Amazon verschickt in Deutschland jährlich rund 849 Millionen Pakete. Ganze 43 Millionen dieser Bestellungen werden zurückgesendet. Was passiert mit den vielen Retouren?
Mehr als die Hälfte der Deutschen kauft bei Amazon ein: 46 Millionen Kundinnen und Kunden machen Deutschland zum zweitgrößten Markt für den Konzern, gleich nach den USA. Ganze 31 Millionen Euro Umsatz werden hier jeden Tag generiert. Und das durch nur wenige Klicks, denn für registrierte Kunden läuft jeder Kauf schnell und mit wenig Aufwand ab. Das macht den Online-Händler attraktiv, genauso wie die Möglichkeit, Artikel unkompliziert und kostenfrei zurückzuschicken.
Wie einfach das Retournieren von Produkten bei Amazon ist, hat auch ein Test von uns gezeigt: Hierfür haben wir eine Hängematte bestellt und anschließend einen Verarbeitungsfehler vorgegeben. Die Reaktion von Amazon: Man sendet uns ohne große Rückfragen ein Retouren-Etikett für die kostenlose Rücksendung zu.
Für die Kundschaft ist das komfortabel. Was man allerdings bedenken muss: Allein in Deutschland werden über 40 Millionen Pakete zurückgesendet. Was passiert eigentlich mit den ganzen Retouren?
- 1. Weiterverkauf als Neuware
- 2. Amazon Warehouse
- 3. Retourenhändler
- 4. Vernichtung in den Destroy Stationen
- 5. Kunden dürfen die Ware behalten
1. Weiterverkauf als Neuware
Einige Retouren landen in Amazon Logistik Zentren. Da diese in ganz Europa verteilt sind, können Rücksendungen gebündelt an den nächstgelegenen Standort geschickt werden. In Deutschland gibt es insgesamt 18 Logistikzentren allein für Amazon. Hier werden die Waren darauf geprüft, ob sie erneut verkauft werden können. Das betrifft laut Amazon die meisten der zurückgeschickten Produkte.
2. Amazon Warehouse
Können sie nicht mehr als Neuware verkauft werden, besteht die Möglichkeit, dass die retournierten Produkte im Amazon Warehouse landen. Dort gibt es gebrauchte Artikel zu günstigeren Preisen – jedoch nur solche, die direkt von Amazon vertrieben werden. Auch Produkte mit beschädigter Verpackung können hier weiterverkauft werden. Die Waren werden ebenfalls zuvor in den Logistikzentren geprüft und in die Kategorien „Wie neu“, „Sehr gut“, „Gut“ und „Akzeptabel“ eingeordnet.
3. Retourenhändler
Das Problem: Auf Amazon verkauft nicht nur das Unternehmen selbst. Auch zahlreiche Unterhändler vertreiben ihre Produkte über die Plattform. Sie bilden den Amazon Marketplace und sind für einen großen Teil des Umsatzes im Online-Handel verantwortlich. Doch viele der externen Händler verfügen nicht über die nötigen Kapazitäten, um sich um die Retouren zu kümmern oder sie selbst weiterzuverkaufen. Deshalb gibt es immer mehr Firmen, die den Amazon-Händlern ihre Retouren palettenweise abkaufen – zu einem Bruchteil des Neupreises.
Ein Geschäftsmodell, das den Unternehmen mitunter Millionenbeträge einbringt. Auf Seiten wie Ebay oder Restposten.de kann man sich so eine Palette auch als Privatperson bestellen. Was in den Paketen enthalten ist oder in welchem Zustand die Artikel sind, wissen die Käufer vorab oftmals nicht.
Einige solcher Retouren landen in Birkenfeld nahe Pforzheim bei Ingo und Michele Morlock. In ihrem Unternehmen „Retourenking“ kommt von Sonnenschirmständern über Klodeckel bis hin zu Weihnachtsdeko alles an. Und das ist mit großem Aufwand verbunden, auch für das Ehepaar Morlock: Jedes einzelne Paket muss geöffnet und der Zustand begutachtet werden. Beschädigte Waren werden repariert, teilweise müssen kaputte Gegenstände entsorgt werden.
Die Mehrheit der Produkte bekommt eine zweite Chance, indem sie als neuwertig oder als B-Ware wiederverkauft wird: Auf der Ebay-Seite oder im eigenen Online-Shop der Morlocks, für ca. 70 Prozent des Neupreises. Doch nicht alle Amazon Retouren finden Ihren Weg in die Zweitverwertung.
4. Vernichtung in den Destroy Stationen
Der Online-Gigant wird immer wieder dafür kritisiert, Waren im großen Stil zu zerstören. Schätzungen der Universität Bamberg zufolge werden etwa vier Prozent aller retournierten Artikel vernichtet. Offizielle Angaben darüber, wie viele Neuwaren zerstört werden, gibt es dagegen keine. Vor wenigen Monaten machte allerdings ein Amazon-Lager südlich von Hamburg Schlagzeilen. Die Umweltorganisation Greenpeace schleuste für vier Wochen einen verdeckten Mitarbeiter in das Logistik-Zentrum ein.
Er stieß auf einen Bereich, der mit der Aufschrift „Destroy“, also „Vernichtung“, gekennzeichnet war. Direkt daneben Paletten mit Containern, voll mit neu aussehenden Textilien. Mithilfe einer versteckten Kamera dokumentierte er die Entsorgung von LED-Lampen und anderer Elektronikartikel. In den Aufzeichnungen ist auch zu sehen, wie Verpackungen von Textilien mit einem Teppichmesser aufgeschnitten und weggeworfen werden. Augenscheinlich alles Neuware.
Seit Jahren kritisiert Greenpeace den Onlineriesen Amazon für seine ressourcenzerstörenden Praktiken. Viola Wohlgemuth, Konsum-Expertin bei Greenpeace, befürchtet, die von ihrer Organisation entdeckte Destroy-Station ist nur eine von vielen:
Gesetz gegen Zerstörung: Bislang ohne Konsequenzen
Systematische Zerstörung von Neuware ist in Deutschland seit 2020 verboten. Die rechtliche Grundlage hierfür schafft die im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) verankerte Obhutspflicht des Händlers. Dieser soll demnach beispielsweise offenlegen, wie viele Retouren ankommen und wie viel davon im Müll landet. Laut Dr. Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg, sei diese allerdings momentan noch ein zahnloser Tiger: „Das basiert alles auf Rechtsverordnungen, die bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht wurden.“ Bedeutet: Verstöße können aktuell noch nicht geahndet werden.
Hinzu kommt, dass das Gesetz nur die Produzenten und die Vertreiber umfasst und Amazon demnach nicht für die Zerstörung belangt werden kann. Denn der Auftrag zur Entsorgung kommt in den meisten Fällen von einem der zahlreichen Unterhändler und Amazon selbst führt diesen lediglich aus, so Björn Asdecker. So einfach sei es allerdings nicht, denn schaffe Amazon durch die hohen Langzeitlagergebühren, die der Konzern von seinen Händlern verlangt, ein Umfeld, in dem die Entsorgung von Waren die wirtschaftlich sinnvollste Option sei.
Eine mögliche Lösung, so der Retourenforscher, könnte eine höhere Transparenz im Hinblick auf die Entsorgung sein. Wenn man erst einmal wisse, wie viel und was vernichtet wird, könne man dem besser entgegenwirken. Einem grundsätzlichen Verbot stehe er hingegen kritisch gegenüber, da die Ware einfach ins Ausland verkauft und dort vernichtet werden könne.
Wir wollen von Amazon wissen, ob die Zerstörung von Neuwaren immer noch gängige Praxis ist und in welchem Umfang das geschieht. Antworten auf diese Fragen bekommen wir nicht. Das Unternehmen weist jedoch darauf hin, dass man Entsorgung grundsätzlich als allerletzte Option ansehe. Ein wichtiger Weg, das zu verhindern, seien Sachspenden. Allein in 2020 habe Amazon rund 1,5 Millionen Einzel- und Großpackungen an lokale Tafeln in ganz Deutschland gespendet.
5. Kunden dürfen die Ware behalten
In einigen Fällen kommt es vor, dass Amazon den Kaufpreis erstattet, ohne dass die bestellten Produkte zurückgesendet werden müssen. Das passiert vor allem dann, wenn die Kosten für den Rückgabe-Prozess den Warenwert überschreiten. Die Grenze hierfür liegt bei im Durchschnitt bei ca. 20 Euro. Die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Produkt behalten darf, ist also bei preisgünstiger Ware und bei Produkten, die wahrscheinlich nicht mehr weiterverkauft werden können, besonders groß.
Unser Fazit zu Amazon-Retouren
Was mit den Amazon-Produkten nach der Retoure passiert, lässt sich nicht genau nachvollziehen. Im besten Fall wird sie als neue oder gebrauchte Ware über das Amazon Warehouse oder über private Händler weiterverkauft oder gespendet. Doch es besteht auch die Möglichkeit, dass die zurückgesendeten Artikel direkt im Müll landen. Was Kunden allerdings nachverfolgen können, ist, welche Daten Amazon über sie sammelt. Eine Anleitung zur Datenabfrage haben wir hier zusammengefasst:
Private Daten: So seht ihr, was Amazon über euch weiß
Generell gilt: Wer sichergehen möchte, dass keine Retouren vernichtet werden, der sollte bewusst online einkaufen, um Rücksendungen möglichst zu vermeiden.
Marktcheck checkt Amazon Kann der Online-Gigant Amazon in Sachen Qualität und Arbeitsbedingungen überzeugen?
Amazon lockt seine Kundschaft mit einer umfangreichen Produktpalette, bequemem Einkauf sowie leichtem Umtausch. Doch wie gut sind Qualität und Preise der Produkte? Und wie steht es um Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen?