Magersucht entsteht meist in der Pubertät, aufgrund eines Mix aus genetischen und sozialen Faktoren. Eine neue Studie macht das Darm-Mikrobiom mitverantwortlich für die Essstörung.
Es ist eine schwerwiegende Krankheit, die die Betroffenen oft das ganze Leben begleitet: Anorexia Nervosa, oder auf deutsch: Magersucht. Häufig beginnt es mit der Pubertät. Vor allem junge Mädchen und Frauen, aber auch Jungen und Männer, streben danach immer und immer dünner zu werden. Es wird zu einem Zwang, die eigene Körperwahrnehmung wird verzerrt. Auch wenn sie längst deutlich im Untergewicht sind, sehen sich Betroffene selbst als zu dick und unförmig an.
Eine schwere Magersucht kann sehr gefährlich werden, der Körper wird nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Ohne eine professionelle Behandlung fällt es vielen Betroffenen schwer, wieder ein „normales“ Verhältnis zu Essen und ihrem Körper zu entwickeln. Doch nicht jeder und jede, die in der Pubertät eine Diät macht, wird magersüchtig.
Wie entsteht eine Anorexie?
Diese Frage ist sehr komplex und noch nicht endgültig beantwortet. Genetische Faktoren, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und das soziale Umfeld – Fachleute vermuten vielfältige Ursachen für Anorexie. Eine neue Studie deutet jetzt daraufhin, dass auch der Darm eine Rolle spielen könnte, beziehungsweise dessen "Bewohner". Winzige Lebewesen, die unseren Körper besiedeln, beeinflussen, wie wir handeln, uns fühlen und unsere Gesundheit.
Denn das Mikrobiom, auch als „Darmflora“ bekannt, besteht aus unzähligen Viren, Bakterien und Archeen (Ur-Bakterien). Und die helfen nicht nur bei der Verdauung. Sie geben Signalstoffe ab und beeinflussen so zum Beispiel den Hormonhaushalt und unser Immunsystem. Wie viel Appetit wir haben, wie unsere psychische Verfassung ist – bei vielen Aspekten spielen die Winzlinge eine Rolle. Welche Effekte sie genau haben, ist bei jedem unterschiedlich. Es kommt auf die Zusammensetzung der Spezies an. Und die kann sich deutlich unterscheiden.
Auch bei Magersucht könnte das Mikrobiom im Darm einen Einfluss haben. Diese Vermutung steht schon länger im Raum. Ein europäisches Forschungsteam hat jetzt in der Fachzeitschrift Nature Microbiology eine neue Studie veröffentlicht, die diesen Verdacht erhärtet.
Zusammensetzung des Mikrobioms unterscheidet sich bei Magersüchtigen und Gesunden
In ihrer Untersuchung analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Stuhlproben von 77 Frauen aus Dänemark, die mit einer Anorexie in einer Spezialklinik behandelt wurden. Sie verglichen die Ergebnisse mit Proben von 70 normalgewichtigen Frauen.
Dabei fiel auf: Die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm unterschied sich zwischen den Gruppen. Die magersüchtigen Frauen hatten andere Bakterien und Viren in ihrem Darm, auch die Interaktion zwischen den gefundenen Arten funktionierte nicht wie normal.
Welchen Einfluss hat das auf die Gesundheit der Frauen?
Um sich das genauer anzuschauen, nutzen die Forschenden spezielle Mäuse. Diese hatten durch Züchtungen keine eigenes Darm-Mikrobiom, dort lebten also keine Bakterien auf der Oberfläche. Nach einer Stuhltransplantation siedelte sich bei ihnen die Darmbewohner der Frauen an – bei den einen die Spezies der anorektischen, bei den anderen der normalgewichtigen Probandinnen.
Solange die Mäuse selbst entscheiden durften, wie viel sie fraßen, passierte erstmal gar nichts. Ihr Gewicht blieb unauffällig. Doch dann bekamen alle drei Wochen lang weniger zu essen, sie wurden auf Diät gesetzt. Jetzt sahen die Forscherinnen und Forscher einen Unterschied zwischen den Gruppen: Die Tiere mit dem Mikrobiom der magersüchtigen Frauen nahmen stärker ab als die Kontrolltiere. Und sie brauchten auch länger, um wieder zuzunehmen.
Doch das war noch nicht alles: Auch im Fettgewebe und im Gehirn gab es einen Unterschied zwischen den Gruppen. Für die Studie analysierten die Forschenden, welche Gene hier abgelesen wurden. Gerade bei Genen, von denen man weiß, dass sie einen Einfluss auf das Essverhalten haben, sahen sie Abweichungen. Aber auch die genetische Steuerung des Grundumsatzes war verändert, also die Menge an Kalorien, die das Tier im Ruhezustand verbrauchte.
Darm-Mikrobiom beeinflusst Gehirn und Fettverbrennung
Die Theorie der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher ist also, dass die winzigen Darmbewohner Veränderungen im Gehirn und Fettgewebe der Magersüchtigen bewirken. So könnten sie zum Beispiel den Appetit beeinflussen oder zum zwanghaften Verhalten der Betroffenen beitragen.
Insgesamt ist die vorgestellte Studie eher klein. Die untersuchten Frauen waren alles Däninnen und damit sind die Ergebnisse wahrscheinlich nicht eins zu eins übertragbar auf die gesamte Weltbevölkerung. Es ist auch möglich, dass nicht nur die Magersucht bei den Betroffenen das Mikrobiom so verändert hat.
Doch insgesamt werten die Autorinnen und Autoren ihre Arbeit als weiteren Hinweis darauf, dass ein verändertes Mikrobiom des Darms an der komplexen Entstehung einer Anorexie beteiligt sein könnte. Hier finden Betroffene Hilfe
Essstörungen haben zugenommen Magersucht: Zahl der Betroffenen deutlich gestiegen
Immer mehr junge Menschen erkranken an Essstörungen. Um fast 20 Prozent sind die Zahlen stationärer Krankenhausaufenthalte wegen Magersucht im vergangenen Jahr gestiegen.
Psychologie Magersucht – Therapien gegen die Essstörung
Zwanghaftes Kalorienzählen, exzessiv Sport treiben, mehrmals täglich auf die Waage: Magersucht, auch Anorexia nervosa, betrifft etwa 1 Prozent aller Mädchen und Frauen. Doch auch immer mehr Männer sind betroffen. Noch immer endet eine Essstörung in vielen Fällen tödlich, da eine Therapie schwierig ist und es häufig zu Rückfällen kommt. Lange dachte man, Ursache und Therapie von Magersucht liegen in der Familie. Aktuelle Erkenntnisse zeigen jedoch: Auch Stoffwechsel und Genetik spielen eine Rolle.