Werkkommentar von Peter Margasak
In ihrem 2021 mit dem Karl-Sczuka-Preis ausgezeichneten Werk Fog Factory erzählt Hanna Hartman, wie in all ihren Arbeiten der letzten Jahrzehnte, keine Geschichte. Sie fordert uns nicht auf, nach einer Bedeutung zu suchen. Sie möchte einfach, dass wir genau hinhören und die erlesenen, schwer fassbaren Details in ihrem Werk bemerken. In ihren Anmerkungen dankt sie Almgrens Sidenväveri, einem Museum in Stockholm mit noch funktionierenden Webmaschinen, aber das ist auch schon alles, was wir an Hintergrundinformationen erfahren. Der Hörer muss die Lücken füllen und der akribisch aufgezeichneten und sorgfältig zusammengestellten Komposition von Klängen selbst eine Bedeutung geben – einige wurden mit einem Buchla-Synthesizer erzeugt, aber die meisten hat Hartman in der realen Welt mit ihrer Sammlung von Mikrofonen aufgenommen, die sie in jahrelanger Klangforschung gesammelt hat.
Es finden sich industrielles Klopfen, metallisches Klirren, das in den Hall eines höhlenartigen Raums getaucht ist, dichtes Knistern und scharfes Zischen. All das bewegt sich um das herbe Pochen eines Synthesizers herum. Zumindest denke ich, dass es das ist. Letztendlich ist es jedoch irrelevant, woher all das kommt. Was zählt, ist die Auseinandersetzung mit diesen Klängen und die Art und Weise, wie Hartman dafür eine Projektionsfläche konstruiert.
Skalierung wird zu einer Geheimwaffe, die das kleinste Murmeln mit dem lautesten Krachen ausgleicht, die Klangwelt neu ordnet und so unseren Sinn für Logik ins Wanken bringt. Indem sie alle Elemente in ihrem Mix kontrolliert und manipuliert, ermöglicht es uns Hartman, bestimmte Klänge in einem neuen Licht zu betrachten, sei es durch klangliche Erweiterung oder eine Art von akustischem Feng Shui.
Interessanterweise hat sich die künstlerische Praxis von Hartman, die zum zweiten Mal dem Karl-Sczuka-Preis erhält, mittlerweile verändert. Sie erhielt die Auszeichnung bereits im Jahr 2005. In letzter Zeit überlässt Hartman die eigentliche Klangerzeugung zunehmend Musikern, denen sie sich künstlerisch verbunden fühlt. In ihrem Stück The Revenge (2020) erzeugt der Künstler Christian Kesten durch seine Stimme und seine Hände auf verstärkten Saiten Stöhn- und Reibegeräusche und erweckt so Hartmans grafische Partitur zum Leben. Im August 2021 haben die Mitglieder des Berliner Blechbläsertrios Zinc & Copper mit eigenem Gespür Hartmans großartige grafische Partitur The Garden interpretiert. Die visuell beeindruckenden Partituren und Hartmans akustisch provokative Klangstücke weisen große Gemeinsamkeiten auf. In beiden Fällen setzt Hartman ihre enorme Beobachtungsfähigkeit ein, um uns dabei zu helfen, Klänge und optische Eindrücke, die uns jeden Tag umgeben, in etwas Erhabenes, Geheimnisvolles und Perspektivenveränderndes zu verwandeln.
English
In her 2021 Karl-Sczuka-Prize winning piece Fog Factory, as in all of her work for the last couple of decades, Hanna Hartman isn't telling a story. She doesn't ask us to seek out meaning. She simply wants us to listen closely, to notice the exquisite, elusive details in her work. In her notes she thanks Almgrens Sidenväveri, which is a museum in Stockholm with still-functioning fabric-weaving machines, but that's as much background information as we get. The listener gets to fill in the blanks and create meaning from the meticulously charted and carefully assembled composition of sounds – some created with a Buchla synthesizer, but most of them recorded in the real world by Hartman with her collection of microphones, accumulated over years of sound research.
There are industrial thwacks, metallic clangs awash in the reverb of a cavernous space, close-miked crackles, and sibilant hisses, all of which dance around the astringent throb of a synthesizer swell. At least, that's what I think it is. In the final count, however, identifying her sources is irrelevant. Grappling with those sounds and how she constructs her canvas is what matters.
Scale becomes a secret weapon, equalizing the tiniest murmurs with the loudest crashes, reordering the sonic world in a manner that destabilizes our sense of logic. By controlling and manipulating these elements in her mix, Hartman allows us to contemplate certain sounds in a new light, whether through sonic enlargement or a kind of aural feng shui.
Interestingly, as Hartman is honored for the second time by winning the Karl-Sczuka-Prize – she was also awarded the accolade in 2005 – her artistic practice has been changing. More recently Hartman has been increasingly handing over the means of sound production to musicians with whom she feels a simpatico artistic bond. In her 2020 piece The Revenge performer Christian Kesten uses his voice and hands on amplified strings to bring groans and friction to articulate Hartman's graphic score to life. In August of 2021 the members of the Berlin brass trio Zinc & Copper applied their own sensibilities to her gorgeous graphic score for The Garden. The parallel between these visually-stunning scores and her aurally provocative sound pieces is profound. In both scenarios Hartman applies her uncanny observational abilities to help us reconsider sounds and visions that surround us every day into something sublime, mysterious, and perspective shifting.