Die britische Komponistin Rebecca Saunders erhält den renommierten Siemens-Musikpreis 2019. Die Auszeichnung für ein Leben im Dienste der Musik ist mit 250.000 Euro dotiert und wird seit 1974 verliehen. Saunders ist nach der Geigerin Anne-Sophie Mutter im Jahre 2008 erst die zweite Frau, die die Auszeichnung erhält.
Rebecca Saunders im Porträt
sdf
Unverwechselbare Klangsprache
Die 1967 in London geborene Komponistin Rebecca Saunders beschrieb ihre Arbeit einmal als einen Versuch, Klänge aus einer Oberfläche scheinbarer Stille zu lösen und zu formen. Wie gut ihr das gelingt, davon legen über 60 bemerkenswerte Werke nahezu aller Gattungen, die eindrucksvolle internationale Liste an Musikern und Klangkörpern, mit denen sie zusammenarbeitet, sowie die bedeutenden Preise und Auszeichnungen beredtes Zeugnis ab.
Seit den ersten Erkundungen einzelner Klänge hat sie mit jedem Stück einen weiteren Schritt gewagt und ihre eigene Klangsprache weiterentwickelt. Das Kuratorium zeichnet Rebecca Saunders für ein kompositorisches Werk aus, das bedeutende Spuren in der Musikgeschichte der Gegenwart hinterlässt.
Rebecca Saunders über Stille beim Komponieren
Musik als körperliche Erfahrung
Als Kind lag Saunders manchmal unter dem Flügel während ihr Vater spielte und badete in den Resonanzen. So war das Hören für Saunders von Anfang an eine körperliche Erfahrung. Die intime physische Beziehung zwischen Musiker und Instrument, Klang und Hörer, Nähe und Ferne, das Räumliche, ist für sie von großer Bedeutung. In ihren Werken spielt daher die Physis der Interpreten oft eine wesentliche Rolle.
Nicht selten resultiert eine Komposition aus der Auseinandersetzung mit einer körperlichen Bewegung, die den Klang erzeugt. Das beginnt bei den Vorarbeiten zu den Werken, wenn sie eng mit Interpreten zusammenarbeitet, um Klangmaterial zu erforschen und deren persönlicher Art näher zu kommen.
Aber es geht, wie Saunders betont, auch darum, die "schiere Körperlichkeit ihres Spielens" zu erleben. Diese besondere Korrelation zwischen der Bewegung der Musiker und dem erlebten Klang von Saunders' Musik wird insbesondere bei dem niederländischen Trompeter Marco Blaauw offenbar, für den die Stücke "Blaauw", "Alba", "White" und "Neither" entstanden sind.
YouTube-Video: Rebecca Saunders' Werk "Alba"
Musikalische Familie
Saunders wuchs in einem sehr musikalischen Umfeld auf. Bereits die Großeltern waren Organist und Pianistin, beide Eltern waren Pianisten, es gab vier Klaviere im Haus, mit denen klassische Musik und auch Jazz gespielt wurde. Sie selbst spielte Violine, insbesondere Werke von Johann Sebastian Bach, und sagt: "Musik war immer und überall gegenwärtig und ich habe als Kind viel komponiert".
Studium in Karlsruhe
Im Rahmen eines USA-Aufenthalts hörte sie als junge Komponistin erstmals Musik von Morton Feldman, von der sie lernte, dass in der Musik ein anderer Sinn für Zeit und Raum möglich ist und dass auch in einem Detail, einem Fragment, eine ganze Welt verborgen liegen kann. Ein Konzert mit Wolfgang Rihms Chiffren-Zyklus, dessen Musik sie durch ihre tiefe Sinnlichkeit und lebensbejahende Kraft zutiefst beeindruckte, führte sie zum Studium nach Karlsruhe und ebnete den Weg zur eigenständigen Komponistenpersönlichkeit.
Durch Rihm lernte sie auch die Musik Galina Ustwolskayas kennen, deren Klarheit und Schmucklosigkeit, Leidenschaft und Obsession, aber auch Wut und Aggressivität sie vom ersten Moment an elektrisierten und faszinierten, und die auch ihr Werk fortan nachhaltig prägte.
Beinahe obsessiv hat sich Saunders mit den Schriften Samuel Becketts befasst: Saunders geht es aber nicht darum seine Texte zu vertonen. Es geht ihr um eine neue Rahmung, ein neues Umfeld. Sie bezeichnet Becketts Wort- und Sprachschatz als "außergewöhnlich reduziert, spröde und zutiefst ausdrucksstark, zerbrechlich und zugleich brutal". Diese Eigenschaften finden in ihrer Musik eine Entsprechung.
Die Ernst von Siemens Musikstiftung
Der Ernst von Siemens Musikpreis wird seit 1973 jährlich von der privaten Schweizer Ernst von Siemens Musikstiftung vergeben. Insgesamt vergibt die Stiftung 2019 rund 3,5 Millionen Euro an Preis- und Fördergeldern. Gefördert werden 2019 weltweit rund 120 Projekte im zeitgenössischen Musikbereich. Der größte Anteil der Förderung entfällt erneut auf Kompositionsaufträge. Zahlreiche Festivals, Konzerte, Kinder- und Jugendprojekte, Akademien sowie Publikationen werden zudem mit Fördergeldern bedacht. 250.000 Euro entfallen auf die Dotierung des Hauptpreises, und je 35.000 Euro sowie die Produktion einer Porträt-CD erhalten die Komponisten-Förderpreisträger (werden noch bekannt gegeben).