Musikthema

Trost in der Neuen Musik Rihms

Stand
Autor/in
Uli Aumüller

Welchen Beitrag leistet die nach 1945 komponierte Musik in der Auseinandersetzung mit dem Tod, welche Form der Trauer kann sie begleiten, und welche Art des Trostes bietet sie an? Über diese Fragen unterhielt sich – aus einem sehr persönlichen Anlass – Uli Aumüller mit dem in Karlsruhe lebenden Komponisten Wolfgang Rihm und erhielt eine überraschende Antwort.

„Musik handelt immer vom Tod“

„Unser Leben währet siebzig Jahre“, heißt es in den Psalmen, , „und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon“.

Es ist etwas mehr als dreißig Jahre, da verlor ich einen Freund durch einen Autounfall. Wir waren Freunde geworden, weil uns die Leidenschaft für Musik gemeinsam war, vor allem die klassische zeitgenössische – ich fragte mich also nach tröstender Musik in diesem Bereich.

Ich traf 1991 frühmorgens Wolfgang Rihm in einem Café und fragte ihn: Was ist der Beitrag der zeitgenössischen Musik zu diesem Thema? Seine Antwort: Musik handle immer vom Tod.

Musik existiert nicht, sie dauert nicht an, obwohl sie in der Zeit durch Dauer überhaupt erst zum Leben kommt. [...] Ihr eigentliches Leben, aber was heißt eigentliches Leben, aber die wichtigste Form ihres Lebens ist dann im Gehört-Werden.

Nur die Erinnerung bleibt

Ehrlich gesagt war ich zunächst etwas enttäuscht, dass Wolfgang Rihm nicht über Emotionen und Gefühle räsonierte, die mit der Musik zum Ausdruck gebracht werden könnten, sondern über ihre nackte Materialität und Wahrnehmungsstrukturen.

Ein Klang entfaltet sich und verklingt – wie eine Rose, die im Augenblick ihres prachtvollsten Aufblühens schon beginnt zu verfallen. Ein paar Blätter sind schon welk geworden. Und das vollständige Bild von der Entfaltung eines Klangs, seinen Ein- und Ausschwingvorgängen bis zu seinem Verschwinden entsteht nur im Ohr des Zuhörenden.

Ich höre jeweils nur den Moment und rekonstruiere in der Erinnerung den gesamten zeitlichen Verlauf, aber zu einem Zeitpunkt, da der Klang schon verklungen ist. Die Erinnerung bleibt bestehen, die Musik verklingt.

Musik ohne Dienst

Seitdem haftet dem Trauermarsch ein Makel an, auch vielen anderen Werken deutscher Komponisten, die der Nationalsozialismus in ähnlicher Weise zu Propagandazwecken missbrauchte: Der Makel ihrer Korrumpierbarkeit. 

Vor diesem Hintergrund lässt sich der Wunsch vieler Komponisten nach 1945 nachvollziehen, eine Musik komponieren zu wollen, die sich nicht in den Dienst stellen lässt für etwas anderes.

Ausklang heißt zum Beispiel und sehr lakonisch ein Werk von Helmut Lachenmann für Klavier und Orchester, aus dem Jahr 1984, und meint, weil der Komponist Wortspiele liebt, beides: Aus Klang – und Ausklang.

Keine Ewigkeit für die Klänge

Musik ist aus Klang und verklingt irgendwann – früher oder später. Aber es ist alles andere als gleichgültig, wie diese Klänge gespielt werden: Ein Bartok-Pizzikato kann gewaltig und erschreckend schön klingen, oder langweilig – ein geschlagener Akkord im Klavier bei gehaltenem Pedal kann wunderbar räsonieren und im Ausklingen singen – oder er kann fad vor sich hindümpeln.

Helmut Lachenmann wurde nicht müde, von Orchester zu Orchester, zu Ensembles, Quartetten und Solisten zu reisen und ihnen zu erklären, welche Klänge klingen und welche nicht. Den Unterschied bezeichnete Lachenmann mit betont schwäbischen Dialekt als „mag isch“ – mag isch oder mag isch eben nicht.

Entdeckung der Schönheit

Am Ende entscheidet das Ohr, unser uns irgendwie angeborene Sinn für Schönheit – angeboren in dem Sinne, dass er weder ein Anfang noch ein Ende hat. Er war immer schon da. Er wird weiter getragen von Generation zu Generation, von den Eltern zu den Kindern, vom Lehrer zu seinen Schülern.

Dieser Sinn für Schönheit muss nur entdeckt und entfaltet werden – und das ist, hätte Luther gesagt, mit Mühe und Arbeit verbunden. 

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