Mark Andre
Das Triptychon "…auf…" besteht aus Orchesterstücken, die autonom aufgeführt und gehört werden können, obwohl sie als übergreifendes Ganzes konzipiert wurden.
Während die Tonhöhen in "…auf… III" mit Hilfe von Algorithmen organisiert wurden, ist zugleich die Bildung von Klangfamilien und Klangräumen wichtig für die Struktur des Stückes. Zwischen beiden Organisationsformen besteht ein dialektisches Verhältnis. Damit unerwartete innere Klangwelten entstehen können, werden die algorithmischen Organisationen schnell und stark fragmentiert.
Drei Gruppen von Materialien liegen der Fragmentierung zugrunde: unharmonische, harmonische und geräuschhafte Klänge. Diese drei Klangfamilien lassen sich in ihrer archetypischen Gestalt deutlich und direkt wahrnehmen. Die Komposition beschreibt einen Bogen, eine Reise durch diese Klangfamilien. Um neue Klangräume zu erzeugen, die durch die Organisation von Tonhöhen und anderer Parameter allein nicht möglich wären, werden sie interpoliert und miteinander verschränkt.
Die Raumdisposition der Schlagzeuger um das Publikum herum und die konsequente Entwicklung einer Typologie von Impulsen und Antworten machen die Musik transparent. Es geht um die Entwicklung eines gesamten Klangkörpers, der sich nicht mehr wie bei "…auf… I" und "II" ohne die Verwendung elektronischer Transformationen nur auf der Bühne befindet.
In der Elektronik geht es um die Entwicklung von Zwischenräumen, die weder akustisch noch elektronisch sind. Das Verfahren der "Faltung" (Convolution), das hier zur Anwendung kommt, ermöglicht es, klangliche Impulse mit Ausklängen oder "Antworten" zu versehen, die ebenfalls auf akustischen (nicht synthetisch erzeugten) Materialien beruhen. Alle Transformationen, die live und in Echtzeit berechnet werden, verwenden verschiedene Klanggestalten des Orchesters als Impulse und "falten" sie durch andere, antwortende Klanggestalten. Der Impuls wird so gleichsam in einen anderen Klangraum hinein projiziert.
Die Faltung repräsentiert klanglich, räumlich, morphologisch eine Art (Zwischen)Stand und Raumwechsel. Harmonische, unharmonische und geräuschhafte Klänge werden in Impulsen und Antworten ineinander verschränkt. Die Faltungen lassen sich aber auch auf einer existentiellen Ebene begreifen. Es geht um den Wechsel, den Abschied, den Anfang und das Ende von Klangtexturen, Klangfamilien und inneren Klangräumen. Für die Entwicklung dieser ganz besonderen und neuen Art live-elektronischer Transformation möchte ich mich bei dem Team des Experimentalstudios für akustische Kunst bedanken. Nach meinem Stück "…hoc…" für Violoncello und Elektronik, einer ersten Arbeit mit dieser Technik, ist "…auf…III" in Bezug auf die besondere Elektronik eine Premiere.
Die deutsche Präposition "auf" verweist auf die Schwelle, die Gestalt des Übergangs: aufgeben; aufhören; aufleben... Es geht in meinem Stück um die Schwelle zwischen Räumen und Klangfamilien, eine Schwelle, die auch eine existentielle und metaphysische Ebene hat. Das metaphysische Modell dieser kompositorischen Arbeit liegt in der Auferstehung Christi, die (für diejenigen, die glauben) die kräftigsten und wunderbarsten Übergänge zwischen verschiedenen Zuständen beschreibt.
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 2007
- Themen in diesem Beitrag
- Mark Andre, "…auf…" III für Orchester und Live-Elektronik
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