Was, wenn feindliche Raketen Deutschland angreifen? Die Bundeswehr ist auch bei Flugabwehr weitgehend „blank“. Ein neuer „Schutzschild“ muss her. Was heißt das für unsere Sicherheit?
Täglich sehen wir in der Ukraine, was Raketen- und Drohnenangriffe anrichten können. Falls Deutschland angegriffen würde: Könnte die Bundeswehr uns überhaupt beschützen? Die Antwort ist: Nein. Auch bei der Luftverteidigung ist die Truppe weitgehend „blank“. Nur noch wenig Patriot-Systeme zur Raketenabwehr stehen in Deutschland. Einige davon sichern im Ausland die „Ostflanke“. Andere sind in der Wartung oder Umrüstung.
Gegen Krampfdrohnen und Hyperschallraketen hat die Bundeswehr wenig bis gar nichts zu bieten. Milliarden sollen jetzt in High-Tech-Flugabwehr fließen: Auf Deutschlands Initiative wird ein „European Sky Shield“ anvisiert. 17 Nationen sind bisher dabei. Doch wie soll der neue „Schutzschild“ überhaupt aussehen? Und wird Deutschland dadurch wirklich sicherer?
Patriot - Rückgrat der Abwehr
Was die Bundeswehr derzeit hat: Vor allem das bewährte Patriot-System des US-Herstellers Raytheon ist bisher das Rückgrat der deutschen und europäischen Raketenabwehr. Es fängt ballistische Kurzstreckenraketen mit bis zu 1000 km Reichweite ab. Ebenso kommt es gegen Marschflugkörper und Kampfjets zum Einsatz. Patriot wird gerne als „veraltet“ bezeichnet. Aber im mittleren Abwehrbereich gilt das System, dass vom Unternehmen MBDA Deutschland permanent gewartet und weiterentwickelt wird, immer noch als sehr zuverlässig. Patriot fängt Angriffsraketen in einer Distanz bis etwa 70 Kilometer Entfernung ab, meist aber in kürzerer Entfernung.
Der Raum, den Patriot schützen kann, muss daher klar definiert sein und er ist auch nicht sehr groß. Man kann daher mit Patriot Militärbasen, Flughäfen oder auch das Regierungsviertel schützen. Das ist aber keinesfalls so etwas wie ein großräumiger „Schutzschild“. Es fehlen vor allem Abwehrwaffen für den „Nah- und Nächstbereich“, gegen strategische Interkontinentalraketen und gegen Hyperschallflugkörper.
Planungen für den „Sky Shield“
Was also plant die Bundeswehr? Gegen Kurzstreckenraketen setzt man weiter auf den bewährten Klassiker Patriot. Bisher ist bekannt, dass Deutschland davon ein zusätzliches System anschaffen will. Ergänzt wird dieser Abwehrbereich durch Iris-T SLM von Diehl Defence aus Baden-Württemberg. Ein moderneres System, das kleinere Räume schützt. Noch hat die Bundeswehr das System nicht, das vor allem wegen seines Superradars als äußerst präzise gilt.
Aufgerüstet werden soll auch im „Nah- und Nächstbereich“, vor allem gegen Kampfdrohnen. Dagegen hat die Bundeswehr schon leichte Flugabwehrsysteme im Repertoire. Dazu kommt nun ein modernes mobiles Drohnenabwehrsystem mit Mini-Lenkwaffen, später eventuell auch mit einem Hochenergielaser.
Abwehr von Interkontinentalraketen
Zum Schutz vor strategischen Interkontinentalraketen setzt die Bundesregierung auf das US-israelische System Arrow 3. Ein System soll bis 2025 in Deutschland startklar sein, zwei weitere später. Die Startkosten betragen um die 3 Milliarden Euro. Experten warnen vor nicht absehbaren Folgekosten durch Wartung und Modernisierung. Trotzdem halten die Truppe und auch Militärexperten die Anschaffung des Systems, vor allem zum Schutz größerer Räume gegen die schlimmsten atomaren Massenvernichtungswaffen für sinnvoll.
Offen ist, wie die Logistik und Kosten unter den europäischen „Sky Shield“-Mitgliedern aufgeteilt werden sollen. An Abwehrwaffen gegen Hyperschall-„Wunderwaffen“, mit denen vor allem Putin droht, wird auch in Deutschland mit Hochdruck geforscht. Eventuell werden „luftatmende“, also leichtere und dadurch schnellere und wendigere Abwehrraketen gegen Hyperschallflugkörper zum Einsatz kommen.
Perfekter „Schutzschild“ unmöglich
Die Rüstungsspirale hin zu schnelleren und smarteren Angriffs- und Abwehrwaffen dreht sich also immer weiter. Deshalb wird auch der „European Sky Shield“ immer eine Baustelle bleiben, egal wieviel Milliarden Deutschland und seine Partner dort jährlich hineinstecken werden. Angesichts des desolaten Zustands der Luftverteidigung in Europa ist diese Investition in Supertechnik grundsätzlich sinnvoll: Jede abgefangene Rakete rettet im Ernstfall schließlich Leben. Und eine gut aufgestellte Abwehr wirkt abschreckend auf mögliche Aggressoren, weil sie schlecht kalkulieren können, wie erfolgreich ein Angriff sein wird.
Das hochsymbolische Narrativ vom „Schutzschild“ führt aber in die Irre: Einen großräumigen Schutz von deutschem und EU-Territorium gegen Raketenangriffe wird es niemals geben. Perfektion und absolute Sicherheit bleiben ein Wunschtraum. Experten mahnen daher auch eine Mentalitätswende in der deutschen Gesellschaft an: Mehr „Wehrhaftigkeit“ bei Politik und Zivilgesellschaft, und eine breite Unterstützung des Auftrags der Bundeswehr können auch ein wichtiger Teil unseres zukünftigen „Schutzschildes“ sein.
Linktipps und Adressen:
Zur Geschichte der Deutschen Luftverteidigung
Podcast zu Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Informationen zur bodengebundenen Luftverteidigung der Bundeswehr
Adresse:
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBW)
Zeppelinstraße 127/128
14471 Potsdam
Brandenburg
Deutschland
Buchtitel:
Timo Graf: Zeitenwende im sicherheits- und verteidigungspolitischen Meinungsbild. Ergebnisse der ZMSBw-Bevölkerungsbefragung 2022, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam 2022
Friederike C. Hartung: Ein Dach über Europa: Politische Symbolik und militärische Relevanz der deutschen bodengebundenen Luftverteidigung 1990 bis 2014, De Gruyter Verlag, Oldenburg 2022, 39,90 EUR
Masala, Carlo: Weltunordnung: Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens, 7. Auflage, C.H. Beck, 2023, ISBN 978-3-406-79325-7, 16,95 EUR