Globale Herausforderungen” genauer betrachtet werden. Aber auch in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern ist dies interessant, da es für viele Landwirte eine existenzielle Frage ist, wie sie ihren Hof weiterführen.