Nach einer Corona-Infektion leiden einige Infizierte am Chronischen Fatigue-Syndrom – einer Krankheit, die bis jetzt unheilbar ist. Doch das soll sich ändern.
Ralf Caspary (SWR2 Impuls) sprach mit Prof. Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz der Charité Berlin.
Im Verlauf der Corona-Pandemie zeigte sich deutlich, dass einige Infizierte noch Monate nach der Ansteckung unter diffusen Erschöpfungszuständen litten. Diese Symptome wurden dann unter dem Begriff Long Covid subsummiert. In dem Zusammenhang wurde immer wieder gemutmaßt, dass einige Patienten durch die Corona-Infektion auch unter dem sogenannten Fatigue-Syndrom leiden. Bei dieser schweren, bisher nicht heilbaren Erkrankung haben Betroffene starke körperliche Schwäche, Kopf- oder Muskelschmerzen sowie neurokognitive und immunologische Symptome. Eine neue Studie belegt nun, dass die Vermutung richtig war: Corona kann das Fatigue-Syndrom verursachen.
Zeigt Ihre Studie eindeutig, dass das Coronavirus das Fatigue-Syndrom auslösen kann? Oder muss man das relativieren?
Carmen Scheibenbogen: Wir haben uns schon sehr früh damit beschäftigt, ob das Coronavirus das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) auslösen kann. Denn schon im Sommer 2020 wurden wir von Patienten kontaktiert, die sagten, wir sind nach Covid anhaltend krank, haben viele Symptome und vermuten, dass wir am Chronischen Fatigue-Syndrom leiden.
Daraufhin startete eine sogenannte Beobachtungsstudie, in der wir die Patienten sehr genau untersucht haben und mit Kollegen aus anderen Disziplinen genau geschaut haben, welche möglichen anderen Erkrankungen diese Patienten haben könnten. Insgesamt kann man aber sagen, dass ein Teil dieser Erkrankten das Vollbild von ME/CFS hat – und zwar genau so, wie wir das auch nach anderen Infektionen schon lange kennen.
Was ist das Fatigue-Syndrom genau? Wie kann man es von Long Covid abgrenzen?
Carmen Scheibenbogen: Es ist eine relativ schwere Erkrankung, bei der die Menschen zum einen an dieser krankhaften Erschöpfung leiden. Was aber fast noch schlimmer ist: Die Betroffenen können sich auch kaum noch belasten. Alltagsaktivitäten führen oft schon zu einer Verschlechterung ihres Wohlbefindens.
Und dann sind immer Symptome dabei, dass die Patienten auch kognitiv nicht mehr gut arbeiten können. Sie können sich also nicht immer gut konzentrieren, nicht immer gut denken, es sind Schmerzen dabei wie beispielsweise Kopf- oder Muskelschmerzen. Fast immer haben die Erkrankten Kreislaufprobleme, viele können sich kaum noch hinstellen, ihnen wird schwindlig. Auch andere Symptome wie eine ausgeprägte Überempfindlichkeit gegen zu helles Licht, gegen zu laute Geräusche.
Kann man das Chronische Fatique-Syndrom diagnostizieren?
Carmen Scheibenbogen: Ja, man kann das diagnostizieren. Das ist eine sogenannte „klinische Diagnose“. Aber aufgrund dieser sehr typischen Konstellation der Symptome, kann der Verdacht einfach schon gestellt werden, wenn man sich die Krankengeschichte anhört.
Dann gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die man auch machen kann, um wirklich die Ausprägung dieser Beschwerden anzusehen. Zum Beispiel kann man sehen, dass diese Erschöpfung auch eine körperliche Erschöpfung ist – also die Muskelkraft deutlich vermindert ist. Dies wird mit so einem Hand-Kraftmessgerät von uns gemessen. Und wir haben natürlich auch nach einer Reihe von anderen Dingen geschaut, die in Folge von Covid-19 auch auftreten könnten, wie Herzerkrankungen oder Lungenerkrankungen, oder auch Hormonstörungen – aber das war bei diesen Menschen mit dem Fatigue Syndrom alles in Ordnung. Wir haben also keinen anderen Grund gefunden, warum sie so krank sind.
Wie kann das Coronavirus das Fatigue-Syndrom auslösen?
Carmen Scheibenbogen: Wir müssen einmal unterscheiden zwischen Fatigue, das ist nur ein Symptom, und dem Chronischen Fatigue-Syndrom, was die komplexe Erkrankung ist. Der Begriff ist deshalb ein bisschen unglücklich, da viele Menschen die Erkrankung mit dem Symptom gleichsetzen. Fatigue (das Symptom) haben aber viele nach einer Covid-19-Infektion, ohne dass sie am chronischen Fatigue-Syndrom leiden.
Auch im Zusammenhang mit vielen anderen Erkrankungen kennen einige das sehr häufig vorkommende Fatigue-Symptom. Ich glaube, fast jeder von uns hat mal erlebt, dass er sich bei einer Infektion total erschlagen fühlt und nicht mehr leistungsfähig ist.
Was macht die Fatigue nach einer Coronavirus-Infektion? Oder wie wird die ausgelöst?
Carmen Scheibenbogen: Da gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Untersuchungen. Was man mittlerweile relativ gut zeigen kann ist, dass Menschen, die an Long oder Post-Covid leiden, meistens auch eine anhaltende Entzündung haben. Das kann man im Blut über verschiedene Faktoren messen, die erhöht sind. Es ist zu sehen, dass das Immunsystem weiterhin aktiv ist und die Zellen des Immunsystems weiterarbeiten. Bei manchen Menschen konnten auch Virusreste nachgewiesen werden.
Das alles ist letztendlich das, was erklärt, warum man das Symptom Fatigue hat. Und zwar, hat es für das Immunsystem einen Sinn, dass wir uns so krank fühlen. Denn wenn wir eine Infektion haben, braucht das Immunsystem sehr viel Energie. Deswegen "möchte" es dass wir uns hinlegen, vielleicht auch absondern von anderen. Also ist dieses Fatigue erstmal wahrscheinlich ein durchaus biologisch sinnvolles Phänomen.
Wenn das jedoch ein Dauerzustand wird, ist es ist eine Katastrophe. Der Alltag von Betroffenen wird nämlich extrem beeinträchtigt. Das heißt: Letztendlich muss man natürlich immer den Einzelfall anschauen und herausfinden, was bei dem Menschen, der an Fatigue leidet, die mögliche Ursache ist.
Wenn wir jetzt aber wieder zu diesem schweren Krankheitsbild, dem ME/CFS kommen, dann spielt nicht nur die Entzündung eine Rolle, sondern wir haben auch Durchblutungsstörungen bei den Menschen gesehen – auch Gehirngefäße sollen bei dem ein oder anderen nicht richtig durchblutet gewesen sein. Das kann natürlich auch diese Fatigue mit bedingen.
Letztendlich ist das Chronische Fatigue-Syndrom ein sehr komplexes Krankheitsbild. Und wir haben bei Covid-19 auch Mechanismen gesehen, die wir davor schon kannten und bestätigen können. Wir können jetzt anhand dieser großen Kohorten sehr viel genauer die Mechanismen und diese auch im Verlauf anschauen. Auf dieser Grundlage möchten wir jetzt natürlich auch Behandlungen entwickeln.
Das Fatigue-Syndrom ist bisher nicht heilbar, richtig?
Carmen Scheibenbogen: Genau, bislang haben wir keine Möglichkeit, die Erkrankung ursächlich zu behandeln und damit zu heilen. Wir können zurzeit dem Patienten nur helfen, indem wir Symptome lindern. Und das ist aber genau das, was wir eben jetzt tun möchten und auch schon begonnen haben mit einer ersten Studie. Zum Beispiel eine Studie, bei der wir Auto-Antikörper mit einer bestimmten Technik aus dem Blut herauswaschen. Die Technik nennt sich Immunabsorption. Anhand dieser können wir sehr schnell sehen, ob diese Antikörper wirklich eine Rolle bei der Erkrankung spielen. Denn wenn wir sie herauswaschen, muss es den Patienten schnell besser gehen.
Ganz wichtig ist auch, dass wir über Therapiestudien klären, welche dieser verschiedenen möglichen Krankheitsmechanismen am Ende wirklich relevant ist. Wenn wir den Patienten Medikamente dagegen geben und es geht ihnen dann besser, dann haben wir darüber natürlich auch den besten Beweis dafür, dass dieser Krankheitsmechanismus wirklich die Symptome verursacht.