Es gibt in den USA ein neues Indianer-Selbstbewusstsein. Vertreter von indigenen Stämmen fordern die Anerkennung ihrer Geschichte und wollen die indianische Kultur vor dem Untergang bewahren. Währenddessen hat die deutsche Geschichte ein ganz eigenes Verständnis von "Indianern".
Zu dem Begriff selbst: Das Wort "Indianer" – auf Englisch "Indians" oder "American Indians" – ist kolonialistisch geprägt. Denn Kolumbus dachte 1492, er wäre auf dem Weg nach Indien.
In den USA sprechen viele Menschen lieber von "Native Americans", in Kanada von “First Nations”. Im Deutschen gibt es keine wirkliche Alternative, wenn man nicht diese englischen Begriffe benutzen will. Und viele der indigenen Amerikaner bezeichnen sich selbst als "Indians". Darum verwendet dieser Text den Begriff "Indianer", im Bewusstsein seiner schwierigen Geschichte.
Darf man noch "Indianer" sagen?
Deutschland und sein Winnetou
Apropos Stereotype: Vielleicht in keinem Land der Erde wird so sehr an Indianer-Klischees festgehalten wie in Deutschland. Hartmut Lutz, der als Amerikanist an der Universität Greifswald gelehrt hat, kämpft seit über 40 Jahren gegen das, was er "Indianertümelei" nennt.
Warum ließen sich die Deutschen seit dem 19. Jahrhundert so für die weit entfernten indigenen Stämme begeistern? Vielleicht, weil Deutschland zu Lebzeiten von Karl May zumindest bis in die 1880er-Jahre keine Kolonien hatte, insbesondere nicht in Nordamerika, glaubt Hartmut Lutz. So wird Old Shatterhand kurzerhand zum Kolonisator, dem Winnetou bereitwillig wie einem Bruder folgt.
Karl-May-Verehrer Hitler: Der "edle Wilde" als Verteidiger von "Blut und Boden"?
In der Nazizeit wandelte sich die Rolle des Indianers in den deutschen Narrativen. Der "edle Wilde" wurde zum Verteidiger von Blut und Boden. Das Nazireich ging unter, aber die Indianertümelei nicht. Hartmut Lutz vergleicht den deutschen Indianerkult heute mit einem persönlichen Erlebnis, als sich zwei seiner amerikanischen Freunde als Nazis verkleideten, um ihm eine Freude zu machen.
Nach dem Krieg war es die friedliebende Seite von Winnetou und seinen Stammesbrüdern, mit der sich die besiegten Deutschen identifizierten. Auch die aufkeimende Umweltbewegung konnte sich mit den naturverbundenen Stämmen auf der anderen Seite des Ozeans identifizieren. Der Indianer war in dieser Sicht der Super-Öko, der die Erde bewahrt, und man konnte Wochenendseminare mit indianischen Schamanen buchen. Der Aufkleber "Wenn der letzte Baum gerodet ist …" mit der fälschlich den Cree-Indianern zugeschriebenen Weissagung zierte die Autos vieler umweltbewegter Menschen.
Stereotype von Indianern in den USA
Das gängige Bild in den Köpfen der meisten Amerikaner sieht so aus: Die Weißen kamen ins Land, die Ureinwohner wurden entweder von Krankheiten dahingerafft oder brutal ermordet, seitdem sind sie "irgendwie" verschwunden oder in der Gesellschaft aufgegangen.
Während andere gesellschaftliche Gruppen für demokratische Rechte und öffentliche Sichtbarkeit kämpften, blickten Native Americans eher nach innen – auf ihre Communitys. Für die erstritten sie einige Privilegien – am bekanntesten vielleicht das Recht, Spielcasinos in Staaten zu betreiben, in denen das Glücksspiel eigentlich verboten ist.
Erzwungene Assimilierung von Indianern
Diese Souveränität wurde von der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft immer wieder mit Füßen getreten – Verträge wurden gebrochen, auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde versucht, die traditionellen Stammesstrukturen zu zerstören. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, sie durften nicht ihre Sprache sprechen. Und viele wurden misshandelt, häufig von katholischen Priestern und Nonnen.
Red-Power-Bewegung und Kampf um Autonomie und Rechte
Nicht nur deshalb ist es vielen Native Americans heute wichtig, als Angehörige eines Stammes anerkannt zu werden. Damit kommen auch Privilegien, die sich ihre Gemeinschaft im Laufe der Zeit erhandelt hat: In den Stammesgebieten lebt man nicht luxuriös, aber Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Bildung sind viel erschwinglicher als im Rest des Landes.
Auch der Red-Power-Bewegung Ende der 1960er-Jahre, die sich nach dem Vorbild von Black Power organisierte, ging es mehr um Souveränität als um die Veränderung der gesamten Gesellschaft.
Glasperlen und Stoff: Indianer forderten Alcatraz zum Verkaufspreis zurück
Höhepunkt dieser Bewegung war die Besetzung von Alcatraz 1969 – der Gefängnisinsel in der Bucht von San Francisco, die heute eine der größten Touristenattraktionen ist. Die indianischen Stämme forderten die Insel zurück. Sie boten sogar an, dafür zu bezahlen. Und zwar 24 Dollar in Glasperlen und rotem Stoff – also genau das, was die Weißen einmal für die Insel Manhattan bezahlt hatten. Im Juni 1971 wurden wurden die Aktivisten zur Aufgabe gezwungen.
Im Zentrum der politischen Forderungen von indianischen Organisationen steht immer das Land – und der Kampf darum, zumindest einen Teil des geraubten Territoriums zurückzubekommen. Denn Land ist nicht nur der Boden, auf dem man lebt; es ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Vorfahren, mit dem Stamm und seiner kulturellen und spirituellen Identität.
Indigenes Wissen ist in Zeiten des Klimawandels besonders wertvoll
Es gibt zunehmend Menschen mit indianischen Wurzeln, die versuchen, die indianische Erdverbundenheit mit moderner Wissenschaft zu vereinbaren. Etwa Robin Wall Kimmerer, eine indianische Biologin des Potawatomi-Stammes an der State University of New York, die im Oktober 2022 das renommierte MacArthur-Fellowship bekam. Ihr bekanntestes Buch bisher hat den Titel "Geflochtenes Süßgras". In Rezensionen berichten Leser davon, wie sie durch dieses Buch die Welt mit anderen Augen sehen.
Indianisches Wissen kann auch in Zeiten des Klimawandels besonders wertvoll sein. Derzeit versagen oftmals westliche Forst-Methoden, jährlich wird der gesamte Westen der USA von verheerenden Bränden heimgesucht. In Wäldern, die von indianischen Gemeinschaften bewirtschaftet werden, wird dagegen ein integriertes Management praktiziert – man bekämpft Schädlinge mit natürlichen Methoden, will Brände nicht um jeden Preis vermeiden und schlägt nicht mehr Holz, als der Wald verkraften kann.
In Zeiten des Klimawandels, sagt die amerikanische Innenministerin Deb Haaland in einem Fernsehinterview, wird das indigene Wissen über die Natur wieder extrem wichtig. Indianische Stämme leben seit Zehntausenden von Jahren auf dem Kontinent. Und sie wissen, wie man sich darum kümmert.