Weniger Flüge wegen Corona

Neue Möglichkeiten für Atmosphärenforschung

Stand
Autor/in
Thomas Hillebrandt
Onlinefassung
Franziska Ehrenfeld

Ein klarer blauer Himmel ohne Kondensstreifen – für die Luftfahrt ist das eines der Symbolbilder der Corona-Krise. Für Atmosphärenforscher ist der blaue Himmel ein einmaliger Glücksfall, den sie nutzen wollen.

Ein startendes Flugzeug ist ein eher seltenes Ereignis in diesen Corona-Zeiten. Am Forschungsflughafen Oberpfaffenhofen bei München ist das jedoch Alltag. Regelmäßig sind in den vergangenen Wochen von hier aus die Spezialflugzeuge Falcon und Halo des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zu ausgedehnten Messflügen gestartet. Die Messflüge sind Teil des Projekts BLUESKY. Für Christiane Voigt vom DLR-Institut für die Physik der Atmosphäre erfüllt sich damit eine Art „Wissenschaftlertraum“.

Die Coronakrise betrifft uns alle. Aber gerade diese Restriktionen, die Einschränkungen bewirken auch, dass wir jetzt eine Chance haben, in der Wissenschaft die Atmosphäre in einem Zustand zu beproben, in dem sie wenig belastet durch anthropogene Schadstoffe ist. Das ist eine einmalige Chance, die wir so nicht wieder bekommen in unserer Lebensdauer.“

blauer Himmel mit einer kleinen Wolke
Der Himmel ist zurzeit so leer und sauber wie lange nicht mehr.

Flugverkehr ist stark eingebrochen

Die Atmosphärenforscher interessieren sich vor allem für Kondensstreifen, die sichtbaren Zeichen dafür, was normalerweise hoch über unseren Köpfen los ist. Und dieser enorme Verkehr hat eine Vollbremsung hingelegt.

2019 waren im Frühjahr und Frühsommer bis zu 35.000 Flüge täglich in der Luft. In diesem Jahr brach der Luftverkehr in der Corona-Krise ab Mitte März dramatisch ein. Anfang Juni sind es immer noch 85 Prozent weniger Flüge.

Die Halo rollt zum Start – und damit geht das Projekt Bluesky (Deutsch: blauer Himmel) in die letzte Phase. Das Flugzeug ist vollgepackt mit Instrumenten: CO2-Gehalt, Stickoxide, Aerosole oder Wasserdampf – alles was unsere Atmosphäre ausmacht, wird im Flug gemessen. An Bord sind Piloten, Messtechniker und Ingenieure, am Boden warten die Atmosphärenforscher gespannt auf die ersten Daten, die in Echtzeit einlaufen.

Forschungsflugzeug Halo auf der Startbahn
Das Forschungsflugzeug Halo setzt zum Start an.

Mira Pöhlker vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie wird die in den kommenden Stunden ständig im Blick haben und zusammen mit ihren Kollegen auf die aktuelle Route und Position der Halo achten, um, wenn nötig, per Chat direkt mit dem Bordteam Kontakt aufzunehmen.

„Wir wissen eigentlich erst wenn wir messen, wo wir messen müssen. Das heißt wir fliegen manchmal einfach langsam runter und sehen, okay, wo ist eigentlich die Schicht, die wir beproben wollen. Das werten wir sofort aus, sagen dann den Operatoren im Flug: Okay, die Schicht, die brauchen wir. Ohne diesen Kontakt wäre das überhaupt nicht möglich.“

Kondensstreifen tragen viel zur Klimaerwärmung bei

Über Frankreich fliegt die Halo in 10.000 Metern Höhe, dort wo zu normalen Zeiten der Luftverkehr besonders stark ist. Hier entstehen dann auch die Kondensstreifen, wenn wasserdampf- und rußhaltige Triebwerksabgase auf relativ kalte Luft treffen.

Flugzeug mit Kondensstreifen
Kondensstreifen entstehen unter anderem durch Abgase, die Flugzeuge ausstoßen.

Die Atmosphärenforscher messen nun die Menge und Zusammensetzung von Luft-Schadstoffen in der verkehrsarmen Corona-Zeit. Der damit mögliche Vergleich mit dem Normalfall macht das Projekt Bluesky so einmalig.

„Der Luftverkehr trägt allgemein etwa fünf Prozent zur globalen Erwärmung bei. Der größte Anteil dafür kommt durch Kondensstreifen. In dieser besonderen Situation durch Corona ist die gesamte Klimawirkung des Luftverkehrs halbiert, weil es weniger Kondensstreifen gibt.

Vorhersagen von Eurocontrol sagen, dass sich bis Ende des Jahres das Luftverkehrsaufkommen wieder normalisiert haben soll. Das werden wir auch verfolgen, mit Satellitendaten, auch mit Flugzeugmessungen, um diese Entwicklungen im weiteren Luftverkehr weiter abzudecken und wissenschaftlich auszuwerten.“

Es ist die achte Halo-Mission in den vergangenen drei Wochen, Mit Flügen über Italien, Richtung Nord-Atlantik oder, wie jetzt, in einer großen Schleife über Frankreich und Spanien. Immer eng verbunden mit den Wissenschaftlern am Boden.

Am Boden warten die Wissenschaftler auf die ersten Daten der Halo.
Am Boden warten die Wissenschaftler auf die ersten Daten der Halo.

Corona-Krise bringt Vorteile für Atmosphärenforschung

Das Bluesky-Projekt löst eines der großen Probleme der Atmosphärenforschung. Die Wissenschaftler messen normalerweise auf einem heutigen, relativ hohen Verschmutzungslevel, das Ausgangsniveau und darauf aufbauende Entwicklungen sind schwer einschätzbar. Das hat sich Dank Corona nun geändert, sagt Mira Pöhlker.

„Die Einzigartigkeit bei der Kampagne besteht ja darin, dass wir eigentlich die Zeit zurückdrehen konnten. Wir können die Atmosphäre so messen, wie sie vor 100 Jahren zum Beispiel war, zumindest was den Flugverkehr angeht. Aber auch am Boden hat sich vieles geändert und wir haben doch sehr deutliche Reduzierungen der Emissionen in den Städten sehen können.

Und diese Information können wir dann wieder benutzen, um sie in Modelle einzubauen, um zukünftige Klimavorhersagen zu machen. Und das ist das Endziel eigentlich.“

Cockpit der Halo
Die Halo übermittelt Daten in Echtzeit zu den Forschern am Boden.

Nach knapp acht Stunden Flugzeit und rund 4.700 Flugkilometern setzt die Halo wieder in Oberpfaffenhofen auf. Nur knapp zwei Monate hat es gedauert, von der ersten Idee bis zu diesem vorerst letzten, erfolgreich absolvierten Messflug.

In den kommenden Monaten werden die Atmosphärenforscher nun intensiv an der Auswertung ihrer Daten arbeiten, gewonnen bei einem ganz speziellen Forschungsprojekt in Zeiten von Corona. Christiane Voigt ist hörbar stolz darauf.

„Bluesky ist ein ganz besonders Projekt, weil wir wirklich zu Zeiten des Lockdowns, des Abstandes hier gemeinsam Messungen machen konnten, um die Atmosphäre zu erforschen und zu beproben, das ist etwas, was ich sonst noch nie erlebt habe.“

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Autor/in
Thomas Hillebrandt
Onlinefassung
Franziska Ehrenfeld