Die Coronavirus-Pandemie belastet uns alle. Insbesondere Menschen, die ohnehin schon mit psychischen Krankheiten kämpfen. Nehmen Angststörungen und Panik zu? Wann wird Angst krankhaft, wie erkennt und behandelt man das? Prof. Andreas Ströhle, Leiter der Spezialambulanz für Angsterkrankungen an der Charité Berlin, im Gespräch.
Haben Angsterkrankungen während der Corona-Pandemie zugenommen?
Erstaunlicherweise haben wir bisher keine vermehrte Inanspruchnahme unserer Angstambulanz seit Frühjahr vergangenen Jahres verzeichnet. Sogar eine etwas geringere Inanspruchnahme. Wir haben zumindest bei uns keinen Anstieg von Menschen zu beobachten, die mit Corona-bedingten Ängste zu uns kommen.
Das hat uns überrascht. Wir dachten, wir müssen ein großes Angebot schaffen. An der Charité wurde ein soziales Unterstützungsangebot etabliert, was aber wirklich nur ganz wenig in Anspruch genommen wird. Wir haben parallel zu unserer klinischen Arbeit auch wissenschaftliche Untersuchungen gemacht. In denen konnte wir zeigen, dass sowohl die Bevölkerung wie auch Menschen mit Angsterkrankungen oder mit anderen psychischen Erkrankung ein deutlich erhöhtes Angst- und Anspannungsniveau haben in Abhängigkeit von der Pandemie.
Die Frage ist natürlich immer: Was ist eine normale Belastung, eine normale Sorge, eine normale Angst in Anbetracht einer Bedrohung von der Pandemie, von einer Infektion oder auch von sozialen Konsequenzen der Pandemie? Und wo beginnt die Krankheit? Im Moment haben wir den Eindruck, dass es vielen Menschen noch gelingt, relativ gut und „erfolgreich“ mit den Belastungen umzugehen. Viele entwickeln nicht direkt psychische Erkrankungen, sondern können relativieren und einschätzen, dass es eine normale Belastung und eine normale Reaktion ist, in Anbetracht der aktuell sehr schwierigen Situation.
Welches sind typische Angsterkrankungen bei uns in Deutschland? Was sind die häufigsten?
Die häufigsten Angsterkrankungen sind die Panikstörungen. Das heißt unerwartet auftretende Panikattacken, Angstanfälle. Die führen dann bei den Betroffenen auch zur Vermeidung von Situationen und Aktivitäten. Soziale Angsterkrankungen, bei denen Betroffene Schwierigkeiten haben, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer Menschen zu sein, sind ganz wichtige Angsterkrankungen. Im höheren Lebensalter ist es insbesondere auch noch die generalisierte Angststörung. Das heißt: Menschen machen sich vermehrt Sorgen um alltägliche Dinge wie beispielsweise, dass dem Partner was passiert, dass den Kindern auf dem Weg zur Schule was passiert. Diese Menschen sind durch die Sorgen und deren Folgen im Alltag beeinträchtigt.
Die klassischen Angsterkrankungen oder Phobien wie zum Beispiel Spinnen- oder Schlangenphobien sind selten so ausgeprägt, dass sie wirklich zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Betroffenen führen. Häufig suchen Menschen damit gar keine Hilfe.
Ist diese Angst immer ein Fall für den Psychiater und Psychotherapeut?
Nicht immer. Es kann natürlich sein, dass ich im Verlauf verstehe, wie es zu der Angst kommt. Wenn ich möglicherweise durch Selbsthilfe, Freunde oder durch ein unterstützendes Umfeld einen guten Umgang mit einer Angst lerne, dann kann es gut sein, dass ich die Symptomatik insbesondere am Anfang der Entwicklung, alleine in den Griff bekommen kann. Wenn sich die Symptomatik wirklich verselbstständigt hat, sowie über einen längeren Zeitraum vorhanden ist und auch deutliche Beeinträchtigungen, Vermeidung insbesondere zur Folge hatte, dann ist es häufig notwendig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wie sieht eine professionelle Hilfe bei Ihnen in der Klinik aus?
Was bei übersteigerter Angst immer ganz wichtig ist, ist zu klären, ob es nicht doch eine mögliche andere Ursache dafür gibt. Es gibt die Angsterkrankungen im engeren Sinne. Aber natürlich auch körperliche Erkrankungen und psychische Erkrankungen, die mit einer vermehrten Angst einhergehen können. Diese müssen zunächst mal gefunden oder ausgeschlossen werden. Das heißt, wir machen zunächst mal eine körperliche Untersuchung, eine Laboruntersuchung, wenn notwendig noch ein EKG oder andere Untersuchungen. So gehen wir sicher, dass keine körperliche Erkrankung dafür verantwortlich ist oder mit dran beteiligt ist.
Wir befragen die Betroffenen, machen eine ausführliche Vorgeschichte, um auch sicher zu sein, dass nicht zum Beispiel eine Depression oder eine Psychose, die dann ganz anders behandelt werden müsste, die Ursache mit dafür ist. Wenn es wirklich eine Angsterkrankung im engeren Sinne ist, kommt es auch darauf an, welche Art von Angsterkrankung und welche Begleiterkrankungen noch vorhanden sind, wie alt der Betroffene ist und welche Behandlungen er schon hatte. Das alles wird in die gemeinsame Entscheidung mit dem Betroffenen einbezogen. So schauen wir: Ist eine Psycho-Therapie, eine Pharmakotherapie oder eine Kombinationsbehandlung am sinnvollsten? Meistens wird in der Behandlung von Angsterkrankungen eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen und auch durchgeführt.