Donaueschinger Musiktage | Werke des Jahres 2021

Eivind Buene: Personal Best

Stand

Werkkommentar von Eivind Buene

Wenn man das Trio Accanto auf der Bühne sieht, sieht man drei sehr versierte Musiker, die in einer etwas unkonventionellen Kombination von Instrumenten zusammenspielen. Aber man sieht auch ein Ensemble, das eine Geschichte der Neuen Musik verkörpert, sowohl als Kollektiv als auch als Individuen. Sie haben ein riesiges Repertoire aus den letzten vier Jahrzehnten aufgeführt. Für diese Musiker zu schreiben bedeutet, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen, mit diesen Körpern – sowohl im metaphorischen als auch im physischen Sinne –, die so viel von unserer jüngsten Vergangenheit widerspiegeln. Für mich bedeutet es auch eine Auseinandersetzung mit meiner persönlichen Geschichte, da ich diese Musiker seit mehr als zwanzig Jahren in verschiedenen Konstellationen gehört habe.

Diese zum Körper gewordene Geschichte – die wir nur schemenhaft miteinander teilen – war der Ausgangspunkt für meine Arbeit an Personal Best. Früher hätten wir uns getroffen und gemeinsam geprobt, aber stattdessen begannen wir mit langen Einzelgesprächen über Zoom. Ich fragte die Musiker nach ihren Instrumenten, ihrer Kindheit, ihren Lebensphilosophien, ihren Familien. Ich habe sie auch gebeten, mir ihre Lieblingsaufnahmen von sich selbst zu schicken. Da es nicht möglich war, im Proberaum physisch zu interagieren, wurde dies zu meiner Art, "Intimität" mit dem Ensemble zu erlangen. Später, als die Musik zu entstehen begann, waren die Klänge und Gesten Reaktionen auf unsere Gespräche und auf die verschiedenen Aufnahmen, die sie mir geschickt hatten. Die Aufnahmen, die ein breites Spektrum von Komponisten und Stilen umfassen, waren für mich wie Material, das in jüngeren Schichten auf dem archäologischen Terrain der Musik aufgefunden wurde. Sie wurden zu ausgegrabenen Fragmenten, die Momente aus der beruflichen Vergangenheit des Trios heraufbeschwören, welche eng mit dessen persönlicher Geschichte verbunden sind. Nic Hodges drückt es sehr schön aus: "Ich schaue mir die Stücke an, die ich gespielt habe, und es ist in gewisser Weise eine Autobiografie, nicht wahr?"

Die "Stimme" des Musikers ist ein wichtiges Element in Personal Best, in mehrfachem Wortsinn. Fragmente unserer digitalen Gespräche fließen in das Stück ein, wenn die Musiker ihre Geschichten und Ideen sehr offen und ehrlich mitteilen. Die sprechende Stimme kommt tief aus unserem Inneren, und die stimmliche Präsenz lenkt das Bewusstsein auf die Realität des Körpers auf der Bühne. Marcus Weiss sagt ganz einfach: "Der Körper ist kein Fehler", und ich stimme ihm zu. Der spielende Körper ist kein durchsichtiger Vermittler von Musik, er ist eine subjektive Kraft im musikalischen Moment, die das Klangliche, das Soziale und das Philosophische vermittelt. In Personal Best wird diese Subjektivität in Passagen hervorgehoben, in denen die Musiker zu Klangcollagen aus Fragmenten ihrer aufgenommenen Geschichte improvisieren. Vielleicht kann man dies als eine Form der Autoethnographie bezeichnen, bei der sich die Musiker mit ihren eigenen Projektionen auseinandersetzen und in Echtzeit darauf reagieren.

Die Collagen werden von Vinyl-Schallplatten abgespielt, ein Format, das sowohl auf die frühen Erfahrungen der Spieler mit aufgenommener Musik als auch auf Klang als physische Sache verweist. Aufnahmen erinnern uns daran, dass Musik eine Geschichte der Interpretation und der Aufführung ist – nicht nur eine Geschichte der Werke und Komponisten. Die Aufnahmetechnik war auch die erste echte Herausforderung für das "Jetzt" der musikalischen Aufführung. Auseinandersetzung mit dem "Jetzt" ist eine ständige Diskussion, die im Zentrum der Live-Elektronik steht und an der das Experimentalstudio seit seinen Anfängen vor fünfzig Jahren maßgeblich beteiligt ist. Betrachtet man das Experimentalstudio als eine Einheit mit ihrer eigenen subjektiven Geschichte, ihren eigenen Erinnerungen, ihren eigenen Sehnsüchten, wird es auch zu einem archäologischen Ausgrabungsort. Für Personal Best habe ich in der Hardware-Vergangenheit des Experimentalstudios geforscht und die Live-Elektronik auf klassische Methoden wie Ringmodulatoren, Filter, Signalgeneratoren und Pitch-Shifter beschränkt, die ich aus Archiven und Lagerräumen zusammengesucht habe.

Diese Hardware ist natürlich eine Form von "veralteter" Technologie – "veraltet" in Anführungszeichen, denn in dem Moment, in dem sie auf der Bühne erklingt, wird sie Teil der Gegenwart. Nennen wir es eine Synchronisierung von nicht-synchronen Formen, wenn mechanische Instrumente auf analoge Methoden im digitalen Bereich treffen. Die festgehaltene Zeit trifft auf die Zeit der Uhr, die menschliche Geste auf die maschinelle Geste, die persönliche Geschichte auf den technologischen Wandel. Die Synchronisierung neigt dazu, die Grenzen zwischen solchen Dichotomien zu verwischen, und vielleicht ist diese Fähigkeit – divergierende Zeitlichkeiten in einem einzigen Aufführungsraum, einem einzigen Hörmoment zusammenzuhalten – einer der schönsten Aspekte dessen, was wir Musik nennen.

English

Looking at Trio Accanto on stage, you see three very accomplished musicians playing together in a somewhat unconventional combination of instruments. But you also see an ensemble that embodies a history of New Music, as collective and as individuals, having performed an enormous amount of repertoire from the last four decades. Writing for these musicians means to engage with this history, these bodies – both in a metaphorical and physical sense – that register so much of our recent past. For me, it also means engaging with my personal history, since I have listened to these musicians in various constellations for more than twenty years.

This embodied history – obliquely shared – was the starting point for my investigation in Personal Best. In earlier times we would have met and workshopped together, but instead we started out in long conversations, oneon-one, on Zoom. I asked the musicians about their instruments, their childhood, their philosophies, their families. I also asked them to send me their favourite recordings with their own playing. Being unable to interact, physically, in the rehearsal studio, this became my way of gaining "intimacy” with the ensemble. Later, as music began to emerge, the sounds and gestures responded to our conversations, and to the different recordings they had sent. I treated the recordings, encompassing a wide range of composers and styles, as found material from recent strata on the archaeological site of music. They became excavated fragments that evoke moments in the trio's professional past, closely related to their personal histories. Nic Hodges phrases it beautifully: "I look through the pieces I've played, and it's an autobiography in a certain way, isn't it?”.

The "voice” of the musician is an important element in Personal Best, in several meanings of the word. Fragments of our digital conversations seep into the piece, as the players share their stories and ideas in generous and unguarded ways. The speaking voice originates deep inside us, and the vocal presence draws awareness to the reality of the body on stage. Marcus Weiss simply states that "The body is not a mistake”, and I agree. The playing body is not a transparent conveyer of music, it is a subjective force in the musical moment, mediating the sonic, the social and the philosophical. In Personal Best this subjectivity is highlighted in sections where the musicians improvise with sound collages of fragments from their recorded history. Maybe we can call it a form of autoethnography, where the players confront their own projections, and react to them in real time.

The collages are played from vinyl records, a format referring both to the players’ early experiences with recorded music and to sound as a physical matter. Recordings remind us that music is a history of interpretation and performance – not only of works and composers. The technology of recording was also the first real challenge to the “now” of musical performance. The negotiation of the “now” is an ongoing discussion, at the heart of live electronics, and a discussion the Experimentalstudio has been a vital part of since its beginning fifty years ago. If one regards the Experimentalstudio as an entity with its own subjective history, its own memories, its own desires, it also becomes a site for archaeological excavation. For Personal Best I have searched in the hardware past of the studio, and limited the live electronics to classic methods like ring modulators, filters, signal generator, pitch shifters, scavenged from archives and storage rooms.

This hardware is of course a form of "obsolete” technology – "obsolete” in quotation marks, because in the instant they sound on stage they become part of the present. Let us call it a synchronization of non-synchronous forms, when mechanical instruments meet analogue methods in the digital domain. Embodied time meets clock-time, human gesture meets machinegesture, personal histories meet technological change. The synchronization tends to blur the lines between such dichotomies, and maybe this ability – to hold diverging temporalities together in a single performance space, a single auditory moment – is one of the finest aspects of what we call music.

Stand
Autor/in
SWR