Der Bundestag hat sich dafür entschieden, dass Erwachsene in Deutschland ab April legal kiffen dürfen. Aber ist die Legalisierung von Cannabis aus wissenschaftlicher Sicht vertretbar?
Wer mit Cannabis erwischt wurde, musste bisher mit einer Geldstrafe oder in schweren Fällen sogar mit Gefängnis rechnen. Dies ändert sich jetzt: Besitz und kontrollierter Anbau der Droge werden ab April zum privaten Gebrauch zugelassen - allerdings mit zahlreichen Einschränkungen.
Dabei geht es um den sogenannten Genuss-Cannabis. Der Begriff dient zur eindeutigen Abgrenzung von medizinischem Cannabis und Nutzhanf. Konkret soll Erwachsenen künftig der Besitz von 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum erlaubt sein. Auch der private Eigenanbau von bis zu drei Cannabispflanzen und der Anbau in Vereinigungen - sogenannten Cannabis-Clubs - soll in begrenztem Umfang legalisiert werden. Was spricht aus wissenschaftlicher Sicht für und gegen die Legalisierung von Cannabis?
Beliebteste illegale Droge unter Jugendlichen und Erwachsenen
Cannabis ist unter Jugendlichen und Erwachsenen die beliebteste illegale Droge in Deutschland. Jeder elfte Jugendliche hat schon mal Cannabis konsumiert. Diese Zahl steigt seit 2011, liegt jedoch unter dem Höchstwert von 15 Prozent im Jahr 2004.
Cannabis gehört zwar nicht zu den “harten Drogen” wie Heroin oder Crystal Meth, doch völlig harmlos ist Kiffen nicht.
Cannabis kann süchtig machen
Am Anfang ist es nur ein Joint ab und zu, doch daraus kann sich eine Sucht entwickeln. Experten schätzen, dass weltweit etwa zehn Prozent der Menschen, die Cannabis zu sich nehmen, ein gestörtes Konsumverhalten haben, also süchtig sind. Das kann zu körperlichen Entzugserscheinungen führen, aber vor allem die psychischen und sozialen Folgen einer Cannabis-Sucht können schwerwiegend sein.
Auch ein moderater Konsum bringt ein Risiko mit sich: Der Rauch schädigt die Lunge und regelmäßiges Kiffen erhöht auch bei jungen Menschen das Herzinfarktrisiko. Hinzu kommen schwere psychische Folgen, die durch Cannabis-Konsum ausgelöst werden können - zum Beispiel Psychosen.
Cannabis erhöht das Risiko von Psychosen
Viele Studien belegen, dass intensiver Cannabiskonsum gerade bei Jugendlichen Psychosen auslösen kann. Je häufiger der Konsum und je früher begonnen wird, Cannabis zu konsumieren, desto größer sei das Risiko. Eine europaweite Studie zeigt, dass Menschen, die täglich Cannabis zu sich nehmen, dreimal so häufig psychotische Schübe hatten wie Menschen ohne Kontakt zu Cannabis.
Wenn besonders viel von dem Inhaltsstoff THC im Joint steckte, kam es sogar zu fünfmal mehr Psychosen. Das passt zu Daten der psychiatrischen Uniklinik Ulm: 2019 beobachteten die Forschenden fast achtmal mehr Cannabis-Psychosen als 2011. Im selben Zeitraum ist der THC-Gehalt in vielen Joints deutlich gestiegen.
Allerdings ist immer noch umstritten, ob Cannabis wirklich der einzige Grund für die Psychosen ist. Die meisten regelmäßigen Konsumenten entwickeln keine Psychose.
Eine Studie des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) hat im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die Erfahrungen einer Cannabis-Freigabe in anderen Ländern ausgewertet und sieht keine Hinweise auf einen kurzfristigen Anstieg der Diagnosen von Psychosen, allerdings eine geringe Zunahme an Notaufnahmen für cannabisbezogene Probleme bei Erwachsenen und in vielen Regionen eine leichte Erhöhung der Zahl an Verkehrsunfällen nach der Legalisierung.
Vermutlich betrifft das Risiko für Psychosen vor allem Teenager mit einer erhöhten Anfälligkeit für diese Erkrankung. Professor Ulrich Preuß, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, warnt daher: “Menschen mit Verwandten, die Psychosen haben oder die selbst schon psychotische Symptome in der Kindheit und Jugend hatten, sind Risikopersonen, die Cannabis nicht anfassen sollten.” Bei ihnen sei das Risiko groß, dass aus dem Konsum dauerhaft eine schwere, psychiatrische Erkrankung entstünde.
Psychosen sind nicht das einzige: Auch die Wahrscheinlichkeit an einer Depression, Angststörung oder bipolaren Störung zu erkranken, sei bei regelmäßigem hohen Cannabis-Konsum im Jugendalter höher.
Kiffen verändert das junge Gehirn
Dass Cannabis auch bleibende Schäden verursachen kann, zeigt eine Studie mit 800 Teenagern. Bei Hirnscans war die Hirnrinde jugendlicher Cannabis-Konsumierenden an bestimmten Stellen deutlich dünner als bei der Vergleichsgruppe, die nicht gekifft hatte. Betroffen war genau die Hirnregion, die wichtig ist, um Impulse zu kontrollieren, Probleme zu lösen und Handlungen zu planen: der präfrontale Kortex.
Verhaltenstests zeigten: Die Jugendlichen mit den auffälligen Hirnscans waren impulsiver und konnten sich schlechter konzentrieren als andere Teenager. Je mehr Cannabis die jungen Probanden konsumiert hatten, desto ausgeprägter waren die Folgen. Wichtig dabei: Das Frontalhirn ist erst mit Mitte 20 voll ausgereift, bis dahin ist das Risiko durch Cannabiskonsum deutlich erhöht. Das heißt: Auch 18-jährige Kiffer können ihr Gehirn noch nachhaltig schädigen.
Darüber hinaus zeigen andere Studien: Jugendliche mit hohem Cannabis-Konsum schneiden später als Erwachsene im Schnitt schlechter bei Intelligenz-Tests ab, außerdem haben sie tendenziell weniger Erfolg in der Schule oder im Studium. Ob das wirklich am Cannabis oder am Lebensstil liegt, ist aber offen.
Auch inwieweit der Cannabis-Konsum bei Erwachsenen langfristige Folgen haben kann, ist wissenschaftlich noch umstritten.
Vergleich mit anderen Drogen hinkt
Ein häufiges Argument für die Legalisierung von Cannabis ist, dass auch andere Drogen wie Alkohol oder Tabak in Deutschland legal gekauft und konsumiert werden können. Und auch diese Mittel können schwere Folgen für die Gesundheit haben.
Für Prof. Ulrich Preuß von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin ist dieser Vergleich wenig sinnvoll. Zum einen sei die Wirkung dieser Drogen im Körper völlig anders und nicht vergleichbar. Und dass Alkohol und Tabak in Deutschland legal seien, hätte historische Gründe:
Am Beispiel vom Alkohol sähe man auch, dass Altersgrenzen beim Verkauf nur bedingt nützen - Jugendliche hätten in Deutschland eben doch Zugang zu alkoholischen Getränken, wenn sie das wollten.
Das spricht für die Cannabis-Legalisierung
Bis jetzt ist in Deutschland Cannabis legal nur auf Rezept möglich. Seit 2017 können Ärzte medizinisches Cannabis verschreiben, etwa zur Schmerzlinderung bei Schwerkranken.
Trotzdem ist Cannabis laut dem aktuellen Drogenbericht die beliebteste Droge unter Jugendlichen. Das zeigt, dass das Verbot offenbar nur eingeschränkt funktioniert und sogar zu höheren Gesundheitsrisiken führen könnte. Eine Legalisierung könnte zumindest die Qualität, in der die Droge auf den Markt kommt, verändern.
Gefahr durch verunreinigtes Cannabis
Bereits im April 2021 haben das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt vor verunreinigtem Cannabis gewarnt, da sie verstärkt Produkte versetzt mit synthetischen Wirkstoffen feststellten: den sogenannten synthetischen Cannabinoiden. Anfang 2021 hat der Zoll rund 150 Kilogramm davon bei der Einfuhr aus der Schweiz und den Niederlanden sichergestellt.
Verunreinigungen durch Heroin seien dem Bundeskriminalamt in Deutschland allerdings bisher nicht bekannt. Auch Professor Volker Auwärter, Leiter der Forensischen Toxikologie der Universität Freiburg, warnt vor den versteckten Gefahren durch Beimischungen:
Synthetische Cannabinoide gehören zu den psychoaktiven Stoffen, können die Wirkung der Droge verstärken und unkontrollierbar machen. Die Nebenwirkungen reichen von Erbrechen über Wahnvorstellungen bis hin zu Kreislaufzusammenbrüchen. Durch eine Legalisierung und festgelegte Qualitätsstandards könnten diese giftigen Mischungen reduziert werden.
Das Risiko, an unreines Cannabis zu geraten, ist unterschiedlich verteilt und hängt davon ab, auf welchem Schwarzmarkt man die Droge kauft. Im Jahr 2022 wurde "erneut eine Vielzahl an Sicherstellungsfällen von mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Cannabisprodukten verzeichnet", heißt es im aktuellen Bundeslagebericht zur Rauschgiftkiminalität. Bis 2019 habe das in Deutschland keine Rolle gespielt, so die Berliner Polizei.
Stärkeres Gras, höheres Risiko
Ein weiteres Problem ist der steigende THC-Gehalt im Cannabis, der immer stärkere Rauschwirkungen verursacht. Eine englische Studie konnte zeigen, dass sich der THC-Anteil in Europa im Zeitraum von 2006 bis 2016 verdoppelt hat: von etwa 8 zu 17 Prozent. Gleichzeitig hat sich der zweite Hauptwirkstoff von Cannabis, Cannabidiol (CBD), der die negativen Aspekte des THC dämpfen kann und auch bereits oft medizinisch eingesetzt wird, oftmals verringert.
Es gibt viele wissenschaftliche Anzeichen dafür, dass das stärkere Cannabis gerade jüngere Menschen süchtig machen kann, es einen stärkeren Einfluss auf das Gedächtnis und die Entwicklung von Paranoia hat. Forschende konnte ebenfalls zeigen, dass Menschen, die an einer Psychose erkrankt sind, in der Regel häufig Cannabis mit sehr viel THC konsumiert haben. Die Kontrollgruppe ohne psychische Erkrankung nutzte hingegen eher schwaches Cannabis.
Das Gesundheitsrisiko von Cannabis hängt davon ab, ab welchem Alter man wie häufig welches Cannabis konsumiert. Durch die Festlegung einer Altersgrenze, eines maximalen THC-Gehalts und einer Kennzeichnungspflicht für Zusatzstoffe könnte man das gesundheitliche Risiko erheblich reduzieren.
Ist Cannabis wirklich eine Einstiegdroge?
Laut den Ergebnissen der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht von 2022 haben knapp neun Prozent aller Erwachsenen von 18 bis 64 Jahren in Deutschland innerhalb des vorangegangenen Jahres schon mal Cannabis konsumiert. Bei den 12- bis 17-Jährigen sind es 7,6 Prozent. Der Anteil für alle anderen Substanzen ist deutlich geringer: 1,1 Prozent der Jugendlichen und 3,6 Prozent der Erwachsenen haben in einem Jahr irgendeine andere illegale Droge konsumiert. Dass Kiffer also automatisch auch auf andere härtere Drogen umsteigen, geben diese Zahlen nicht her.
Eine internationale Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Verhindern bestimmter Einstiegsdrogen nicht unbedingt auch den späteren Konsum anderer Drogen verringert. Auch wurde beobachtet, dass die Konsumreihenfolge in den untersuchten Ländern sehr unterschiedlich ausfällt, es sogar Länder wie Japan gibt, in denen andere illegale Drogen mehr verbreitet sind als Cannabis. In Ländern wie den USA und Neuseeland mit sehr hohen Cannabisraten ist laut der Studie der Konsum von Cannabis vor Alkohol und Tabak sogar extrem selten.
Steigert die Legalisierung das Konsumverhalten?
Es ist nicht ganz leicht, eindeutige Ergebnisse aus den vorliegenden Studien hinsichtlich des Konsumverhaltens vor und nach einer Legalisierung abzulesen. Auch weil in den Studien unterschiedliches Konsumverhalten, von täglich bis gelegentlich, sowie unterschiedlich alte Personenkreise abgefragt wurden. Eine Explosion der Zahlen ist allerdings nicht zu erkennen, jedoch auch kein Rückgang.
In Kanada ist Cannabis seit Ende 2018 für Erwachsene erlaubt, der Konsum wird seitdem sehr genau überwacht. 2021 gaben 39 Prozent der 18- bis 24-jährigen Befragten an, in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert zu haben. Das ist ein leichter Rückgang gegenüber der letzten Befragung 2019. Ein geringfügig sinkender Trend ist auch bei den 15- bis 17-Jährigen sichtbar. In älteren Altersgruppen ist der Konsum leicht gestiegen.
Fast 70 Prozent aller Befragten gaben an, das Cannabis legal in einem Shop gekauft zu haben, was zumindest eine gewisse Kontrolle über den Käufer oder die Käuferin, die Menge und Qualität erlaubt und für eine Legalisierung spricht.
Bessere Therapie möglich
Momentan würden Cannabis-Konsumierende als kriminelle „Kiffer“ abwertend auf diese Eigenschaft reduziert, sagt Heino Stöver, Direktor des Instituts für Suchtforschung in Frankfurt am Main. Was auch dazu führe, dass Hilfsangebote nicht wahrgenommen werden.
Durch eine geringere Stigmatisierung infolge einer Legalisierung könnten solche Hilfsangebote profitieren. Jugendliche könnten offener mit ihren Eltern oder in der Therapie darüber sprechen und in der Schule anders aufgeklärt werden. Das wäre sinnvolle Prävention.
Auch Beratungseinrichtungen könnten so einen ehrlicheren und glaubwürdigeren Diskurs führen und ihr Therapieangebot auf die Bedürfnisse der Jugendlichen besser abstimmen.