Adam und Eva nach der gleichnamigen Komödie von Peter Hacks ist Mike Svobodas fünftes Werk für das Musiktheater, das in enger Zusammenarbeit mit der Mezzosopranistin Anne-May Krüger als Librettstin entstand. Der Dramaturg Christoph Blitt hat die beiden getroffen und dazu befragt.
Christoph Blitt: Peter Hacks war einer der produktivsten und erfolgreichsten Autoren in der ehemaligen DDR. Dieser gesellschaftspolitische Hintergrund, aus dem heraus Hacks gewirkt hat, ist auch seiner 1973 in Dresden uraufgeführter Komödie Adam und Eva eingeschrieben – etwa wenn es um das Thema der individuellen Freiheit geht. Welche Aspekte interessieren dich, Anne-May als Librettistin heute an diesem Stoff und diesen Text, dass du und Mike entschieden habt, dass ihr Hacks‘ Komödie in eine Oper verwandeln wollt?
Anne-May Krüger: Mich hat von Anfang an Hacks‘ Sicht auf den sogenannten Sündenfall als Chance, nicht als Verdikt fasziniert. Er ist bei ihm überhaupt die einzige Möglichkeit für die Menschen, Freiheit zu erringen. Er sagt ja ganz dialektisch: Die Menschen mussten das Paradies verlieren, um es auf immer zu gewinnen – nämlich im Streben danach. Hacks stellt sich das Paradies ja auch nicht als einen Zustand immerwährender Glückseligkeit vor, sondern als eine Bewegung auf etwas zu. Ich übersetze das so: Es gibt für uns Menschen keine Rückkehr zu einem angenommenen Zustand ohne Zerrissenheit und auch nicht zu einer höheren Instanz. Wir sind auf uns allein gestellt. Aber wir haben es in der Hand, auf eine bessere Welt hinzuarbeiten. Dieses – ganze Goethisch – tätige Sein könnte vielleicht paradiesisch sein.
Christoph Blitt: Anne-May, wie bist du bei der Einrichtung des sehr umfangreichen Textes von Hacks für dein Libretto vorgegangen? Welche Aspekte der Vorlage waren dir besonders wichtig?
Anne-May Krüger: Ich wollte diese angesprochene Botschaft der Chance ganz klar herausarbeiten – und auch den Schmerz, den es für Adam und Eva bedeutet, sich bewusst der Zerrissenheit und Komplexität der Welt stellen zu müssen. Ganz technisch gesagt, habe ich in mehreren Arbeitsschritten jeden Akt ausgedünnt, sprachlich auch teilweise vereinfacht und dramaturgisch versucht, „operntauglich“ zu machen. Mir war klar, dass ich von Hacks‘ feinziselierten und fast schon barocken Versen nur wenig ins Singen hinüberretten kann. Die Oper funktioniert einfach anders als das Sprechtheater. Ich habe daher immer überlegt, wie ich das Musiktheater zu einem Vorteil für den Stoff wenden kann, und nicht immer seine Nachteile entschuldigen muss. So kam z. B. die Idee, Gott nicht – wie in der Vorlage – durch eine Person darzustellen, sondern zusätzlich durch den Chor. Bei Hacks sagt Gott über seine Macht: „Allmacht, vor der ich machtlos bin“. Mit dem Chor kann ich erzählen, dass Gott überall gleichzeitig sein kann, aber wenn man einen Schauspieler mit einem Schwarm von Choristen über die Bühne gehen sieht, merkt man auch, dass diese Vielheit durchaus hinderlich sein kann.
Irgendwann war aber auch klar, dass die Emanzipation der Menschen von ihrem Schöpfer auch mich selbst betraf und ich mich vom Schöpfer des Stücks entfernen musste. So kamen noch die beiden Einhörner in den Text, die es bei Hacks nicht gibt. Sie retten viele Passagen, die ursprünglich bei Gott lagen, so für mich aber nicht mehr funktionieren. Der Schluss selbst ist dann gar nicht mehr von Hacks, sondern von mir.
Christoph Blitt: Mike, welche Klangvorstellungen und Kompositionsweisen hast du aus diesem Urmythos der abendländischen Kultur abgeleitet?
Mike Svoboda: Da ich aus Platzgründen nicht ein volles Orchester zur Verfügung habe und mir klangliche Homogenität als Ausgangspunkt wichtig war, habe ich mich auf wenige Orchestergruppen beschränkt: zwei Klarinetten, drei Posaunen, zehn Streicher, das Bindeglied Akkordeon und zwei Schlagzeuger als Glanzmittel. Mir war auch wichtig, die 18 Sängerinnen und Sänger in den unterschiedlichsten Konstellationen und Dichten hören zu können. Diesen Wunsch konnte ich vorab mit Anne-May diskutieren und er hat dann auch wieder das Libretto beeinflusst. In der Komposition bewegen wir uns, bis zum Apfelbiss, weg von einer Art Null-Zustand; das heißt eine Entwicklung aus regelmäßigen Rhythmen und klareren harmonischen Verhältnissen hin zur Entfaltung erweiterter musikalischer Möglichkeiten. Das mag banal klingen, baut aber Erwartungen auf, die eben für die Zeit nach dem Apfelbiss Überraschungen ermöglichen.
Christoph Blitt: Du erweiterst ja das sich aus Solist:innen, Chor und Orchester zusammensetzende traditionelle Kollektiv der Ausführenden einer Oper, wie man es von der Entstehung der Gattung im 16. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert hinein gepflegt hat, um mehrere Schichten. So gibt es beispielsweise zum Teil vorproduzierte, zum Teil aber auch live erzeugte Ton- und Videozuspielungen oder eine Sängerin soll via Video mit sich selbst siebenstimmig singen. Was war auf der einen Seite die musikalische Intention für diese Erweiterung der Ausdrucksmittel, und was war auf der anderen Seite die inhaltlich-dramaturgische Motivation dafür?
Mike Svoboda: Die Live-Elektronik erweitert den Klangraum, analog zu unserer Deutung des Apfelbisses, als eine Öffnung in alle Richtungen. Elektronik kommt allerdings nur bei den Sänger:innen sowie bei Solo-Geige und Solo-Cello vor. Die Audioeinspielungen, zunächst mit der Vertonung einiger Zeilen aus Miltons Paradise Lost, sind einerseits ein akustisches Bühnenbild, das die historische Rezeption des Stoffs verdeutlicht, andererseits verlängern sie das Bühnengeschehen in eine Art musikalischen Hallraum hinein. Das Video ist in unserer Vorstellung oft Mittel, die Zeit bzw. die Abwesenheit von Zeit und damit quasi Gleichzeitigkeit darzustellen. Die Umsetzung liegt hier in der Hand der Videodesignerin Sarah Derendinger. Was die Videos von Gabriel angeht, kann ich sagen, dass ich einfach große Lust hatte, sieben Koloratursopran-Stimmen in engen Harmonien zu hören. Und wenn wir uns vorstellen, dass die Engel eine Art Superpower besitzen, und Satanaels Superpower die Verwandlungsfähigkeit, z. B. in eine Schlange ist, dann ist bei uns Gabriels Fähigkeit eben, sich in der Aufregung zu vervielfältigen.
Mike Svoboda: Warum singt Gott nicht, bzw. warum singt er nur chorisch?
Anne-May Krüger: Wie schon gesagt, war das einerseits der Versuch, Gott in seiner dialektisch verstandenen Allmacht darzustellen. Neben der Unbeweglichkeit der Vielheit „Gott“ auf der Bühne hat Gott als quasi privates Individuum eben auch keine Gesangsstimme, durch die er sich mit den Anderen verbinden kann. Wir wollten damit zeigen, dass er als Seinsform natürlich etwas ganz anderes ist als seine Geschöpfe. Während die Menschen anfangs nur singen und später aber auch zum Sprechen und zu anderen Kommunikationsformen kommen, verstummt Gott am Ende des Stücks. Seine Macht – also der Chor – transformiert sich dann in etwas Neues.
Mike Svoboda: Neben den Einhörnern war auch der Chor nicht in der Hacks-Vorlage vorgesehen, sondern von Anfang an ein Wunsch von uns. Die Figur Gottes mit einem Tross von Sängerinnen und Sängern zu erweitern, verdeutlicht musikalisch für mich seine Macht und Ohnmacht, die Möglichkeit und die Last seiner Rolle zugleich. Singt Gott nicht, weil er nicht kann oder es nicht nötig hat? Ist Singen ein Umweg oder doch eine effektivere, direktere Möglichkeit, sich auszudrücken?