Werkkommentar von Ragnhild Berstad
Ich lasse mich von der Natur inspirieren – von den Bergen, den Wäldern, dem Wind, dem Meer – von dem, was beständig ist, und von dem, was sich verändert. In der Begegnung zwischen den Impulsen, die ich von Menschen, Philosophie und Kunst bekomme, und der starken Kraft, die mir in der Natur begegnet – und der Möglichkeit, die die Natur mir gibt, mir selbst zu begegnen – höre ich nach meiner Musik und finde sie.
Das Leben kommt zu mir durch den Klang – still zu sitzen und den Klängen um mich herum zu lauschen ist eine Form der Meditation – ein Zustand, in dem ein Moment festgehalten wird.
Die Konzentration auf die Erfahrung der Ohren – das Eintauchen in die innersten Elemente des Klangs – lässt Momente intensiver und konzentrierter Präsenz entstehen und das Gefühl, in einem verlängerten Jetzt präsent zu sein – ein Zustand ohne Anfang oder Ende – ohne Erwartungen oder Erinnerungen.
Ganz nah am einfachsten Ton lässt sich eine Fülle von Klängen entdecken – je näher die Nähe, desto größer die Entdeckung – mit den Mikrofonen nahe an den Instrumenten – die Nähe zum Bogenstrich und zum Atem der Musiker – die physische Präsenz des Menschen färbt die Musik – der Zuhörer und der Ausführende werden in der Konzentration auf ein gemeinsames Ziel zusammengebracht – die Musik zu tragen und zu heben.
Musik zu schaffen kann bedeuten, sich für Momente extremer Präsenz und Konzentration zu öffnen. Komponieren heißt für mich, eine vielschichtige und vieldeutige Klanglandschaft zu erfassen – sie durch immer neue Facetten auszuspielen – sie durch immer neue Metamorphosen freizulegen – damit etwas aus einer scheinbar unbekannten Tiefe an die Oberfläche kommt – um ebenso plötzlich wieder zu verschwinden – wie ein fremder Duft – flüchtig vergangen – und doch gegenwärtig. Die ständigen Wendungen, die in solchen flüchtigen Momenten entstehen – die Konzentration und Nähe verlangen, um vom hörenden Ohr erfasst zu werden – der Wendepunkt, der dem Werk eine eigene Dynamik verleiht.
trãnseõ für Ensemble
Die Inspiration durch den Gesang der Vögel hat meine Musik lange geprägt. In trãnseõ werden diese Impulse noch einen Schritt weitergeführt – in ein ornamentales Spiel mit parallelen Vierteltönen – wie die nahen parallelen Tonhöhen, durch die der charakteristische Gesang der Singvögel entsteht.
In der Palette der Instrumente befinden sich auch Instrumente aus Glas – mit einer Oberfläche, die mit feinem Sand beschichtet ist – Sand, der die notwendige Reibung erzeugt, die die Instrumente zum Singen bringt. Vom dichten Wechselspiel mit Vierteltönen, inspiriert vom Reichtum des Vogelgesangs, bis hin zu einem vibrierenden Klangspektrum von Glasinstrumenten – trãnseõ zeichnet sich durch seine Übergänge aus.
Glas ist unveränderlich und zerbrechlich zugleich. Es korrodiert nicht, es nutzt sich nicht ab, aber es zerspringt in einem Augenblick – wie das Leben, so verletzlich und widerstandsfähig zugleich. trãnseõ ist eine Reflexion über die Verletzlichkeit des Lebens.
"trãnseõ" (lateinisch) bedeutet überqueren, übergehen, hinübergehen. Das Werk wurde für das Klangforum Wien geschrieben – und ist ein Auftragswerk des Ultima-Festivals und der Donaueschinger Musiktage.
Die Glasinstrumente wurden in Zusammenarbeit mit dem Glaskünstler Vidar Koksvik entwickelt.
English
Nature is where I find my inspiration – from the mountains, the woods, the wind, the sea – from that which is constant and from that which is changing. It is in the meeting-point between impulses that come to me from people, philosophy and art, and the powerful force I find in nature. Nature gives me the possibility to meet myself – that I listen for and find in my music.
Life comes to me through sound – to sit quietly and listen to the sounds around me is a form of meditation – a state where a moment is held still.
Concentrating on the experience of the ears – delving into sound's innermost elements – moments of intense and concentrated presence arise, and the feeling of being present in a prolonged now – a state without beginning or end – without expectations or memories.
Close up to the simplest tone, a wealth of sound can be uncovered – the closer the proximity, the larger the discovery – with the microphones close to the instruments – the nearness to the bow stroke and the breath of the musicians – the physical presence of the human colours the music – the listener and the performer are brought together in concentration of a mutual goal – to carry and lift the music.
To create music can be to open oneself up to moments of extreme presence and concentration. To compose is for me to get hold of a multifaceted and ambiguous soundscape – to play it out through renewing facets – to expose it through renewing metamorphosis – that something might rise to the surface from an apparently unknown depth – to disappear just as suddenly – as if brushed away – like an unfamiliar scent – fleeting past – all the while, present. The continuous turning points that are created in such fleeting moments – that demand concentration and a nearness to be captured by the listening ear – the turning point which gives the work its own dynamic.
trãnseõ for ensemble
Inspiration from birdsong has long coloured my music. In trãnseõ, these impulses are taken one step further – into an ornamental interplay with parallel quarter tones – like the tight parallel pitches that create the characteristic song of the singing birds.
In the instrumental pallet there are also instruments made from glass – with surface coated by fine sand – sand to make the necessary friction that causes the instruments to sing.
From a tight interplay with quarter tones, inspired by the richness of bird song – to a vibrating spectrum of sounds from glass instruments – trãnseõ is characterized by its transitions.
Glass is both immutable and fragile – it does not corrode, it does not wear down – but it shatters in an instant – like life – so vulnerable and resistant at the same time. trãnseõ is a reflection on the vulnerability of life.
"trãnseõ” (latin) means to cross, go across. The work is written for Klangforum Wien – and is commissioned by Ultimafestivalen and Donaueschinger Musiktage.
The glass instruments have been developed in collaboration with the glass artist Vidar Koksvik.