Die kanadische Singer-Songwriterin Kyrie Kristmanson ist bekannt für ihre musikalische Experimentierfreude: ob Folk, Jazz, Klassik oder Pop, ihre Songs vereinen oft mehrere Klangwelten. Für ihr neues Album „Venus Rising“ hat sie sich mit dem Percussion-Trio SR9 zusammengetan und Werke klassischer Komponistinnen arrangiert. Ein neuer Anstrich für alte Lieder, der begeistert.
Komponistinnen aus 900 Jahren
„Talk“ heißt dieser Song von Kyrie Kristmanson. „Ich bin eine Stimme ohne Körper“, singt sie und fordert: „Sprich mit mir.“
Als Dialog mit „Voices Without a Body“ könnte man viele Songs auf dem Album bezeichnen, denn Kyrie Kristmanson und das Trio SR9 erwecken Kraft ihrer Stimmen und Instrumente Stimmen von Frauen wieder zum Leben, die teilweise schon vor Jahrhunderten lebten. Die älteste Komposition ist dabei fast 900 Jahre alt.
“O quam mirabilis est“ – Hildegard von Bingen hat diesen Lobpreis auf das Wunder des menschlichen Lebens komponiert. Das mittelalterliche Antiphon klingt in diesem Arrangement wie eine moderne Jazzimprovisation. Kyrie Kristmanson singt federleicht, ungemein natürlich und auf packende Weise erzählerisch.
Arrangements mit feministischer Perspektive
Geradezu akrobatisch bewegt Kristmanson ihre Stimme durch alle Lagen. Falls Druck zu hören ist, ist er inhaltlich motiviert, etwa um Schmerz auszudrücken, wie bei Lili Boulanger.
Boulanger hat dieses „Pie Jesu“ vor rund einhundert Jahren komponiert, kurz vor ihrem Tod im Alter von 24 Jahren. Das Arrangement erinnert mit angestrichenen Marimbaphon-Klängen an die Streicherchöre des Originals, wirkt dabei aber noch gespenstischer.
Bei der Auswahl der Lieder haben Kyrie Kristmanson und das Trio SR9 persönliche Lieblingsstücke arrangiert. Dabei fällt immer wieder eine feministische Perspektive auf.
Parabeln auf weibliche Liebeslust
Germaine Tailleferre etwa vertont in ihren „Chansons du folklore de France“ eine Parabel über weibliche Liebeslust: Schäfer und Schäferin treffen sich, zwischen beiden funkt es gewaltig. Doch als der Mann über die Schäferin herfallen will, lacht sie ihn aus.
„Warum lachst du?“, fragt der Schäfer. Die Frau antwortet: „Ich lache über deine Verliebtheit, die so groß ist, dass du mir nicht eine einzige Frage gestellt hast“.
Gelungene Übersetzung in moderne musikalische Sprache
Während die Gesangslinien fast immer nahe am Original geblieben sind, gestaltet das Trio SR9 die Begleitung freier. Das Ergebnis überzeugt durchweg. Eine gute Idee: In Barbara Strozzis Arie „Che si puo dir“ greift Nicolas Cousin in die Saiten des Klaviers, um harfenartige Klänge zu erzeugen.
„Was kann man nur machen“, fragt das lyrische Ich, wenn die Sterne kein Mitleid haben? Dumpf klopft hier ein verletztes Herz…
Die leicht raue, zittrige Stimme Kristmansons macht dieses Arrangement perfekt und für mich zu einem Höhepunkt auf diesem Album. Die Übersetzung der musikalischen Sprache in die Moderne funktioniert allerdings bei allen Werken gut – durch den neuen Anstrich verlieren die Lieder jede klassische Altertümlichkeit, trotzdem bleiben Tiefe und Komplexität erhalten. Großartig!
Komponistinnen im Fokus
Musikstück der Woche Christina Landshamer singt Lili Boulangers „Pie Jesu“
Für ihr größtes Ziel muss sie mehrere Anläufe nehmen, auch wegen gesundheitlicher Rückschläge. Beim wichtigsten Wettbewerb der europäischen Kompositionszunft wird Lili Boulanger 1912 wegen Fieberschüben vor dem Finale aufgeben. Sie ist 18 und hat noch knapp 6 Jahre zu leben.
Porträt Barbara Strozzi – Komponistin und Kurtisane im barocken Venedig
Barbara Strozzi (1619 - 1677) sang sich mit ihrem Sopran aus dem gesellschaftlichen Morast, redete sich an die Spitze von Venedigs Gelehrtenzirkeln und stand in der ersten Reihe der Venezianischen Komponisten. Vor 400 Jahren wurde sie geboren.