Johannes S. Sistermanns im Gespräch mit Stefan Fricke
Stefan Fricke:
Autos allerorten, natürlich auch in Donaueschingen. Jetzt bei den diesjährigen Musiktagen aber als explizite Kunst-Vehikel. Was macht das Automobil für die Kunst-Arbeit so tauglich?
Johannes S. Sistermanns:
Meine Perspektive auf diesen kleinen, geschlossenen Kosmos von Aufenthaltsort mit alltags-ästhetischer Gestaltungsmöglichkeit, Körper-Klang-Intensivstation und mobilem Fahruntersatz bei maximalem "Selbst"-Fahrerpotential. "autós" heißt im griechischen "selbst" und ist der etymologische Ursprung der deutschen Wortverwendung von Auto. Das Auto scheint als ikonografischer Selbstausdruck individueller Mobilität nicht mehr ersetzbar. Autos werden von uns getriezt, gehätschelt, gebohnert, umgebaut, repariert, gewaschen, verwöhnt, schlicht geliebt. Meistens am Wochenende. Das Auto ist in all seinen Schattierungen eine auto-mobile Selbstvergewisserung. Autopflege ist Selbstpflege. Das heißt auch: Sein Auto verkaufen zu wollen ist sein Selbst zu inserieren.
Fricke:
Entscheidend für die dreiteilige Arbeit AutoAutoAuto ist also das Einhergehen von ästhetischen Potenzialen gegenwärtiger Gesellschaftsprodukte und deren sozialer Situation, gemäß dem von Dir in Anlehnung an Joseph Beuys geprägten Begriff "KlangPlastik"?
Sistermanns:
Es sind u.a. soziale Alltagssituationen, die mich zu dieser dreiteiligen KlangPlastik inspiriert haben. Während es etwa in Shanghai so gut wie keine öffentlichen Parkplätze gibt, ist unser Stadtbild überfüllt von Autoparkplätzen. Der erste Teil "Was träumen Autos nachts" greift eine nächtliche Parksituation auf: mit elf tatsächlichen Autos und einer Parklücke, die zentimetergenau mit grünem Kunstrasen ausgelegt ist. Im zweiten Teil namens "Autoquartett" fahren drei Sänger mit einem ortskundigen Fahrer singend in einem offenen Cabriolet durch Donaueschingen. In anderen Momenten schminkt sich z.B. die Sopranistin im Rückspiegel ihre Lippen rot und röter, während ihre Kollegen einen roten Teppich ent- und wieder einrollen, über den das Cabriolet für einige Meter fährt. Beim Rückwärtseinparken steigen die Sänger aus und schütteln Schlüsselbunde zur Einparkhilfe. Im dritten Teil mit dem Titel Autowerkstatt Modehaus klingt aus den Deckenlautsprecher im Modehaus eine akustische Materialmontage. Sie besteht aus herkömmlicher Produktwerbung und dem dort üblichen Ambientsound sowie aus den Arbeitsgeräuschen einer Autowerkstatt.
Zur KlangPlastik: Wie vorbereitet und komponiert in "AutoAutoAuto" auch alles ist - diese drei Teile bilden zusammen mit ihren situativen Unwägbarkeiten und örtlichen Gegebenheiten in Donaueschingen einen lebendigen sozialen Organismus, der mehr als nur Klang ist. KlangPlastik hat Menschen, Licht, einen Raum, eine Atmosphäre, Luft, Klang, Vergangenheit, Duft, Temperatur und vor allem Gegenwart. Und dieser Moment wird immer neu und anders gemischt. KlangPlastik ist komponierte Vorgabe und in sich kontinuierliche "Selbst"-Veränderung.
Fricke:
Nun hat die weitgefächerte Auto-Kunst ja schon eine gewisse Tradition, wenn man etwa an die Skulpturen und automobilen Klangkonzepte von z.B. Wolf Vostell, Al Hansen und George Brecht oder in jüngster Zeit von Sven-Åke Johansson denkt. Inwiefern, wenn überhaupt, spielten deren Ideen für die eigene Automobilstudie eine Rolle?
Sistermanns:
Die Arbeiten der erwähnten Künstler haben das Auto vielfach als eine weitverzweigte und vieldeutige Ikone thematisiert. In Köln habe ich miterlebt, wie die Konzeptarbeit von Wolf Vostell, ein in Beton versenktes Auto, das dann wieder Karosserie-Konturen aus Beton bekam, heftig umstritten war. Dieser mit den Jahren immer schäbiger werdende graue Sichtbeton mit den Maserungsspuren ehemaliger Holzbretter konnte lange keinen öffentlichen Platz im Kölner Stadtgebiet finden. Jetzt ist er sinnigerweise auf einer kleinen Verkehrsinsel inmitten einer der Hauptverkehrsstraßen in Kölns Innenstadt positioniert, gegen viel Protest und mit großem publizistischen Lärm. Das Auto ist ein Fokus gesellschaftlichen Lebens, ist der Verbindungskitt von Punkt A nach B. Mein Impuls ist weniger, das Auto zu kritisieren, als mit ihm zu spielen – ähnlich wie in Kinderspielen. So habe ich in meiner Kindheit, wie sicher viele andere auch, stundenlang mit Spielzeugautos gespielt, mit einem "Bentley Continental" übte ich rund um unseren Kachelofen das miniaturhafte Rückwärtseinparken. Seine Vorderreifen schlugen je nach Druck auf die Autoseite links oder rechts ein. Das fand ich hinreißend.
Fricke:
In einem Artikel, der am 4. Januar 1957 in der Kaiserslauterner Zeitung Die Freiheit erschienen ist und der vom stetig wachsenden Autoradiomarkt sowie von automobilen Schwarzhörern berichtet, findet sich u.a. auch die Formulierung "Musik auf Rädern". Wäre das ein Gattungsbegriff, den wir künftig verstärkter in die musikalische Terminologie integrieren sollten?
Sistermanns:
Ich liebe es, in Millionenstädten nachts mit (bisweilen lauter) Musik über breite Straßen, Alleen oder an Flüssen entlang zu fahren und dabei im Klang zu sitzen, Radioprogramme oder eingelegte CDs zu hören. Die Formulierung "Musik auf Rädern" zeigt ja nur, wie befremdlich dieses Zusammen von Autokarosserie, Mobilität und Musik damals war. Heute würden wir "Musik auf Rädern" wohl eher als einen Bring-Service verstehen wie etwa "Essen auf Rädern". Aber es soll nichts mehr gebracht werden. Das Auto, die Musik, der Fahrer, das Erlebnis, das dazugehörende Drumherum, das Ereignis selbst ist in "AutoAutoAuto" thematisiert. In "Was träumen Autos nachts" werden einige der geparkten Autos die Live-Konzertübertragungen der diesjährigen Donaueschinger Musiktage in SWR2 wiedergeben.
Fricke:
John Cage hat einmal geäußert: "Für mich ist die ständige Präsenz von Musik problematischer als die von Verkehrsgeräuschen." Geht es dir genauso?
Sistermanns:
Ich las vor kurzem, dass bei gleicher Steigerungsrate von Autozulassungen wie heute im Jahr 2020 die gesamte Erde fast nur noch aus geteerten Straßen bestehen wird. Abgesehen von der ökologischen Misere ist es ein akustisch verlockender Ausblick, dann Konzerte oder per CD abgespielte Musik vielleicht mehr aus vorbeifahrenden Autos zu hören, zudem wird es vielleicht Autokonzerte im "Leerlauf" geben, sound-überwältigende Räume der Einkehr durch "Stilllegungen" von Autos auf endlosen Freizeit-Park-Plätzen, Momente des entäußerten "Selbst" sonntags spazierend zu bestaunen, mal schrottgepresst, mal geschreddert, und von weither klingen Blechbläser dazu etc.
Fricke:
In ihrem nur aus Fragen bestehenden Künstlerbuch Findet mich das Glück? räumen Peter Fischli und David Weiss dem Auto eine exponierte Rolle ein. Eine ihrer handlungsanimierend-rhetorischen Fragen lautet: "Soll ich meinen Auspuff abmontieren und nachts in der Nachbarschaft herumfahren?" Welche automobile Spielanweisung empfiehlst du?
Sistermanns:
Zu einer Auto-Waschstraße fahren und während des Waschvorgangs im Auto selbst sitzen zu bleiben. Die überwältigenden Bürsten oder zotteligen Stoffbahnen der Auto-Reinigung auf dem Hinweg sehen und hören und auf ihrem Rückweg bei geschlossenen Augen nur noch hören.
Was träumen Autos nachts
drei Themen verteilt auf die drei Autos:
der Zyklus eines Autolebens –
- Geburt
- Leben
- Tod
Die filmische Umsetzung besteht aus Werbefilmen der Autoindustrie, selbst gedrehten Sequenzen, Sätzen, Wörtern als Rolltexten, Gesprochenem, animierten Bildern.
Die Filme handeln nicht von einer animistischen Konzeption der Maschine. Jedoch ist in Betrachtung zu ziehen, dass in der Maschine Auto, in der maschinischen Schnittstelle etwas existiert, das zwar nicht der menschlichen oder animalischen Seele gleichkommt, das aber so etwas wie eine Proto-Subjektivität besitzt, eine Funktion des Verhältnisses zu sich und zu einer Alterität.
1 Geburt
Der erste Traum im Thema Geburt handelt von der Zeugung in der Produktionsstraße eines großen Autokonzerns und den verschiedenen Phasen von der Zeugung bis zur Geburt, z.B. der Hochzeit des Chassis mit dem Unterbau. Am Schluss steht die feierliche Übergabe des Neulings an den/die EigentümerIn, der/die für ihn wie Eltern sind.
Das junge Auto ist gar nicht hellwach bei der Übergabe, sondern träumt noch und zwar etwas Fürchterliches. Bei ihm sind Konstruktionspläne verwechselt worden. Auf den ersten Anschein ist alles okay, aber nach den ersten paar hundert Kilometern merkt der/die FahrerIn, dass die gebräuchlichen Tankstutzen viel zu groß sind. Beim Nachcheck in der Vertragswerkstatt stellt sich heraus, dass alle Werkzeuge nicht passen. Das junge Auto merkt bestürzt, dass es aus allen Schnittstellen der Maschinenwelt herausfällt und somit allein auf der Welt ist.
2 Leben
Der erste Traum im Thema Leben ist ein Traum eines hochgezüchteten Nobelautos. Im Laufe der Zeit merkt das Nobelgefährt, dass seine Eigentümerin sich im Umweltschutz engagiert hat. Angesteckt von ihren Ideen, hat die Nobelmaschine einen Plan: Sie weiß, dass auch sie eine Dimension in sich trägt, die man die phylogenetische nennt. Die technologischen Maschinen sind in einem Phylum enthalten, in dem ihnen Maschinen vorausgehen und andere ihnen nachfolgen. Sie treten in Generationen auf, und da will sie ansetzen: Autos, die den ökologischen Standards nicht mehr entsprechen, will sie außer Betrieb setzen. Sie fragt die Bambusse, ob sie für diesen Plan ihr Geheimnis verrieten, wie sie es vermochten, weltweit auf einmal zu blühen und dann zu sterben. Die Pflanzenweisheit wirkt auch im Land der Maschinenwelt: Die ökologisch rückständigen Autos blühen kurz auf und bleiben stehen, und heute kann man in einem bekannten Automuseum eine Nobelkarosse betrachten, die, so meint man, wenn man sie intensiv anschaut, verschmitzt zu lächeln scheint.
3 Tod
Für das Thema Tod möchte ich Erwachsene befragen, welche Erinnerung sie noch an den Verlust, an das Kaputtgehen ihrer Spielsachen, insbesondere ihrer Spielautos haben. Die Maschine ist Trägerin einer Endlichkeit; daher die Faszination, die sie als explodierende, zerstörte, in Implosion befindliche Maschine ausüben kann, die todbringend für das Außen, aber auch für sie selbst sein kann.
Der Traum eines Autos, am Ganges verbrannt zu werden.
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 2005
- Themen in diesem Beitrag
- Johannes S. Sistermanns, Stefan Fricke, "Auto Auto Auto" KlangPlastik
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